Wilder Delfin mit tiefen Narben und Hautläsionen in Cromarty Firth (Scotland) | Foto: Rene, Lizenz: public domain

Delfine in den Kanälen von Venedig?

Exklusiv für zoos.media – 20.03.2019. Autor: Philipp J. Kroiß

Es gibt keine Beweise für Delfine in Venedig und auch weitere positive Meldungen aus Italien zur Coronakrise halten einer Überprüfung leider nicht stand.

Delfine in den Kanälen von Venedig?

Es sind die guten Nachrichten, die das Herz erwärmen – gerade in Zeiten der Coronakrise. Da glaub man auch gerne an die häufig geteilte Story von den Delfinen in den angeblich nun sauberen Kanälen von Venedig. Was klingt wie ein Märchen, ist aber auch eines. Denn die Bilder, die das angeblich belegen sollen, stammen gar nicht aus Venedig.

Forscher fragt nach

Der bekannte und renommierte Delfinforscher Justin Gregg fragte auf Twitter einfach mal in die Runde, ob irgendwer die Geschichte in irgendeiner Weise bestätigen könne:


Bestätigen konnte sie tatsächlich niemand, aber widerlegen: ein anderer Wissenschaftler, der auch an Walen forscht, meldete sich auf den Tweet:


Die Bilder der Delfine stammen also gar nicht aus Venedig, sondern aus dem Hafen von Cagliari rund 900 Kilometer entfernt. Die Stadt liegt auf Sardinien und Delfine sind im Hafen dort keine ungewöhnlichen Gäste. Auch die übrigen Foto sollen nach Angaben von Menschen vor Ort nicht aus Venedig stammen – letztere ist schließlich nicht die einzige Stadt mit Kanälen in Italien. Inzwischen wurden auch viele Artikel dementsprechend nachgebessert, allerdings ohne über diese Richtigstellung informiert zu haben. Der Fehler war dadurch entstanden, dass der Ursprungspost nicht richtig gelesen worden ist. Delfine tummeln sich also nicht in den Kanälen Venedigs.

Sind die Kanäle sauberer?

Als Grund für die angebliche Rückkehr von Delfinen, Schwänen und Fischen wird saubereres Wasser angegeben. Auch das ist nicht korrekt. Das Wasser ist nicht sauberer – das geht erstens nicht so schnell, noch sind alle Verunreinigungen augenfällig. Das einzige, was passiert ist, ist dass durch den geringeren Bootsverkehr die Verunreinigungen im Wasser nicht mehr aufgewühlt werden, sondern er auf den Boden sinken. Aufgrund der Dichte ist nun das Wasser oben und der Schlamm unten. Das macht das Wasser nicht automatisch sauberer, hygienischer oder generell besser.


Auch hier gibt es nicht also wirklich Entwarnung. Jeder kann das zu Hause in einem Experiment nachvollziehen: Schlamm und Wasser in ein Glas und kräftig umrühren. Danach abwarten. Der Schlamm wird sich senken und das Wasser bleibt oben – dadurch ist der Inhalt des Glases nicht sauberer, sondern nur anders verteilt. Nichts anderes passiert in Venedigs Kanälen. Auch die Luft in Italien ist durch Corona nicht sauberer – auch das erklärt der Experte Jörg Kachelmann:

Statistische Daten*

Das sind zwar keine sonderlich guten Nachrichten, als die die verschiedenen Medien so etwas verkaufen wollen, aber es hilft auch nichts sich in dieser Zeit gute Nachrichten auszudenken. Daher macht es Sinn sich die Statistik (Stand: March 20, 2020, 08:57 GMT) in Erinnerung zu rufen: 28% der abgeschlossenen Coronafälle in Deutschland endeten bisher tödlich. Das ist geringer als in anderen Ländern wie etwa Spanien und Italien. Allerdings muss man auch einschränkend sagen, dass in Deutschland weniger als 160 Fälle abgeschlossen sind, weshalb die Statistik natürlich noch recht ungenau ist. In China – dem Land mit den meisten geschlossenen Fällen – lag die Mortalität beim Virus bei 4%. Hier haben wir die aussagekräfigsten statistischen Daten und daher werden sie gerne genutzt.

In China gab es bei über 80.000 Fällen rund 3.200 Tote. Diese Zahl der Toten aus China übertrifft Italien allerdings bei nur etwas mehr als der Hälfte der ingesammten Fallzahlen im Vergleich zu China: über 3.400 Tote. Zudem ist in Italien kein signifikanter Rückgang der täglichen Neuinfizierungen abzulesen und das trotz Ausgangssperre, die nun verlängert werden soll. Der Präsident des Weltärzteverbandes, Frank Ulrich Montgomery, äußerte sich aus diesem Grund auch gegen einen so genannten Lockdown, weil er in Italien nicht funktioniert. Spanien, genau wie Italien ein beliebtes europäisches Urlaubsland, hat eine genauso hohe Mortalitäsrate bei geschlossenen Fällen wie Italien: 43%. Dort sind bisher über 830 Personen verstorben. Auch hier ist aktuell kein Einbruch der Zahl der Neuinfektionen zu sehen.

Derweil kehrt China zur Normalität zurück. Aktuell wird berichtet, dass es dort die ersten Fälle Mitte November vergangenen Jahres gab. Offiziell war man bisher von Ende Dezember ausgegangen. Ab dem 12. Februar 2020 gab es zum ersten mal ein signifikantes und nachhaltiges Absinken der Neuinfizierungen in China. Das bedeutet, dass es vom Tag des ersten bestätigen Fall, also dem 17. November 2019 bzw. 31. Dezember 2019 (der Tag, als die Volksrepublik China der WHO eine Häufung von Pneumonien meldete und erste Maßnahmen ergriff) bis zum Abflachen der Kurve 87 bzw. 43 Tage gedauert hat. Seit dem 9. März 2020 gab es in China keine Neuinfizierungen mehr. Das sind 113 beziehungsweise 69 Tage nach den oben genannten beiden Daten.

Aufpassen bei Fake News

Gerade in diesen Zeiten entstehen Fake News sehr schnell – etwa das berühmt gewordene Bild von zahlreichen Särgen in Italien, das allerdings keine Folge von Coronavirus-Infektionen war. Daher darf man in Zeiten von Corona nicht alles glauben, was man irgendwo hört oder liest. Fake News sind schneller produziert als Faktenchecks erstellt. Daher macht es Sinn, letzteren abzuwarten bevor man etwas verbreitet oder teilt. Leider können sich Fake News, ob gut oder schlecht, in einer so angespannten Stimmung schnell verselbstständigen und teils massiven Schaden anrichten. Aus diesem Grund ist es wichtig, verantwortungsvoll und kritisch mit Informationen umzugehen und ausschließlich seriösen Quellen zu vertrauen. Das ist essentiell, damit es nicht zu einer malignen Kettenreaktion kommt, die falsche Informationen auslösen können.

Es hilft niemandem, wenn nun jeden Tag eine Verschwörungstheorie, Fake News oder ähnliche gefühlte, aber nicht reale Wahrheiten durch die zweifelsohne aktiveren Medien gejagt werden. Daher macht es Sinn, sich auf die gesicherten Informationen von den Behörden direkt zu fokussieren. Gerade wer Delfine sehen will, der kann sie auf den Kanälen zahlreicher Zoos nachschauen, denn viele zoologische Einrichtungen bieten nun mehr Bild- und Videomaterial aus ihren Haltungen an. Ein tolles Beispiel dafür ist das Dolphin Research Center:

Auch zoos.media hat kostenlose Video-Angebote zu diesem Thema – wir haben dazu eine Playlist zusammen gestellt:

Viel Spaß beim Anschauen und bleibt gesund.

___
* Bei statistischen Daten besteht eine gewisse Ungenauigkeit und nicht direkte Vergleichbarkeit aufgrund unterschiedlicher Falldefinitionen und auch unterschiedlichem Vorgehen beim Testen. Daher sollte man vorsichtig sein, sie miteinander zu vergleichen. Ebenso werden sie auf der ursprünglichen Seite ständig aktualisiert und die Aussagen im Artikel beziehen sich ausschließlich auf den genannten Zeitpunkt und werden hier nicht aktualisiert. Die aktuellen Zahlen findet man immer, wenn man den entsprechenden Links folgt, da dort eine ständige Aktualisierung geschieht.

Nachträgliche Ergänzung: Jetzt scheint eine wahre Photoshop-Wut bezüglich der Kanäle in Venedig in Mode zu kommen: Alligatoren und Haie werden in die Kanäle elektronisch “ausgesetzt”. Dadurch macht aktuell der Alligatoris venetiae eine Karriere – dabei ist das ein völlig ausgedachtes Tier. Aber nicht nur das: auch die wissenschaftliche Bezeichnung ist nicht nur nicht existent, sondern wäre auch noch falsch: “Alligatoris” wäre schlicht nicht richtig, selbst wenn es diese Tiere geben würde.

Diesen Beitrag teilen