Gorilla-Senior Massa im Zoo Krefeld | Foto: zoos.media

“Post Streisand Ära” und was sie für Zoos bedeutet

Exklusiv für zoos.media – 11.02.2019. Autor: Philipp J. Kroiß

Durch Social Media wurde die Kommunikation maßgeblich verändert. Was das Haus einer bekannten Künstlerin damit zu tun hat und was es für Zoos bedeutet, erläutert dieser Artikel.

“Post Streisand Ära” und was sie für Zoos bedeutet

Die meisten werden den Begriff nie gehört haben, obgleich er enorm wichtig ist für eine zeitgemäße Strategie in der Kommunikation mit der Öffentlichkeit. Er wurde geprägt vom Journalisten Richard Gutjahr, der Opfer eines furchtbaren Shitstorms wurde. Verschwörungstheoretiker bauten um den freien Mitarbeiter der ARD ein Konstrukt an Desinformationen, weil er zufällig bei zwei Terror-Anschlägen vor Ort war. Niemals konnten die ohnehin völlig hanebüchenen Theorien gegen ihn in irgendeiner Form nachgewiesen werden.

Der Streisand-Effekt

Das Phänomen verdankt seinen Namen einem Fall um Barbara Streisand, eine US-amerikanische Künstlerin, bezüglich eines Vorfalls aus dem Jahre 2003. Sie klagte gegen eine Aufnahme von ihrem Anwesen, aber genau das sorgte erst dafür, dass man eine Verbindung zwischen ihr und dem Anwesen herstellen konnte. Erst durch ihre Aktion machte sie darauf aufmerksam und hätte sie es auf sich beruhen lassen, wäre es niemals herausgekommen. Es gibt zahlreiche ähnliche Beispiele, die aber nicht namensgebend waren.

Der Streisand-Effekt beschreibt also den Umstand, dass nach einem Versuch, gegen eine unliebsame Information vorzugehen, man erst recht öffentliche Aufmerksamkeit bekommt und erst dadurch die Information einem noch größeren Personenkreis bekannt wird. Dieser Effekt war lange Zeit die Legitimation für den allseits bekannten Spruch: “Never feed the trolls!” Durch Ignorieren bildete man sich ein, unliebsame Informationen loswerden zu können.

Veränderungen seit 2003

Bonobo im Grünen Zoo Wuppertal | Foto: zoos.media

Facebook wurde 2003 veröffentlicht, YouTube rund zwei Jahre später und Twitter wiederum ein Jahr danach – diese Social-Media-Plattformen änderten die Kommunikation grundlegend. Das betrifft sowohl den persönlichen Bereich als auch den öffentlichen Bereich. Diese Plattformen verbinden Menschen, aber bieten für Trolle ein Eldorado an Möglichkeiten, wenn falsch reagiert wird.

Bisher jede Algorithmus-Generation oder -Update auf diesen drei Social-Media-Plattformen begünstigt virale Verbreitung und das besonders auf Basis von User-Engagement. Das bedeutet: Je mehr Reaktionen ein Thema ist, desto mehr werden Inhalte davon vorgeschlagen. Ganz einfach kann man sich das so vorstellen: Der Algorithmus zeigt seinen Usern Inhalte und erzeugt so Impressionen. Wenn diese Impressionen nun einen gewissen Prozentsatz an Reaktionen hervorruft, wird der Inhalt mehr Usern angezeigt.

Das ist für positive Inhalte super, denn diesem Mechanismus verdanken wir lustige, virale Videos über die fast die ganze Welt lacht, Songs bei denen fast die ganze Welt mitsingt und viele andere wunderbare, wichtige und positive Dinge, die sonst nie so viel Verbreitung erlangt hätten. Andererseits begünstigt dieser Algorithmus auch Shitstorms und Fake News. Das musste Gutjahr am eigenen Leib extrem krass erfahren, aber das erleben auch viele Privatpersonen, Organisationen und Unternehmen in verschiedener Form und Intensität.

Shitstorm-Anatomie in der Post Streisand Ära

Schmiererei radikaler Veganer | Quelle: oFace Killah/Flickr CC BY 2.0

Shitstorms kann man sehr gut inszenieren, planen und als Waffe einsetzen und es ist im Prinzip kinderleicht, wird nur schwerer, je “stärker” der Gegner ist. Wir haben an anderer Stelle schon über die PETA-Shitstorms gesprochen und medial waren vor einiger Zeit die “rechten Trolle” in aller Munde. Das gleiche gibt es aber auch in anderen Bewegungen, politischen Spektren und sogar im Bereich Marketing kann man das beobachten.

Für einen Shitstorm braucht man erstmal eine bestimmte Basis von Reaktions-Herstellern. Die geben Reaktionen ab – am Effektivsten sind Kommentare, weil die von allen Plattformen sehr gerne gesehen werden. Das ist der harte Kern, quasi die Ultra-Fans derer, die einen Shitstorm evozieren wollen. Das können sowohl echte Menschen sein, die sich organisiert haben, aber auch wenige Menschen mit vielen Fake-Accounts oder auch Bots (vereinfacht gesagt: Maschinen, die Reaktionen automatisiert abgeben). Manchmal ist es auch eine Kombination daraus.

Die Reaktionen dieser Ultras sorgen dafür, dass die Inhalte an mehr Menschen ausgerollt werden und, weil die Social Media Plattformen die Vorlieben ihrer Nutzer kennen, natürlich auch an die, die diese Inhalte auch interessieren oder sogar die Werte teilen. Dadurch haben die Shitstormer eine hohe Chance, bereitwillige Mitläufer zu finden, die sie unterstützen. Fertig ist der Shitstorm.

Das “Schöne” daran ist, dass die Shitstormer sich darauf verlassen können, dass, wenn sie einen Gegner auf Augenhöhe anvisieren, dieses Prinzip funktionieren wird auch wenn das Opfer nicht reagiert. Das Opfer kann seinen Kopf Meter tief im Sand verschanzen und wird dadurch nichts gegen diese Shitstorm ausrichten können. Der Spruch “Never feed the Troll!” ist also völliger Mumpitz.

Wie soll man reagieren?

Richard Gutjahr allerdings folgte der Maxime, Trolle nicht füttern. Das ist kein Fehler von ihm persönlich, denn es gibt noch immer noch Berater, die diese Strategie gebetsmühlenartig wiederholen, obgleich sie locker zehn Jahre schon nicht mehr funktioniert. Das wird aber kaum kommuniziert, weil auch der Algorithmus der Plattformen kaum Menschen überhaupt bekannt ist. Hier braucht es dringend eine bessere Informationspolitik von allen Seiten.

Die Frage in der Zwischenüberschrift impliziert also völlig zu Recht, dass man sich nicht erst fragen soll, ob man reagiert, sondern direkt wie man reagiert. Grundsätzlich sind zwei Shitstorms zu unterscheiden: auf den eigenen Seiten und an Orten auf denen man keinen Einfluss hat.

Shitstorm “zu Hause”

Schimpanse im Zoo Krefeld | Foto: zoos.media

Der einfachste Weg auf einen Shitstorm, von dem man unmittelbar Opfer wird, zu reagieren, ist den kompletten Sturm auszuradieren – das ist gar nicht gewalttätig gemeint, sondern bezeichnet einfach nur das Durchführen von zwei Klicks durch die man auf den meisten Social-Media-Plattformen Accounts für sich verschwinden lässt. Es ist der einfachste Weg, kann aber auch evozieren, dass sich die Trolle andere Orte suchen, um sich zu trollen.

Die richtige Strategie ist, Shitstorms zu nutzen, denn hohes User-Engagement ist erstmal gar nicht schlecht und sollte unbedingt genutzt werden. Man muss die Kommentare nur richtig filtern – dabei helfen Kommentar-Richtlinien. Dabei gilt generell, dass sämtliche Posts, die vor Beleidigungen, Lügen und ähnlichen Ehrverletzungen strotzen, aussortiert werden müssen. Diese User und Kommentare ziehen nichts Gutes an, deshalb ist es wichtig, sie aus der Diskussion auszusperren.

Interessant sind aber die User, die das genau eben nicht tun. Hier lohnt sich die Diskussion bzw. es lohnt sich auch diese Diskussion aktiv zu füttern. Diese gemäßigten User werden Mitläufer oder zumindest Mitleser anziehen und wenn man dabei eine gute Figur macht, wird man sogar noch besser aus der Sache herauskommen. Höheres User-Engagement ist eine Möglichkeit, die man sich nie entgehen lassen sollte, aber dazu braucht man eben auch Zeit.

Der Kölner Elefantenpark | Foto: zoos.media

Diese Diskussion kann nun in zwei Richtungen gehen: Es wird eine sachliche Diskussion oder es wird aggressiver. Manche Trolle zeigen sich erst nach zwei oder drei Kommentaren, die man hin und her geschrieben hat, als solche. Wenn man aber die Kommentar-Richtlinien sinnvoll formuliert hat, behält man die Oberhand und kann sehr genau bestimmen, in welche Richtung eine Diskussion geht.

Das ist quasi die ausgleichende Gerechtigkeit, die man bei Social Media auf der eigenen Seite hat: man bestimmt die Inhalte selbst – und so auch die Inhalte der Kommentare. So ist es einem möglich, einen Shitstorm super für sich zu nutzen. Es gibt sogar Unternehmen oder Influencer, die durch streitbare Inhalte Shitstorms evozieren und dadurch sehr schnell wachsen können, wenn die Strategie aufgeht.

Man muss dabei immer die eigene Community im Auge behalten, denn dadurch, dass die Social-Media-Plattform den betroffenen Content zu mehr Leuten bringt, bedeutet das auch, dass sowohl bereits aktuelle, als auch zukünftige Follower dies mitbekommen werden. Wer den Shitstorm also gut managet, hat wirklich gute Chancen, mehr Follower in der Zielgruppe zu gewinnen. Auch deshalb macht es Sinn an der Diskussion direkt teilzunehmen, um entsprechende Leute zu erkennen und zu unterstützen oder zu überzeugen.

Bei strafbaren Kommentarinhalten sollte man aber immer Kontakt zu einer Rechtsabteilung oder Anwaltskanzlei aufnehmen.

Shitstorm “außer Haus”

Schimpansenbaby im Loro Parque | Foto: zoos.media

Beim Shitstorm an Orten, wo man nicht sein eigener Herr ist, kann man selbst nicht so unmitellbar aktiv managen, aber sehr wohl passiv. Erstmal aber ist es wichtig zu evaluieren, welche andere Plattform das denn ist und inwieweit es überhaupt die eigene Zielgruppe tangiert. Dazu ein Fall-Beispiel:

Ein Haufen Tierrechtler, der sich darüber aufregt, dass Steaks im Zoo-Restaurant verkauft werden, sind weder Teil der Zielgruppe eines Zoos, noch werden sie je zu einem Unterstützer werden – egal wie veggie das Zoo-Restaurant auch immer werden würde. Tierrechtler lehnen jede Form der Tierhaltung ab und werden den Zoo ohnehin nie besuchen, weil wesentlich für den Zoo ist, dass Tiere tiergerecht gehalten werden. Sie sind völlig egal.

Das ändert sich aber, sobald sie es schaffen, die eigene Community oder Zielgruppe zu erreichen – etwa durch einen Zeitungsartikel. Dazu kann man dann sehr einfach – und zwar so früh wie möglich – öffentlich Stellung nehmen. Also wieder den Shitstorm managen, denn auch hier, gibt es wieder Optionen, diesen für sich zu nutzen.

Ein Zoo, der dann darauf hinweisen kann, dass sein Fleisch regional aus sinnvoll zertifizierter Herkunft stammt, kann dies sogar noch als Werbe-Anlass nutzen, um nochmal auf die Vorzüge des Zoo-Restaurants hinzuweisen. Auch hier kann man die Öffentlichkeit nutzen, die einem der Shitstorm geschenkt hat, um nicht nur die Diskussion, sondern auch die Art der Reaktionen zu beeinflussen.

Damit das aber funktioniert, muss man sehr genau den Moment abpassen, damit man rechtzeitig reagiert, um aus dem Shitstorm das Beste für sich herauszuholen. Das erfordert Erfahrung mit diesen Plattformen. Sobald man aber so etwas mitbekommt, macht es Sinn, sich schon mal vorzubereiten, um zum richtigen Moment das Optimum rauszuholen.

“Don’t Feed the Trolls”

Schimpansen besitzen verschiedene Kulturen und gebrauchen Werkzeuge.

Das alte Mantra der “Kopf in den Sand”-Stecker ist also falsch. “Use the Trolls!” wäre also die neue Maxime. Man darf nicht vergessen, dass das Gegenteil eines Shitstorms genau das ist, wofür man Marketing-Berater teuer bezahlt: einen Lovestorm. Die Übergänge aber sind fließender als man erstmal denkt und jede Diskussion ist steuerbar. Es reicht nicht, ein falsches Narrativ, wie etwa Fake News zu ignorieren, nachdem man es als solches gelabelt hat, man muss das richtige Narrativ an seine Stelle setzen. Die Welle, die die Trolle also evoziert haben, kann man surfen und seine Message verbreiten. Das überfüttert die Trolle so sehr bis sie platzen bzw. man surft die Welle so lange bis sie bricht und man ganz locker am Strand ankommt.

Trolle können sich gegen so eine Strategie niemals wappnen, weil das ganze System darauf basiert nicht überfüttert zu werden bzw. die Welle am Rollen zu halten. Sie können also nicht raus aus ihrer Rolle ohne, dass die Kampagne bricht. Sie werden aber raus aus ihrer Rolle müssen, denn ihre Kampagne ist ja nur noch Steigbügelhalter für die Kampagne, die man quasi daraufgesetzt hat. Ein Tierbaby hat angeblich Missbildungen? Das nimmt man auf, widerlegt es und verbindet das damit zu zeigen wie man dieser Tierart hilft. So entsteht ein neuer Narrativ, der die Fake News ersetzt. Information verfestigt sich durch Emotion und Repetition. Deshalb kann man bei jeder neuen Welle einer solchen Attacke auch immer wieder daran arbeiten, dass sich der richtige Narrativ verfestigt.

Leider wähnen sich viele zoologische Einrichtungen noch in der Streisand-Ära, aber einige haben schon die Zeichen der Zeit erkannt und handeln entsprechend vorbildlich. In jeder Attacke gegen Zoos liegt die Möglichkeit, diese Attacke für sich auszunutzen. Sicherlich ist es bei persönlichen Attacken wie Herr Gutjahr sie erfuhr, nochmal eine andere Dimension und auch eine andere Rechtslage. Gleichzeitig macht es aber Sinn aus diesen Erfahrungen zu lernen und sie zum Krisenmanagement zu nutzen. Fake News sind ein Problem – längst nicht nur für Zoos – und man muss mit ihnen umgehen lernen und nicht so tun als wären sie nicht da. Fake News dauerhaft bekämpfen und auszumerzen, wird allerdings kein Sprint, sondern ein Marathon.

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