Amazonas-Flussdelfin Baby lebte seit Mitte der 1970er Jahre im Duisburger Zoo | Foto: zoos.media

Einziger Flussdelfin Europas musste eingeschläfert werden

Exklusiv für zoos.media – 21.12.2020. Autor: Philipp J. Kroiß

Leider musste Europas einziger Flussdelfin “Baby” im Zoo Duisburg eingeschläfert werden. Das ist ein herber Verlust für den Schutz seiner und weiterer Arten.

Einziger Flussdelfin Europas musste eingeschläfert werden

1975 kamen fünf Flussdelfine in den Duisburger Zoo. Der damalige Zoodirektor Dr. Wolfgang Gewalt hatte eine Expedition geleitet, die zur Wildentnahme von fünf Tieren führte. Zwei davon überlebten viele Jahre, was eine große Leistung des Teams war, da es quasi keine Haltungserfahrung mit diesen Tieren gab bevor sie nach Duisburg kamen. Die Pionierarbeit gerade im Bereich der Forschung sorgte dafür, dass ein Großteil des Wissens, das man heute über diese Art hat, dank dieser Haltung erst gesammelt werden konnte. Nun musste der letzte dieser einzigartigen Tiergruppe, die wohl wie kaum eine andere den Duisburger Zoo über fast ein halbes Jahrhundert zu etwas sehr Besonderem in der Zoowelt gemacht hat, eingeschläfert werden.

Entscheidung im Interesse des Tieres

Der Flussdelfin BABY hat die Lebenserwartung seiner wilden Artgenossen um Jahrzehnte überschritten. | Foto: zoos.media

Die letzten Jahre lebte “Baby” alleine, was für Mitglieder dieser Art kein Problem ist, da sie in der Natur meist einzelgängerisch gesichtet werden. Allerdings fing er sich jüngst eine Wundinfektion ein, was in diesem hohen Alter – er lebte mehr als doppelt so lange, als Mitglieder dieser Art in der Natur Lebenserwartung haben – für kein Tier einfach ist. Obgleich das Team aus Pflegern und Veterinären vor Ort alles tat, um die Infektion zu besiegen, erholte sich der Flussdelfin nicht. In solch einem Fall stehen Experten in Zoos dann immer vor einer schweren Wahl: wann ist der Zeitpunkt gekommen, zu dem man dem Tier unnötiges Leid ersparen muss und es einzuschläfern sollte, weil alles andere nur eine sinnbefreite Verlängerung des Leidens bedeutet?

In Duisburg sah man nun den Zeitpunkt gekommen, an dem die Einschläferung im Interesse des Tieres lag, weil es unnötiges Leiden verkürzte. Er wurde über 45 Jahre alt: ein Alter, das, auf den Menschen übertragen, rund 180 Jahren entspricht. Das illustriert die außergewöhnliche zoologische Leistung, die es dem Tier erlaubte, ein langes Leben wie in einem 5-Stern-Hotel mit All-Inclusive-Service zu führen. In der Natur wäre er bereits wohl seit mehr als zwei Jahrzehnten nicht mehr am Leben. In Duisburg wurden ihm nun viele Jahre geschenkt, in denen er nicht nur Botschafter dieser bedrohten Art war, sondern eben auch durch freiwillige Teilnahme an Forschung wesentlich dazu beitrug, dass man diese Art nun besser schützen kann. Somit hat auch das Tier eine bahnbrechende Leistung vollbracht – allerdings wohl ohne es zu merken, denn Forschung ist für “Baby” immer nur Spiel und Spaß gewesen.

Videos über Baby, den Flussdelfin




Flussdelfine brauchen dringend Schutz

Der Tod des Tieres erwischt den Artenschutz leider zu einem Zeitpunkt, zu dem erst jüngst die IUCN die Bedeutung der Haltung bedrohter Delfinarten betonte. Bereits zuvor hatten über 80 Wissenschaftler betont wie wichtig die tiergerechte Haltung von Meeressäugern in zoologischem Kontext ist. Baby war dafür über mehr als vier Jahrzehnte ein lebendes Beispiel. Nun wird die Zukunft zeigen, inwieweit die Art noch zu retten ist. Als sehr erfolgreich zur Rettung vieler Arten hat sich der One Plan Approach (OPA) gezeigt, der Aktionen ex situ und in situ voraussetzt. Die wichtigen Erfahrungen aus Duisburg ließen sich nun nutzen, eine Zuchtpopulation dieser Art nachhaltig aufzubauen. Das wäre ein großartiges Vermächtnis dieses Tiere, das für die deutsche Zoogeschichte so wichtig war.

In einem Video oben erklärt eine Forscherin nämlich, warum die Haltung der Tiere wo wichtig ist: das Wasser in der Natur ist so massiv verschmutzt und trübe, weshalb man aus der Ferne teilweise nicht mal erkennen kann wie viele Tiere man überhaupt gerade sieht. Forschung in Bezug auf gewisse Fragen ist so nahezu unmöglich. In einer Haltung aber ist es möglich, nicht nur den Tieren Idealbedingungen zu bieten, sondern eben auch den Forschern. Hier können genaue Beobachtungen vorgenommen und auch Tests konzipiert werden, die wichtige Grundlagenforschung ermöglichen, die in der Natur niemals möglich wären. Forschung zum Artenschutz ist die einzige Chance für diese Art.

Ob der Duisburger Zoo das großzügige und naturnahe Becken in Zukunft weiter zum Delfinschutz nutzen wird, ließ man in der aktuellen Pressemitteilung offen. Bedarf besteht nach wie vor, denn gerade Flussdelfine sind seit Jahren in Zoologischen Institutionen unterrepräsentiert. Im Rahmen des IUCN-Ansatzes stehen aktuell vier Arten besonders im Fokus: Kamerundelfine, Glattschweinswale, La-Plata-Delfine und Gangesdelfine. Ebenso ist die Art, zu der “Baby” gehört, nach wie vor vom Aussterben bedroht. Neben seiner Art besteht bei den La-Plata-Delfinen die meiste Haltungserfahrung und natürlich ist auch diese Art massiv bedroht.

Die Zukunft der Flussdelfine bleibt also ungewiss und sie haben einen wichtigen Botschafter verloren, der dazu auch noch Europas einziger war. Die Zoowelt hat leider an Diversität eingebüßt zu einem Zeitpunkt, zu dem es eigentlich gerade im Bereich der Flussdelfine mehr statt weniger bräuchte. Obgleich es für das Tier die beste Entscheidung war, die man in dieser Situation hätte treffen können, ist es für den insgesamten Artenschutz ein herber Verlust, denn ein wichtiger Botschafter ist nun nicht mehr. Was bleibt, ist die Hoffnung für eine bessere Zukunft der Flussdelfine, zu der Zoos und Aquarien einen wichtigen Beitrag leisten können.

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