Vaquita | Foto: Paula Olson (NOAA), Lizenz: public domain

Vaquitas dem Aussterben überlassen

Exklusiv für zoos.media – 15.07.2021. Autor: Philipp J. Kroiß

Katastrophale Entscheidung für den Artenschutz: aufgrund politischer Entscheidungen ist das letzte Rückzugsgebiet der Vaquitas nun weit weniger sicher.

Vaquitas dem Aussterben überlassen

Das Vaquita-Schutzprojekt hatte schon immer einen Konstruktionsfehler: der Einfluss von Zoogegnern und weiteren Teilen der Tierrechtsindustrie, prominent vertreten durch Sea Shepherd. Sie hatten in ihrer Selbstüberschätzung behauptet, man könne und müsse die Tiere ja nur in der Wildbahn schützen und so die Fangaktion durch diesen Populismus sabotiert. Es sollte stattdessen ein Schutzgebiet eingerichtet werden, in dem es keine Toleranz für Fischerei gäbe. Sea Shepherd konnte sich so als Schützer dieses Reservats aufspielen und sich selbst als Retter der Vaquitas inszenieren. Für die Organisation sicher ein einträgliches Geschäft, für den Schutz der Tiere war es eine Katastrophe.

Reservat nahezu abgeschafft

Vaquitas stehen unmittelbar vor ihrer Ausrottung. | Foto: Paula Olson (NOAA); Lizenz: public domain

Laut 9NEWS ist dieser besondere Schutzstatus für das Gebiet nun aufgehoben. Die Schutzmaßnahmen, die schon immer auf wackeligen politischen Entscheidungen fußten, sind nun weitestgehend zurückgenommen worden. Alex Olivera, der mexikanische Repräsentant des Center for Biological Diversity, sieht darin das Ende dieses Null-Toleranz-Konzepts für das Gebiet. Nun könnten dort praktisch duzende Boote hineinfahren bevor irgendwas passiert. Aus Kreisen der Artenschützer hört man nun Aussagen wie: “Es scheint, dass die Fischereibehörden den Vaquita zum Aussterben bringen wollen.”

Das mexikanische Umweltministerium hatte dazu verlauten lassen, dass der Rückgang der Anzahl von Vaquitas und des Gebiets, in dem sie in den letzten Jahren gesehen wurden, eine Reduzierung der Schutzzone rechtfertige. Das folgt der Logik, dass man nicht mehr so viel Gebiet schützen muss, wenn ohnehin weniger Tiere da sind und ist eine Konstante der mexikanischen Politik. Es ist keine Überraschung, dass dies nun passieren würde. Deshalb wollte man ja eine Ex-Situ-Population der Tiere aufbauen, aber die Tierrechtsindustrie wehrte sich mit Händen und Füßen, streute Lügen, verbreitete Desinformation und föhnte dem Populismus.

Will Sea Shepherd die letzte Überlebenschance der Vaquitas zerstören?

Eine letzte Chance?

Der Schwarzfußiltis (Mustela nigripes) wurde auch durch die Arbeit von Zoos vor dem Aussterben gerettet. | Foto: Kimberly Fraser / USFWS Mountain-Prairie, Lizenz: CC BY 2.0

Es wäre nun an der Zeit, dass die Tierrechtler den echten Experten das Feld überlassen, denn, wenn der Lebensraum nicht hinreichend geschützt wird, müssen die Tiere aus diesem Lebensraum heraus. Dazu ist ein langfristiges Ex-Situ-Projekt von Nöten, an deren Anfang der Fang aller auffindbaren Tiere steht. Was sich drastisch anhört, hat bereits Arten das Leben gerettet: 1985 fing man die letzten Schwarzfußiltisse auf diesem Planeten – alle, die man finden konnte – und begann ein Zuchtprojekt. Auf Basis von 18 Gründertieren konnte man in sechs Jahren so weit kommen, dass es bereits 1991 die ersten Auswilderungen gab. Inzwischen leben wieder hunderte dieser Tiere in der Natur. Die Art gilt als von Zoos gerettet.

Ein ähnliches Projekt wäre auch für die Vaquitas möglich und wahrscheinlich deren letzte Chance. In Menschenobhut kann man stark bedrohten Tieren sehr gut durch so einen genetischen Flaschenhals helfen – das haben sie bei vielen Arten getan, die dann gerettet werden konnten. Moderne Zuchtmethoden sind sehr gut dazu geeignet bei, sich um solche Arten zu kümmern. Das ist ein Prinzip, das funktioniert und das Zoos und Aquarien auch auf die Vaquitas anwenden wollten. Weil die ersten Fangversuche nicht so ideal verliefen, was eben nun mal passieren kann, hetzte man gegen diese letzte Chance so enorm, dass man abbrach.

Wer nun die letzten Vaquitas retten will, muss diese schädliche Blockadehaltung aufgeben. Wer allerdings weiter auf “Schutz im Lebensraum” hofft, leugnet einfach die Realität und hofft auf ein Wunder. Klar: Wunder gibt es immer wieder, aber ist das der Weg von seriösem Artenschutz, lieber auf Wunder zu hoffen als einem schon häufig erfolgreichem Projektmodell zu folgen? Sicher nicht. Die Piraten-Romantik von Sea Shepherd hat Schiffbruch erlitten und je eher man sich das eingesteht, je eher findet man auch Lösungen zur Rettung der Tiere. Wenn man eine ohnehin zum Aussterben verdammte Population komplett einfängt, macht es aber ohnehin wenig Unterschied, ob das Projekt nun klappt oder nicht: Aussterben ist ja bereits garantiert und viel schlimmer kann der Versuch dann auch nicht ausgehen. Wer kämpft kann verlieren, aber wer nicht kämpft, hat schon verloren.

Prinzipielles Problem

Ein Vaquita – ohne moderne Zoos hätte seine Art wohl keine Chance mehr auf Überleben | Foto: Paula Olson (NOAA), Lizenz: public domain

Ideologie stört im Artenschutz – es geht darum in einem sachlichen Wettbewerb der Ideen, die beste Lösung zu finden. Das ist wissenschaftliches Vorgehen und so erreicht man Ziele: das haben Zoos und Aquarien schon häufig vorgemacht. Die Tierrechtsindustrie ist aber für das Einschleichen einer falschen Ideologie in den Artenschutz verantwortlich, nämlich die Idee, dass man wirklich umfassend Tiere nur im Lebensraum schützen brauchte, dann würde schon alles wieder gut werden. Diese Naivität ist tödlich – tödlich für Arten, wie man es nun an den Vaquitas sehr gut zeigen kann. Zudem widerstrebt diese Ideologie schon dem kleinen Einmaleins des Artenschutzes.

Um Arten umfassend zu schützen, braucht es Projekte in situ, also im natürlichen Lebensraum, sowie ex situ, also außerhalb des natürlichen Habitats – das ist auch im so genannten One Plan Approach der Weltnaturschutzunion (IUCN) festgeschrieben. Warum ist das so? Am besten kann man das an einer Insel erklären. Auf Inseln trifft man so genannte endemische Arten, die wirklich nur auf dieser Insel vorkommen. Sobald es nun eine wie auch immer geartete Naturkatastrophe auf der Insel gibt, der den Tieren die Lebensgrundlagen nimmt (Futter, Lebensraum, Fortpflanzungsmöglichkeiten und so weiter), ist die Art funktional ausgestorben. Wenn man dann aber eine Ex-Situ-Population managt, ist dies nicht der Fall und die Art hat eine reelle Chance doch zu überleben, denn die Tiere werden in Menschenobhut gezüchtet, der Lebensraum wird wieder lebensfreundlich gemacht und man wildert Tiere wieder aus.

Nun leben die Vaquitas nicht auf einer Insel, aber das Schutzgebiet ist so etwas wie ihre Insel gewesen – eine sehr fragile noch dazu. Die ist nun metaphorisch versunken. Wenn die Vaquitas deswegen aussterben, wurden sie nicht wegen irgendwem anders als von den Personen, die gegen umfassenden Artenschutz waren, vom Planeten getilgt. Das zeigt wie sehr der Artenschutz diese Ideologie loswerden muss. Umfassender Artenschutz kann langfristig nicht mehr wie eine Feuerwehr agieren, sondern sollte prophylaktisch eingesetzt werden. Das bedeutet, Arten müssen nicht erst eine Back-Up-Population bekommen, wenn das sprichwörtliche Kind schon fast im Brunnen liegt. Hätte man mit Fangaktionen schon früher beginnen dürfen, wäre es nie so weit gekommen. Eine rechtzeitige, umfassende Aktion scheiterte aber an dieser gefährlichen Ideologie, auf die wir hier nochmal sehr ausführlich eingesehen:

Ist es nicht besser, die Tiere nur in ihren natürlichen Lebensraum zu schützen?

Artenschutz geht nicht gegen die lokale Bevölkerung

Es ist kein Geheimnis, dass die Fischerei für die Vaquitas ein Problem ist und es ist genauso keines, dass die lokale Bevölkerung diese Fischerei nun man auch zum wirtschaftlichen Überleben braucht. Daher sind lokal viele Menschen gegen das Projekt eines Null-Toleranz-Schutzgebiets. Wenn aber die lokale Bevölkerung nicht mitspielt, helfen auch keine Hollywoodschauspieler mit White-Savior-Attitüde, die Filmchen über die Arten machen. Gerade dieser Umstand, der für das Projekt seit Jahren ein Problem ist, erzwingt ja schon den Aufbau einer Back-Up-Population ex situ und auch schon lange bevor die Zahlen so mies waren.

Der soziale Aspekt wird gerade beim Artenschutz umso weniger mit bedacht, je weiter Menschen vom Projekt entfernt sind. Häufig denkt man – gerade in Zentraleuropa: “Das ist ja was Gutes, die Art da vor Ort zu erhalten, da wird schon keiner was gegen haben.” Das ist eben falsch und daher ist es so wichtig, dass die lokale Bevölkerung mit ins Boot geholt werden kann. Ein Artenschutzprojekt, das wirtschaftlich negativ für die Region ist, wird sich auf Dauer nicht halten. Brecht hat das auf die vulgäre Formel gebracht: “Erst kommt das Fressen, dann kommt die Moral.” Das muss man bedenken. Dieser Realität, die viele gerne vor lauter Ideologie vergessen, muss man sich stellen. Daran sieht man auch: In-Situ-Schutz ist immer fragil.

Es braucht einfach auch Zeit, lokal sozial wie wirtschaftlich für eine Verträglichkeit mit dem Projekt zu sorgen, denn das wird auch eine notwendige Bedingung der Wiederansiedlung sein. Mit einer Ex-Situ-Zuchtpopulation geht das viel einfacher, weil es dann eben eine Sicherheit gibt und man im Zweifelsfall nicht so unter enormem Zeitdruck steht. Auch an dieser “Front”, wenn man das so nennen will, hat Sea Shepherd gnadenlos versagt – klar: “against all odds” macht sich ja bei der Selbstvermarktung viel besser als auf die zuzugehen, die man vorher als “die Bösen” inszeniert hat. Auch hier haben Zoos und Aquarien bereits bessere Lösungen gefunden. Dazu sollte man sich aber eben gerade nicht als Kämpfer inszenieren und genau an diesem Selbstbild krankt Sea Shepherd seit seiner Gründung und ist deshalb zwar für sich selbst erfolgreich, sie vermarkten sich selbst und ihre Modelinie prima, aber eben nicht für Tiere.

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