Sind die Zoos bald leer?

Erschienen in FOCUS Magazin | Nr. 20 (2013). Autor: Michael Miersch

Der Bundestag befasst sich mit der Tierhaltung im Zirkus. Der Artikel greift die gegensätzlichen Meinungen auf. Während Peta und die Grünen eine Abschaffung der Tierhaltung durchsetzen wollen, widersprechen die Wissenschaftler. Ein Ende der Wildtierhaltung würde auch ihre Forschung gefährden. 

Die Grünen behaupten: Wilde Tiere gehören nicht in den Zoo und nicht in den Zirkus. Wissenschaftler widersprechen. Jetzt beschäftigt sich der Bundestag damit.

Elefantin Mala ist Vollwaise. Als Baby hat sie ihre gesamte Herde bei einem „Culling“ verloren. So werden in Simbabwe die Massenabschüsse genannt, die die Naturschutzbehörde durchführt, wenn Elefanten in einer Region überhandnehmen. Durch Cullings mutterlos gewordene Jungtiere verkaufte man in den 80er-Jahren in alle Welt. Mala landete bei Sonni Frankello. Der preisgekrönte Zirkustierlehrer wurde ihre Ersatzmutter. „Es ist faszinierend zu beobachten, wie Mala ihm vertraut,“ sagt der Verhaltensforscher Immanuel Birmelin, der das Zusammenspiel zwischen der Elefantenkuh und ihrem Menschen über lange Zeit beobachtet hat. Er kann sie durch seine Stimme vollkommen beruhigen. „Die spürt, dass er es gut mir ihr meint.“

Peter Höffken meint es ebenfalls gut. Er leitet die Anti-Zirkus-Kampagne bei der deutschen Filiale von Peta, der weltweit größten und reichsten Tierrechtsorganisation. Allerdings sieht er die Beziehung zwischen Mala und Sonni völlig anders. Dass Zirkusleute ihre Tiere lieben, ist aus Höffkens Sicht „eine Lüge. Zirkusleute sind ein spezieller Schlag Mensch. Die meisten sind weitgehend frei von Mitgefühl für Tiere als denkende und fühlende Wesen. Man kann Wildtiere ohne Ausübung von Gewalt und Zwang nicht kontrollieren.“ Weil Zirkus und Zoo Brutstätten der Tierquälerei seien, fordert Peta die Abschaffung der beiden traditionsreichen Institutionen.

Auch Undine Kurth meint es gut. Die Parlamentarische Geschäftsführerin der Grünen geht in ihrer Ablehnung zwar nicht ganz so weit wie Peta, aber auch sie und ihre Partei kämpfen dafür, dass Wildtiere im Zirkus komplett verboten und im Zoo etliche Arten, wie Bären und Delfine, ausgemustert werden.

In Bonn, Potsdam und einigen anderen deutschen Städten versuchten grüne Ratsfraktionen, Zirkusse auszusperren, was eine Kette von Klagen und Gegenklagen nach sich zog. Die Mehrheit der Ländervertreter im Bundesrat forderte 2011 und davor schon einmal 2003 ein grundsätzliches Verbot von Wildtieren im Zirkus. Allerdings stimmte im Bundestag die Mehrheit dagegen. Im März dieses Jahres machten die Grünen Zoos zum Thema im Parlament und beantragten unter Federführung von Undine Kurth ein Verbot von Delfinarien. Am 15. Mai findet im Landwirtschaftsausschuss des Bundestags eine Anhörung dazu statt.

Nicht nur in Deutschland stehen Zoos und Zirkusse unter Druck. In Österreich, Schweden und zwölf weiteren Ländern Europas haben Peta & Co. ihre Ziele bereits weitgehend durchgesetzt. Dort sind entweder alle Wildtiere oder bestimmte Arten in der Manege verboten.

Undine Kurth macht Politik aus Überzeugung, was sie von glatten Politprofis auf dem Berliner Parkett unterscheidet. Hartnäckig versucht sie, das Gebot zu verwirklichen, das sie den Grünen ins Grundsatzprogramm geschrieben hat: „Tiere haben Rechte.“ Aus ihrer Sicht sind Zoos und Zirkusse finstere Kerker, in denen unschuldige Lebewesen gequält werden. „Elefanten wird der Willen gebrochen“, sagt sie. Allerdings weiß sie das nicht aus eigener Anschauung, sondern verlässt sich auf ihre Zuträger von Peta & Co. Undine Kurths erster und letzter Zoobesuch fand im Magdeburg der 50er-Jahre statt: „Da bin ich weinend rausgerannt, weil mir die Tiere so leid taten.“

Die Käfige zwischen den Kriegsruinen müssen ein schrecklicher Anblick für die Fünfjährige gewesen sein. Doch mit der Realität moderner Zoo-Architektur haben sie wenig gemeinsam. „Wir hätten uns sehr gewünscht, dass die Grünen sich einmal unsere Delfinhaltung ansehen, bevor sie im Bundestag Falschbehauptungen verbreiten“ sagt Lorenzo von Fersen, Kurator für Forschung und Artenschutz im Nürnberger Tiergarten. „Unsere Delfine sind Botschafter für den Meeresschutz, wir klären die Menschen darüber auf, dass Hunderttausende dieser Tiere alljährlich als Beifang in Fischernetzen verenden.“ Von Fersen ist stolz darauf, dass das modernste und aufwendigste Tiergehege Deutschlands in Nürnberg steht, eine 30 Millionen Euro teure Anlage für Delfine, Seelöwen und Seekühe. In den Jahren, bevor die HighTech-Wasserlandschaft fertig war, kam es im alten Delfinbecken zu Totgeburten. Für Peta war das der Beweis, dass diese Tiere nicht in einen Zoo gehören.

„Man kann mit viel Aufwand durchaus eine Umgebung schaffen, in der Delfine sich wohlfühlen, in Nürnberg ist das gelungen“, sagt Guido Dehnhardt, Spezialist für Meeressäuger an der Universität Rostock. „Ich bin kein Fürsprecher der Zoos, aber der Fanatismus mancher Zoo-Hasser ist mir richtiggehend unheimlich.“ Der angesehene Zoologieprofessor schrieb an Jürgen Trittin, um ihn über die wissenschaftliche Sicht aufzuklären. Eine Antwort bekam er nicht. Menschen wie Dehnhardt und von Fersen wirken wie typische Grüne der frühen Jahre, naturverbunden und ökologisch hochsensibel. Sie können es kaum fassen, dass sie zu Tierquälern gestempelt werden.

Für ihre Forschungsarbeit am Marine Science Centre in Rostock müssen Dehnhardt und sein Team ihren Seehunden ein paar Übungen beibringen – ähnlich wie ein Zirkustierlehrer. Auf der frei einsehbaren Versuchsstation erleben alljährlich Tausende Zuschauer, mit welcher Begeisterung die Tiere bei der Sache sind. Beflissen wie Erstklässler drängeln sie sich um die Aufmerksamkeit ihrer Trainer. „Manchmal“, berichtet Dehnhardt, „müssen wir Tiere auf Diät setzen, weil sie zu fett geworden sind. Dann gibt es keinen Fisch, aber dennoch wollen sie unbedingt mitmachen.“ Zwingen kann er die Seehunde ohnehin nicht, denn in dem großen, lediglich mit Netzwänden vom offenen Meer abgetrennten Gehege im Jachthafen von Warnemünde können sie sich jederzeit entziehen. Ein paar Mal haben Dehnhardts Robben Löcher in die Abtrennung gerissen und sind hinaus in die Ostsee geschwommen. Beim Training waren alle wieder da.

Ein Ende der Wildtierhaltung in Zoos und Zirkussen wäre auch für die Wissenschaft ein Problem. „Das meiste, was wir heute über Wildtiere wissen, wurde in menschlicher Obhut herausgefunden“, sagt Theo Pagel, Direktor des Kölner Zoos. Dass Zootiere sich nach einem Leben ohne Zäune sehnen, hält er für eine menschliche Projektion. „Tiere gehen nicht spazieren“, sagt Pagel. „Auch in freier Natur bleiben sie oftmals am gleichen Fleck, wenn es dort genügend Nahrung gibt.“

Pagel und die anderen Zooleute trösten sich damit, dass die Anti-Zoo-Bewegung zwar viel öffentliche Aufmerksamkeit erhält, aber wenig Zulauf. „Zur größten aller Demonstrationen gegen unser Delfinarium,“ berichtet Lorenzo von Fersen, „kamen 150 Leute.“ Allein im Eröffnungsjahr 2011 besuchten 1,2 Millionen Tierfreunde das Nürnberger Großaquarium. Zoos gehören zu den beliebtesten kulturellen Einrichtungen Deutschlands. Über 34 Millionen Besucher im Jahr verzeichnen allein die 50 deutschen Tierparks, die im Zoodirektorenverband (VDZ) zusammengeschlossen sind. Mehr als doppelt so viele wie alle Spiele der Fußball-Bundesliga zusammen. Dennoch schreiben die meisten keine Gewinne, sondern werden wie Theater, Museen oder botanische Gärten von den Kommunen subventioniert.

Vor Undine Kurths strengen Augen finden Zoos ein wenig mehr Gnade als die fahrenden Unternehmen. „Im Gegensatz zum Zirkus“, sagt sie, „können Zoos Bedingungen schaffen, die akzeptabel sind.“ Auch bei Peta hat die Anti-Zirkus-Kampagne Priorität. „Für Zoos sollte es ein Nachzucht- und Importverbot geben. Zirkusse sollten einem kompletten Tierhaltungsverbot unterliegen“, fordert Peter Höffken. „Die Abschaffung des Wildtierbestands in Zirkussen bis 2015 wäre ja schon mal ein enormer Fortschritt.“

Seit Tierrechtler wie Höffken in Bundesrat und Bundestag Gehör finden, machen sich viele Zirkusleute Sorgen um die Zukunft. Claus Kröplin, Vorsitzender des Berufsverbands der Tierlehrer, will jedoch die Tiere nicht kampflos aufgeben. Er hat vor über 60 Jahren als Tierpfleger angefangen und zählte selbst zu denen, die schlechte Tierhaltung immer wieder kritisierten. „Nach dem Krieg hatte man eine andere Sicht auf Tiere als heute“, sagt er. „Es hat sich seither so viel zum Besseren gewandelt. In deutschen Großzirkussen ist Tierschutz oberstes Gebot.“

Verhaltensforscher Immanuel Birmelin befasst sich seit Jahrzehnten mit den Raubkatzen, Seelöwen und Elefanten bei Krone und Knie. „Für ein Wildtierverbot gibt es keine wissenschaftliche Grundlage“, sagt er. Zum gleichen Schluss kam im Jahr 2006 bereits eine große Expertenkommission, die im Auftrag der britischen Regierung ein Gutachten verfasste. Dagegen sprach sich die Deutsche Tierärztekammer 2010 für ein Wildtierverbot in reisenden Zirkussen aus.

Birmelin untersuchte Speichelproben der Löwen des Circus Krone auf Stresshormone. Selbst auf einem der längsten Transporte ihres Lebens, von München zum Zirkusfestival nach Monaco waren die Tiere vollkommen entspannt. „Und was den Vorwurf mangelnder Bewegung angeht“, sagt Birmelin, „auch dies entspricht nicht den Tatsachen.“ Genaue Vergleiche der täglichen Aktivität von Löwen in der Serengeti und bei Krone ergaben, Krone-Löwen bewegen sich mehr als ihre Verwandten in der afrikanischen Savanne.

Rudolf Müller, Leitender Veterinärdirektor im hessischen Wetteraukreis, wurde zur Hassfigur von Peta, weil er öffentlich erklärt hatte, dass die Tierhaltung in den meisten Zirkussen völlig in Ordnung sei. „Zirkusse sind die am schärfsten kontrollierten Betriebe in Deutschland“, sagt er. Die Peta-Aktivisten hält er für Heuchler: „Denen geht es nur ums Geld.“ Solche Kritik hat dem enormen Erfolg von Peta bisher nicht geschadet. Keine andere Spendenorganisation wird von so vielen prominenten Schauspielern und Sängern unterstützt. Deutsche Pop-Größen von Nena bis Maffay sind mit Peta der Meinung, man darf Tiere nicht einsperren. Die grüne Vorkämpferin Undine Kurth befolgt diesen Grundsatz sogar zu Hause. Die Freiheit ihrer Katze endete unter einem Auto.

Mitarbeit: Judith Blage

 

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