Gefleckte Weichschildkröte in Menschenhand | Foto: Prof. Thomas Ziegler

Die Weichschildkröten und das Aussterben

Exklusiv für zoos.media – 01.02.2021. Autor: Philipp J. Kroiß

Neben vielen anderen Arten liegen auch Weichschildkröten dem Kölner Zoo am Herzen. Dieser Artikel beschäftigt sich mit dem Engagement zu ihrem Schutz.

Die Weichschildkröten und das Aussterben

Weichschildkröte klingt wie Widerspruch, stellen sich Menschen doch Schildkröten, aufgrund des meist optisch sehr präsenten Panzers immer hart wie Stein vor. Weichschildkröten sind aber auch deshalb faszinierend, weil sie genau diesen Widerspruch leben. Während der Evolution haben sie nämlich ihr Knochenpanzergerüst reduziert und die harte Keratinschicht auf dem Panzer wieder verloren, weshalb ihr Panzer eher weich und lederartig ist. Dazu sind die Seiten und der hintere Teil des Panzers biegsam.

Der Vorteil, den diese Panzerrückbildung für die Tiere hatte, liegt damit auf der Hand: sie gewinnen dadurch an Beweglichkeit. Dazu haben sie einen recht langen und biegsamen Hals, am Ende der zusätzlich mit scharfen Kiefern versehene Kopf, was sie auch noch wehrhafter macht, aber gleichzeitig auch zu erfolgreicheren Beutegreifern, denn bei diesen Schildkröten steht tierische Kost hauptsächlich auf dem Speiseplan. Auch das ist wieder ein Bruch mit dem Schildkröten-Klischee, das viele Menschen im Kopf haben.

Wehrhaft, aber bedroht

Diese Natur der Weichschildkröten, die nicht selten als Boshaftigkeit oder Aggressivität fehlinterpretiert wird, nutzt den Tieren aber nichts gegen die Zerstörung, Fragmentierung und Verschmutzung ihrer Lebensräume. Von der größten Vertreterin ihrer Familie, der Jangtse-Riesenweichschildkröte, gibt es weniger als eine Handvoll Exemplare. Sie steht kurz vor dem Untergang. Aktuell setzt man auf künstliche Besamung, um sie doch noch retten zu können.

Ebenfalls massiv bedroht ist die Nubische Klappen-Weichschildkröte. Etwas weniger, aber leider immer noch bedroht sind die Pfauenaugen-Weichschildkröten, Ganges-Weichschildkröten und die Chinesische Weichschildkröten. Noch gibt es ein paar nicht bedrohte Arten, wie etwa die Florida-Weichschildkröte, aber das ist nichts, worauf man sich als Artenschützer ausruhen kann und sollte.

Ein gefleckter Funken Hoffnung

Gefleckte Weichschildkröte “grinst” in die Kamera. | Foto: Prof. Thomas Ziegler

In der Februar/März- Ausgabe der Aquarien- und Terrarienzeitschrift DATZ berichten der Kölner Aquariumsleiter Prof. Thomas Ziegler mit seinen Kollegen Tao Thien Nguyen, An Vinh Ong, Cuong The Pham und Truong Quang Nguyen von ihrem erfolgreichen Projekt zum Schutz der Gefleckten Weichschildkröte. Das Projekt zeigt nämlich wie gut sich der One Plan Approach der Weltnaturschutzunion (IUCN) anwenden lässt, um Arten zu retten, wenn sich ein harmonierendes Team gefunden hat und dadurch ein ineinandergreifendes Netzwerk entstanden ist.

Im Jahre 1997 machte Thomas Ziegler im Rahmen seiner Doktorarbeit in Nordvietnam eine besondere Entdeckung: besonders intensiv gefleckte Weichschildkröten. Damals hielt man sie noch für besonders farbenfrohe Vertreter der bedrohten Chinesischen Weichschildkröte,. Schließlich ergaben weitergehende morphologische und vor allem molekulare Untersuchungen dann doch, dass diese Tiere Vertreter einer eigenen Art war. Das wurde im Jahr 2019 bestätigt und die Art als Pelodiscus variegatus wissenschaftlich beschrieben.

Die große Frage in Zeiten, in denen Arten mittels moderner Analysemethoden leichter entdeckt werden, aber leider auch durchaus bereits im Rückgang befindlich sind und z.T bereits als ausgestorben erklärt werden müssen, war natürlich die große Frage: Gibt es denn überhaupt noch frei lebende Gefleckte Weichschildkröten nach ihrer ersten Sichtung vor über 20 Jahren? Gefördert durch den Kölner Zoo und die European Union of Aquarium Curators (EUAC) begab sich das deutsch-vietnamesische Team noch im gleichen Jahr, in dem die Schildkröte ihren Artenstatus bekam, auf die Suche nach diesen besonderen Weichschildkröte in ihrem Hauptverbreitungsgebiet Vietnam.

Knapp 40 Tiere konnten entdeckt und analysiert werden, denn rein optisch ist es gerade bei dieser Gruppe Weichschildkröten gar nicht so einfach zu erkennen, zu welcher Art sie genau gehören. Im Angesicht dieser Schwierigkeit bewiesen die Experten trotzdem ein gutes Auge: über 20 Tiere waren tatsächlich Gefleckte Weichschildkröten. Man hatte sie teils auf Märkten, in Restaurants oder auf Farmen ausfindig machen können und quasi vor dem Kochtopf gerettet, denn Weichschildkröten isst man in Asien ganz gerne.

Funktioniert die Zucht?

Statt auf den Teller ging es für die geretteten Schildkröten in die schon seit Jahren mit dem Kölner Zoo kooperierende Me-Linh-Station für Biodiversität in Nordvietnam. Als Back-Up brachte man aber eine Gruppe der Tiere in eine weitere Haltung, um auf Nummer sicher zu gehen. Hat man nur eine Haltung, kann zum Beispiel der Ausbruch einer Krankheit oder ein technischer Ausfall verheerend sein. Auch wecken solche besonderen Wildentnahmen Begehrlichkeiten bei Menschen, die es nicht so gut mit den Tieren meinen wie der Kölner Experte und sein Team und der Aufbau verschiedenere Haltungen, auch zur Sicherheit, machen Sinn.

Dann ging es ganz schnell: 2020 gab es nämlich schon das erste Gelege und im Juni erblickte der erste Nachwuchs das Licht der Welt. Die Zucht funktioniert sogar so gut, dass man die Nachkommen nun auf weitere Stationen in Vietnam verteilen kann. Dazu kann man sogar schon mit einigen Schlüpflingen die Wildpopulationen aufstocken, denn man konnte auch inzwischen solche nachweisen, die allerdings solche Unterstützung gut vertragen können.

Aus dem Funkel soll ein Lauffeuer werden

Gefleckte Weichschildkröte (Pelodiscus variegatus) | Foto: Prof. Thomas Ziegler

Um die Wildpopulationen noch besser zu unterstützen, nachdem durch die Zucht ein Feuer der Hoffnung entfacht worden ist, sollen genau diese wichtigen Zuchtbemühungen ausgeweitet werden – und das international. So soll die Art auch bald in Zoos und Aquarien in Europa zu bestaunen sein, denn diese Institutionen hatten das Projekt ja überhaupt erst möglich gemacht. Zudem sorgt so eine breite Aufstellung für mehr Reservepopulationen.

„Aktuell arbeiten wir anhand der bei den Exkursionen erhobenen Daten an einer Habitat-Analyse für P. variegatus. Schon jetzt kann gesagt werden, dass die Art in Seen mit fachen Ufern und weichen Böden zu fnden ist, in Flüssen in der Kulturlandschaf, aber auch in mittelgroßen Bächen im Sekundärwald. Leider zeigten nahezu alle bewohnten Lebensräume Spuren menschlicher Beeinträchtigung, ob nun Fischerei, Abholzung oder Umwandlung der natürlichen Vegetation und Verschmutzung, z. B. mit Plastikmüll.“ – Ziegler et al. (2021) in: DATZ

Mit den Tieren soll aber nicht nur ihre Haltung verbreiteter werden, sondern auch ihr Schutz verbessert werden können, indem man die Haltung auch mit in situ Engagement verknüpft. Die Art begeistert nämlich auch Menschen dadurch, wie sie aussieht und besonders wie sie Besucher anschauen kann. So soll auch emotional eine Brücke zwischen Europa und Vietnam gebaut werden, wenn sich Menschen für diese Art begeistern lassen und dann natürlich auch so Spenden zur Stärkung der dezimierten Wildtierpopulationen fließen. Ebenso sollen dadurch weitere Forschungen ermöglicht werden.

Genetik und Artenschutz

Prof. Thomas Ziegler vom Kölner Zoo im Einsatz für Gefleckte Weichschildkröten | Foto: Prof. Thomas Ziegler

Was man an den Gefleckten Weichschildkröten auch ganz gut beispielhaft sehen kann, ist die Bedeutung der Genetik im Artenschutz, die häufig unterschätzt wird. Landläufig hält sich die Meinung, dass optische Unterschiede eine Art ausmachen würden. Solche morphologischen Zuordnungen sind aber längst von der Wissenschaft eingeholt worden, denn, ob Art oder nicht, entscheidet zu einem Großteil die Genetik.

Der Vorteil eines solchen genetischen Profils ist wie der eines Fingerabdrucks in der Kriminalistik: man kann Lebewesen objektiv identifizieren. Das wird besonders wichtig bei geschmuggelten Tieren, die selten mit Beschreibung der Art in die Hände der Ermittler gelangen. Auch aktuell kümmern sich Prof. Ziegler und sein Team im Kölner Zoo um so eine spezielle, unfreiwillige Lieferung an Weichschildkröten.

Gäbe es nun dieses genetische Profil nicht, wären selbst die Experten aufgeschmissen, denn besonders Chinesische Weichschildkröten-Jungtiere lassen sich kaum zweifelsfrei unterscheiden. Das muss man ja aber, um ihnen nicht nur ein gutes, neues Zuhause zu schenken, weit ab und sicher von und vor gefährlichen Schmugglern, die sicher nicht das Beste für die Tiere im Sinn haben, sondern auch um nur Tiere ein und derselben Art zusammenzupflegen, um Hybridisierung vorzubeugen. Zudem könnte es sein, dass unter den geschmuggelten Tieren ja auch stärker bedrohte Arten aus diesem Komplex dabei wären.

Gleichzeitig ist die genetische Zuordnung aber auch für eine Auswilderung der Tiere selbst oder ihrer Nachkommen wichtig: „Vorherige Auswilderungen ohne genetische Analysen bargen die Gefahr, Tiere an ungeeigneten Stellen auszusetzen bzw. an Örtlichkeiten, an denen bereits andere, nicht kompatible taxonomische Linien ansässig sind“, erklärt Prof. Ziegler. So lässt sich vielleicht die furchtbare Straftat, wegen der die Tiere nun in Köln sind, in etwas Gutes umwandeln: die Stärkung des Artenschutzes.

Chinesische Zacken-Erdschildkröte (Geoemyda spengleri) im Kölner Zoo | Foto: zoos.media

Wie das geht haben die Zackenerdschildkröten schon vorgemacht. Diese (Hartschildkröten, wenn man so will, um sie von den Weichschildkröten abzugrenzen) kamen auch durch Beschlagnahmung in den Kölner Zoo und dort konnten Zuchtgruppen etabliert werden. Für diese soll nun eine regionale Zuordnung herausgefunden werden, damit man weiß, wo genau sie herkommen und damit man die Nachkommen der Tiere auch an den richtigen Orten wieder irgendwann auswildern kann, sollte das einmal erforderlich werden. Die IUCN listet diese Art EN.

Und wer weiß, vielleicht findet man ja unter den geretteten beschlagnahmten Tieren besonders bedrohte Populationen bzw. Arten, die dann für debn Aufbau einer Erhaltungszucht genutzt werden können, um schließlich wieder ihren Weg zurück in die Natur zu finden. Immer mehr werden in Zuchtprojekte auch die Privathalter eingebunden, wie etwa bei dem Programm Citizen Conservation. All das geschieht mit dem Ziel für die Weichschildkröten, sowie viele andere Tierfamilien auch, eine Zukunft auf diesem Planeten in der Natur zu sichern.

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