Transvaal-Löwe im Cincinnati Zoo | Foto: Ltshears, Lizenz: CC BY-SA 3.0

Infantizid bei Löwen

Exklusiv für zoos.media – 06.08.2019. Autor: Philipp J. Kroiß

Immer wieder kommt es vor, dass Löwen ihre Nachkommen töten – in der Natur und in Menschenobhut. Woran liegt das? Was bedeutet dieses Verhalten für die Tiere?

Infantizid bei Löwen

Es ist ein Thema über das man nicht oft spricht, aber das heißt nicht, dass es das nicht gibt. Gerade aber nach den jüngsten Geschehnissen in Leipzig werden Tierrechtsorganisationen dieses Thema wieder einseitig ansprechen und die Öffentlichkeit für dumm verkaufen wollen, um ihre Agenda zu schüren, die sich gegen jede Form der Tierhaltung richtet. Warum spricht man so selten darüber? Nun, es ist schwer einzuleiten – besonders in Zeiten, in denen eine völlige Romantisierung des Wildlebens stattgefunden hat. Darum können sich manche Menschen simpelste Fakten nicht mehr vorstellen. Hier hilft ein harter Einstieg: Löwen bringen manchmal ihre Nachkommen um. Das ist so. Das ist nicht schön. Das wird aber immer so sein, denn es ist natürliches Verhalten.

Tabuthema: Infantizid

Asiatischer Löwe (Panthera leo persica) im Zoo Zürich | Foto: albinfo, Lizenz: CC BY-SA 3.0

Allerdings passiert das nicht nur bei Löwen: andere Großkatzen tun es, Delfine, Bären und viele andere Arten auch Otter und Mangusten. Letztendlich ist es ziemlich verbreitet. Gleichzeitig ist es aber auch nicht der Regelfall, denn die meisten Jungtiere kommen durch. Allerdings ist es gleichzeitig auch fast schon eine Regel, das ein gewisser Anteil von Jungtieren eben auch von den Tieren selbst getötet wird. Viele Leute vermenschlichen Tiere und es ist für sie unvorstellbar, dass ihre Lieblingstiere, die sie so sehr mögen, das tun würden, denn von uns Menschen würde eine solche Tat ja geächtet und bestraft. Die Natur funktioniert aber eben völlig anders als unser menschliches Zusammenleben.

Am bekanntesten ist, auch im Zusammenhang des Löwen, die Form des Infantizid, bei dem ein neues dominantes Männchen in eine Gruppe kommt und die vorhandenen Jungtiere tötet. Das hat den Grund, dass die Weibchen dann schnell wieder geschlechtsreif und sich das neue Männchen dann fortpflanzen kann. Aus menschlicher Perspektive ist es ein fürchterliches Verbrechen, aber aus der Perspektive eines Löwen völlig normal – auch das zeigt, warum es mit einer Implementierung von Tierrechten nicht wirklich funktionieren würde. In Leipzig war es aber ein Filialinfantizid (englisch: filial infanticide), das bedeutet, dass hier die Mutter ihre eigenen Nachkommen umbrachte.

Infantizid generell hat immer den Grund, genetische Fitness der Art durch Tötung von Tieren, die dem nicht zuträglich wären, zu erhalten. Ein Löwin tötet zum Beispiel ihren Nachwuchs, wenn sie entscheidet, dass sie ohne ihn besser dran wäre – also eine höhere Überlebenschance hat. Packer & Pusey (1984) etwa konnten nachweisen, dass Löwinnen, die nach einem Wurf von zwei Jungtieren sich dem einen entledigt, einen höheren reproduktiven Erfolg in ihrem Leben generieren können. Zudem töten Löwen-Mütter ihren Nachwuchs, wenn sie etwa behindert sind oder ähnliche von ihr als Makel empfundene Eigenschaften aufweisen. Die getöteten Jungtiere werden dann üblicherweise von der Mutter verzehrt- auch das ist normal.

Entscheidungen akzeptieren

Junger Asiatischer Löwe im Gir-Wald | Foto: Sumeetmoghe, Lizenz: CC BY-SA 4.0

Das passiert in der Natur genauso wie in Menschenobhut. In der Natur bekommen es aber die wenigsten Menschen wirklich mit, im Zoo dann aber eben schon. Man darf dieses Verhalten nicht mit menschlichen Maßstäben betrachten, sondern muss die Tötung als Entscheidung der Löwen verstehen – eine Entscheidung, die man als Mensch nicht nachvollziehen kann, aber eben auch nicht muss, denn es sind ja Löwen und keine Menschen. Es ist ihre Form der Geburtenkontrolle und da es ihr Nachwuchs ist, ist es eben auch ihre Entscheidung. Nichts daran ist unnormal oder hat damit zu tun, dass Tiere in Menschenobhut leben.

Man kann Infantizid auch verhindern. Dann betäubt man die Löwin, holt die Babys aus der Wurfbox und zieht sie von Hand auf. Das hat wiederum auch Vor- und Nachteile. Wenn man sich entscheidet, nicht einzugreifen, hat das eben genauso Vor- und Nachteile. Es ist immer ein Abwägen wie man mit Löwengeburten umgeht. Üblicherweise fällt man aktuell meist die Entscheidung, in die Mutter zu vertrauen und sie die Entscheidungen treffen zu lassen. Schaut man nun über den Tellerrand der Löwen, kann es aber auch Sinn machen, in Zuchtprogrammen, in denen es um Leben oder Tod einer ganzen Art geht, der Mutter diese Entscheidungen nicht zu überlassen, weil der genetische Wert des Nachwuchses für das Zuchtprojekt zu wichtig ist. Ebenso könnte man die Entscheidung treffen, wenn die Löwin dafür bekannt ist, Infantizide zu begehen, dass man die Tiere von Hand aufziehen und man wenigstens mal einen Wurf zum Überleben verhelfen will.

Solche Entscheidungen obliegen aber eben nicht außenstehenden, sondern dem Zuchtbuchführer in Absprache mit der Experten im Zoo vor Ort. Es gibt hierbei keine Entscheidung ohne bestimmte Vor- und Nachteile, was es schwer macht, sie zu fällen. Wer aber einer Löwin aus guten Gründen diese Entscheidung überlassen will, der hat eben dieses Risiko zu tragen. Kigali ist eine junge Löwin und unerfahrene Mütter machen das manchmal: das macht sie nicht zu einem “bösen” Tier oder einer “Rabenmutter”, sondern zu nichts anderem als einer normalen Löwin, die ihre Erfahrungen sammeln muss. Sie wird wieder schwanger werden und es wahrscheinlich dann eben anders machen, denn Erstgebärende haben nun mal eine höhere Wahrscheinlichkeit, ihre Jungtiere zu töten – sie sind eben nicht die perfekten Mütter von Anfang an, sondern entwickeln sich meist erst durch Erfahrungen.

Positiv in die Zukunft blicken

Berberlöwe Basu im Erlebnis-Zoo Hannover | Foto: zoos.media

Bei aller Trauer um die Jungtiere, die es ja ausschließlich von Menschen geben wird, muss man nun im Interesse des Tieres und der Art positiv in die Zukunft schauen. Kigali kann weiterhin am Zuchtprogramm teilnehmen und wird sicher auch hoffentlich bald Mutter von gesunden Transvaal-Löwen-Babys. Diese ganz besondere Unterart bringt sowohl normalfarbene Löwen, wie sie eine ist,  als auch weiße Löwen hervor. Ihr lateinischer Name Panthera leo krugeri weißt auf einen sehr bekannten Nationalpark hin. Im Timbavati Tierreservat in der Greater Kruger Area findet man auch ausgewilderte weiße Löwen, die dort sogar erfolgreich jagen. Im klassischen Kruger-Nationalpark (im Deutschen auch gerne Krüger-Nationalpark genannt) sieht man eher die normalfarbenen Tiere wie Kigali.

Wie alle Löwen, ist auch diese Unterart bedroht. Zoos gehen immer mehr dazu über, Löwen unterartenrein zu züchten, weil Unterarthybride zwar edukativen Wert haben, um Menschen generell für Löwen zu begeistern und somit auch wichtig sind, aber eben keinen Weg zurück in die Natur antreten können, weil sie die Fauna verfälschen würden. Deshalb ist es sinnvoll, den Anteil von Unterarthybriden sukzessive zu reduzieren, allerdings muss man natürlich auch dafür sorgen, dass alle Löwen auch ein löwengerechtes Leben führen können, wozu auch die Partizipation an einem Rudel gehört. Deshalb kann man auf die Unterarthybriden auch nicht gänzlich verzichten, weil Langzeitkontrazeptiva bei Löwen schwerwiegende Nebenwirkungen haben können und die Zucht nicht vollständig tiergerecht unterbunden werden kann.

Aus der Menschenobhut heraus möchte man nämlich sehr gerne Löwen auswildern, was natürlich nur mit Tieren mit entsprechender genetischer Eignung möglich sein wird. Der Persische Löwe soll zum Beispiel bald seinen Weg zurück in die Natur antreten, was aktuell aber leider noch durch Irans Umweltministerium blockiert wird. Auch daran sieht man, dass die Rückführung von Löwen eben kein Sprint, sondern ein Marathon mit vielen Schritten ist, die man gehen muss. Allerdings macht die Zucht auch ohne Auswilderung Sinn, denn die Haltung ermöglicht wichtige Edukation und Forschung, die auch einen wichtigen Beitrag zum Artenschutz leisten. Dazu braucht es eine stabile Löwenpopulation in Menschenobhut und um die zu erhalten, machen zoologische Einrichtungen einen wunderbaren Job – auch Kigali ist ein wichtiger Teil davon.

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