Erschienen auf El Español am 31.03.2017. Autor: Javier Peláez
Ein Artikel von El Español erklärt mit Bezug auf eine wissenschaftliche Untersuchung europäischer Delfinarien, die Interpretationsmöglichkeiten der Ergebnisse. Nun hier die deutsche Übersetzung.
Übersetzung (Fotos von zoos.media hinzugefügt):
Die Angst der Delfine vor der Freiheit: im Zoo sind sie viel glücklicher
Eine neue Studie des Loro Parque auf Teneriffa widerlegt die Theorie, dass die Tiere in Gefangenschaft zu mehr Stress ausgesetzt sind. Dies bestätigen Cortisolhormonmessungen, deren Absonderung eine physiologische Reaktion auf Gefahren darstellt.
Mehr als 6 Millionen Liter Wasser verteilen sich in einem System von sechs großen mit einander verbundenen Becken, die den Lebensraum einer Gruppe von elf Delfinen im Loro Parque auf Teneriffa bilden. Am Rand eines dieser Becken werden wir von Javier Almunia, Doktor der Biologie und Experte für Bioakustik von Walen, empfangen. “Anders als bei einem großen Pool bringt ein System mehrerer miteinander verbundener Becken mehr Möglichkeiten die soziale Gruppe vereint zu halten.”
Aus einem der Tunnel, der dieses Wassersystem verbindet, schwimmt einer der Delfine, er nähert sich dem Rand, um uns zu beobachten … es scheint, dass wir nicht so interessant für ihn sind, da er nach wenigen Sekunden verschwindet, auf der Suche nach einem der Bälle, die im Wasser treiben, und beginnt damit zu spielen.
Seit vielen Jahre wird der Glaube propagiert, dass Delfine in Gefangenschaft akutem Stress ausgesetzt sind und damit ihr Leben unmöglich ist. “Es ist eine absurde Idee, die jedoch zu einige Sektoren durchgedrungen ist, und die Arbeit, die in Aquarien und Zoos geleistet wird, ohne wissenschaftlichen Grund nur in Verruf bringt”, sagt Almunia, der auch Direktor der Fundación Loro Parque ist.
Im November 2015 initiierte ein Team von Forschern und Biologen des Parks ein Projekt zur Bestimmung des Cortisolspiegels bei Delfinen, um damit zu bestimmen, unter welchen Bedingungen bei Tieren in menschlicher Obhut Stress entsteht.
Die Frage, die sich zunächst stellt, ist offensichtlich: Wie misst man Stress bei einem Delfin?
“Das klarste und signifikanteste Merkmal bei Wirbeltieren ist das Cortisol”, erklärt Javier Almunia, “ein Hormon, das vom Organismus ausgeschieden wird, als physiologische Reaktion auf Gefahrsituationen oder Veränderungen in der Umgebung.”
Es gibt verschiedene Merkmale, wie die Herzfrequenz oder die Körpertemperatur, aber das Cortisolniveau ist von allen Indikatoren das genauste für Stress bei Wirbeltieren. Die Ursprungsidee des Projektes, welches bereits zwei Jahre andauert, war eine Studie auf europäischer Ebene durchzuführen, um die größte Anzahl von Proben von neun verschiedenen Zoos, verteilt über den gesamten Kontinent, zu erhalten. “Bis heute wurden die Untersuchungen immer mit kleinen Gruppen von Tieren durchgeführt und man weiß nicht, ob diese Ergebnisse signifikant sind”, sagt Almunia.
Die neue Studie umfasst nicht nur 59 Tiere (30 Weibchen und 29 Männchen) aus verschiedenen europäischen Einrichtungen, sondern auch ein System zur effektiveren Sammlung von Proben der Stressmessung. „Bisher war es üblich das Cortisol im Blut zu messen, aber diese Extraktionsmethode kann bei den Tieren den Stress erhöhen, weswegen wir eine harm-und schmerzlose, nicht invasive Methode bei den Delfinen anwenden: die Speichelmessung”.
Die Verwendung von Speichelproben bei der Cortisolspiegelmessung ermöglicht es den Forschern verschiedene Werte zu unterschiedlichen Zeiten zu ermitteln, ohne das Tier zu stören oder ihm zu schaden, indem durch Blutabnahme Stress ausgelöst wird.
In der Biologie als basales Cortisol oder basalen Cortisol Bereich bezeichnet, stellt das normale Stressniveau dar, unter dem sich ein Lebewesen bewegen sollte. „Bei Delfinen bewegt sich der basale Bereich zwischen ‘Nicht nachweisbar’ (Situationen in denen der Delfin so ruhig ist, dass das Cortisollevel im Speichel durch das Labor kaum nachweisbar ist) und 0,3 Nanogram pro Milliliter. Dies sind die Werte, die das normale Cortisolniveau darstellen!“, erklärt Almunia.
Von November 2015 bis Juni 2016 ließen die neun europäischen Aquarien, welche die gleiche Methode anwenden, die Speichelproben ihrer Delfine von einem unabhängigen Labor der autonomen Universität Barcelona analysieren.
Die Ergebnisse dieser europäischen Studie, die beim 45. Internationalen Symposium der Europäischen Vereinigung für Wassersäugetiere (European Association for Aquatic Mammals) in Genua vorgestellt wurden, sind klar und eindeutig: 95% der Speichelproben weisen einen Cortisolspiegel innerhalb des normalen Stressniveaus auf. Darüber hinaus lag bei 49%, von über 600 Proben, das Cortisolniveau so niedrig, dass es im Labor nicht festgestellt werden konnte.
“Anfangs war es nicht das Ziel zu wissen, ob Delfine in menschlicher Obhut mehr oder weniger Stress haben, als Delfine in Freiheit. Eigentlich wollten wir den Bereich des basalen Cortisols finden, also das normale Maß an Stress bei einer großen Stichprobe von Delfinen in Aquarien“, sagt der Biologe, “auf diese Weise bekommt jeder Forscher oder Betreuer, der den Stress bei seinen Tieren messen will, einen klaren Bezugswert dafür, was ein normales Niveau ist und er kann so Änderungen des physischen Zustands seiner Tiere erkennen“.
Allerdings ist die Studie mit den bestätigten Cortisoldaten nicht beendet, ein zweiter Schritt erschien logisch: Die erfassten Stresswerte der Delfine in den Aquarien mit denen der Tiere in freier Wildbahn zu vergleichen.
Glücklicherweise gibt es in Sarasota Bay, Florida, eine bekannte Gruppe wilder Delfine, die seit Jahrzehnten, Teil verschiedener Untersuchungen sind und deren Cortisolwerte gespeichert wurden.
Das Stressniveau dieser wilden Delfine zeigt auch im Bereich der Normalwerte des Cortisols im Vergleich ein bisschen mehr Stress als bei Delfinen in menschlicher Obhut. “Die so erfassten Proben der Delfine in Freiheit wie die der in Gefangenschaft, waren innerhalb der normalen Parameter und sich ähnlich. Tatsächlich weisen die Proben der Delfine in Gefangenschaft bis zu 25% weniger Cortisol auf als die derer in Freiheit”, sagt Javier Almunia.
Die Cortisolspiegel, die in den vergangenen zwei Jahren im Delfinarium aufgezeichnet wurden, liegen zwischen null (nicht nachweisbar) und 0,373 ng/ml, während die, der freien Delfine zwischen 0,091 und 0,421 ng/ml.
“Dass Delfine in Freiheit mehr Stress haben, beendet auf einmal alle Fragen”, folgert Almunia. “Letztendlich, wenn man darüber nachdenkt, ist es logisch: Ein Tier in freier Wildbahn muss zu jeder Zeit wachsam sein: Es muss sich um die Nahrung kümmern (Hunger ist einer der Faktoren, der den Cortisolspiegel erhöht und daher ein großer Stressfaktor), es muss immer wachsam sein, um sich gegen Raubtiere oder unerwartete Angriffe zu verteidigen und natürlich muss es auch Fischerboote und Netze meiden, etc.”.
Im Gegensatz dazu haben Delfine in europäischen Einrichtungen Bedingungen, die die ganze Zeit über gleich sind. Dies reduziert erheblich den Stress. Sie müssen sich nicht um externe Bedrohungen kümmern, das Wasser wird ständig gereinigt, um Kontamination zu verhindern und sie werden jeden Tag gefüttert. “Die gemessenen Cortisolspiegel sind niedriger, weil die Tiere nicht ständig wachsam sein müssen. Zur zeitweiligen Erhöhung des Stresses kommt es durch Streitigkeiten in der Gruppe, Alfa-Männchen oder Krankheiten”.
Darüber hinaus will Dr. Almunia die Gelegenheit nutzen, „ein bisschen die negativen Effekte von Stress in der Natur zu entmystifizieren. Lebewesen haben ihre Warnmechanismen als Reaktion auf unerwartete Veränderungen in ihrer Umgebung. Dies ist eine natürliche Reaktion und ist notwendig für das Überleben jedes Tieres. Schädlich ist, chronischer Stress, wenn dieser chronisch wird und die Stresssituation sich zeitlich verlängert und anfängt schädlich zu beeinflussen … Nun, dank dieser Studie haben Halter ein nützliches Werkzeug, um damit besser auf unsere Delfine aufpassen zu können.“
“Die Studie bestätigt, dass Delfine in menschlicher Obhut in Anlagen und Zoos nicht an chronischem Stress leiden, ihre Cortisolspiegel sind normal und sogar niedriger als bei Gruppen in freier Natur. Aber ich befürchte, dass die urbane Legende vom Stress der Delfine in Gefangenschaft weiterhin ihre Runde machen wird. Trotz wissenschaftlicher Beweise, der letzten Jahrzehnte, sind diese Mythen nicht einfach zu zerstören.”
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