Haselmaus (Muscardinus avellanarius) auf einem Mittelmeer-Feuerdorn (Pyracantha coccinea) | Foto: Danielle Schwarz, Lizenz: CC BY-SA 1.0

Studie wirft neues Licht auf Domestikation

Exklusiv für zoos.media – 28.11.2019. Autor: Philipp J. Kroiß

Tiere domestizieren sich selbst – klingt komisch, ist aber so. Dieser Artikel thematisiert eine Studie und interessante Schlüsse, die man aus ihr ziehen kann.

Studie wirft neues Licht auf Domestikation

Mäuse sind oft Modellorganismen in Versuchen, die uns viel über Säugetiere generell sagen – auf ganz verschiedenen Ebenen. Eine Studie aus dem vorigen Jahr beschäftigte sich aber nicht mit Mäusen im Labor, sondern in der Natur und sie fand Erstaunliches heraus: wilde Mäuse scheinen sich selbst zu domestizieren. Das wirft das Bild von Domestikation, das in den Köpfen der meisten Menschen existiert, komplett über den Haufen.

Keine Einbahnstraße

Eine besondere Verbindung: Pfleger und Tier. | Foto: zoos.media, Lizenz: Erlaubnis vom Fotografen

Das aktuelle Bild von Domestikation ist: Mensch reißt Tiere aus der Wildbahn, isoliert sie von der Wildpopulation und macht sie sich durch Zuchtwahl zu eigen. Schon in den letzten Jahren bekam dieses Bild Risse und die Studie liefert einen Ansatz, der dieses Bild zerstört. Eine Population wilder Mäuse, die zwar Kontakt zu Menschen hatte, in die aber nicht durch Zuchtwahl eingegriffen wurde, zeigte Anzeichen von Domestikation. Die Mäuse domestizierten sich quasi selbst. Die Studie weist das wissenschaftlich nach.

Die Forscher vermuten, dass allein die Nähe zu Menschen bei den sozialen Wesen die Veränderungen bewirkt haben. Früher war man davon ausgegangen, dass allein die Zuchtwahl des Menschen dafür verantwortlich war, dass zum Beispiel Hunde heute so klar unterscheidbar von wilden Wölfen sind – optisch als auch verhaltensbiologisch. Diese Studie aber legt nah, dass es vielmehr ein aufeinander zu entwickeln von Tier und Mensch ist, was Tiere “domestiziert”. Der Eingriff des Menschen durch Zuchtwahl ist also nicht der limitierende Faktor der Domestikation.

Im bisherigen Narrativ rund um die Domestizierung, zeigte den Mensch meist wie eine Art Aggressor, der sich die Natur unterwürfig macht und dieser Narrativ bestimmte dann auch wie man mit Wildfängen umging. Erst in den letzten Jahrzehnten merkte man, dass man sich das Wildleben nicht mit Gewalt unterwürfig machen muss, sondern sogar wilde Elefanten mit allein positiver Verstärkung gut und nachhaltig an Menschenobhut gewöhnen kann – auf positiven Interaktionen basierende Mensch-Tier-Kontakte sorgten für problemlosen Umgang in direktem Kontakt und dies nicht nur mit den Wildfängen selbst, sondern auch mit ihren Nachkommen, die eben nicht mit Gewalt, sondern mit positiven Erfahrungen erzogen wurden.

Initiative von beiden Seiten

Tierlehrer Sonni Frankello beim Check der Mundhöhle eines Elefanten | Foto: LACEY Fund

Das Tier entwickelt sich zum Menschen hin und der Mensch antwortet darauf – so kam es wahrscheinlich zur Domestizierung, was sich dann wie eine Symbiose, also das Zusammenleben von Lebewesen verschiedener Arten zu gegenseitigem Nutzen, entwickelt hätte. Sobald also die Nähe zu Menschen Tieren einen gewissen Vorteil bringt, sorgen die Mechanismen der Evolution für eine entsprechende Entwicklung. Das zeigt also, dass das archaische Bild der Zähmung des Wolfes wahrscheinlich ziemlich krumm ist. Tatsächlich vermuten die Forscher heute, dass es einfach Wölfe gab, die durch die Nähe zum Menschen Vorteile zogen, woraus sich ein Selektionsvorteil ergab, wodurch sich diese Wölfe dann Merkmale zeigten, die wir auch heute bei Hunden sehen.

Es ist also nicht der Mensch, der den Willen und die Genetik einer Art brechen muss, um sie zu domestizieren, es reicht einer Population über Generationen Vorteile zu bieten, um sie an menschlichen Kontakt zu gewöhnen. Es ist quasi das Prinzip der positiven Verstärkung, aber eben über Tiergenerationen hinweg und konsequent durchgezogen – genau das haben die Forscher nämlich letztlich getan. Allein dadurch entstand schon Domestizierung und dies ganz ohne Zuchtwahl oder sonstige künstliche Eingriffe, die irgendwie die Tiere negativ beeinflusst hätten. Die wilden Mäuse zeigten selbst über die Generation hinweg, letztendlich auf eigenen Entschluss hin, Domestikationsmerkmale.

Studie erklärt viele Erfahrungswerte

Der gerettete Schweinswal Jack im Vancouver Aquarium. | Foto: Marcus Wernicke, Porpoise.org, Lizenz: CC BY-SA 4.0

Diese Studie erklärt viele Erfahrungen von Tierfreunden auf der ganzen Welt. So zeigen zum Beispiel Tiere, die positive Mensch-Tier-Kontakte hatten, einmal selbst einen Willen zu Nähe, aber auch bei ihren Nachkommen, gibt es dazu eine gute Chance – es ist sicher nicht immer der Fall, was im Angesicht der Vererbungslehre auch kein Wunder ist, aber man kann dies durchaus beobachten. Zum Beispiel im Zoo oder im Aquarium. Etwa gerettete Tiere, gewöhnen sich innerhalb weniger Monate an den Menschen und werden seine Nähe genießen, das werden auch die Nachkommen dann tun.

Je nach Tierart ist die Reversibilität dieses Prozesses unterschiedlich. Bei Schweinswalen scheint die Zeitspanne dafür sie sehr kurz zu sein, etwa von 6-12 Monaten berichten Schweinswal-Retter. Andere Tierarten kann man sogar nach Generationen wieder auswildern oder zumindest in einen Nationalpark entlassen, um sie dann wieder über Generationen zu entwöhnen, was aber natürlich nur funktioniert, wenn die Natur für die Tiere wirklich besser ist als der Kontakt zum Menschen. Tiere scheinen nämlich nicht unbedingt das vom Menschen unbeeinflusste Leben in der Natur vorzuziehen, obgleich viele Menschen ihnen das bis heute unterstellen, weil es schön in ihre allein schon deshalb fragwürdige Ideologie passt.

Das zeigt und auch: Koexistenz von Mensch und Tier kann nicht nur funktionieren, sondern ist sogar gewollt. Mensch und Tier können sich – wie übrigens auch andere Tierarten, die symbiotische Beziehungen eingehen – aneinander ohne jeden Zwang gewöhnen und sich aufeinander zu entwickeln. Das zeigt aber auch wie wichtig es ist, Mensch-Tier-Kontakte positiv zu gestalten – es beeinflusst nicht nur das individuelle Verhalten, sondern das einer ganzen Population. Die bloße Existenz des Menschen in der Natur ist also nicht schlecht oder schädlich für die Tierwelt, denn sie kann und will sich sogar an den Menschen gewöhnen. Das Schlimme und Falsche sind nur die negativen Mensch-Tier-Kontakte, die beide Seiten prägen.

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