Erschienen in DIE WELT am 27. Dezember 2008. Autor: Michael Miersch
Bernhard Blaszkiewitz war der Zoodirektor der beiden Berliner Zoos. Michael Miersch sprach mit ihm über über das Verhältnis von Evolution und Religion. Denn diese beiden schließen sich laut Blaszkiewitz nicht unbedingt aus.
Im kommenden Jahr wird Darwins 200ster Geburtstag gefeiert und das 150jährige Jubiläum der Ertauflage seines Buches „Die Entstehung der Arten“. Bernhard Blaszkiewitz, Deutschlands bekanntester Zoodirektor, wird mitfeiern. Doch er teilt den philosophischen Materialismus nicht, den viele seiner Kollegen aus der Darwinschen Evolutionslehre herleiten. Denn er ist gläubiger Christ.
Blaszkiewitz leitet beide Berliner Zoos. Der östliche ist der größte, der im Westen zeigt die meisten Tierarten und beherbergt Knut, das berühmteste Zootier der Welt. Mit Blaszkiewitz sprach Michael Miersch.
Ist Knut ein Geschöpf Gottes?
Blaszkiewitz: Alle Tiere sind Geschöpfe Gottes.
Sie sind Katholik und Darwinist, geht das?
Blaszkiewitz: Selbstverständlich. Darwin selbst war Theologe und glaubte an Gott. Als Schöpfer aller Dinge hat Gott auch die Naturgesetze erschaffen. Der evolutionäre Prozess mit Mutation, Selektion und allem was dazu gehört ist Gottes Werk. Durch Gott sind die Naturgesetze vernünftig.
Werden die Religionen mit wachsender naturwissenschaftlicher Erkenntnis immer schwächer?
Selbst wenn wir einmal wissen werden, was vor dem Urknall war, wird es weiterhin Religion geben, weil der Mensch ein Bedürfnis nach Transzendenz hat. Wir möchten, dass unser Leben in welcher Form auch immer über den Tod hinaus eine Bedeutung besitzt. Es gibt sehr wenige echte Atheisten, denen das tatsächlich egal ist.
Die Geschäftsgrundlage der Evolution ist der Kampf ums Dasein. Das klingt ziemlich unchristlich.
Blaszkiewitz: Konrad Lorenz hat einmal darauf aufmerksam gemacht, dass die Demutsgeste der Wölfe der Aufforderung Jesu entspricht, die andere Wange hinzuhalten. Der unterlegene Wolf hält dem anderen die Kehle hin, doch der wendet sich ab.
Warum sind Sie kein Kreationist geworden?
Blaszkiewitz: Einige Kreationisten haben die Schwachstellen in der Evolutionstheorie zielsicher erkannt. Es fehlen manche Übergänge, zum Beispiel vom Becherauge zum komplexen Auge. Doch diesen noch nicht vollständig aufgeklärten Phänomenen stehen Jahr für Jahr mehr Belege für den evolutionären Prozess gegenüber. Wir können ihn immer genauer nachweisen.
Die Evolution ist ein Anpassungsprozess. Sie verfolgt kein Ziel. Wie ist das mit dem göttlichen Prinzip vereinbar? Gott hat doch einen Plan.
Blaszkiewitz: Warum Gott seinen Plan auf diese oder jene Weise verwirklicht, können wir nicht begreifen. Vieles übersteigt unseren menschlichen Horizont. Warum muss Gott seinen Sohn erst Mensch werden, dann am Kreuz sterben und auferstehen lassen, um uns zu erlösen? Der Heilsplan erschließt sich uns nicht. Ich akzeptiere das.
Hat die Evolution also doch ein Ziel?
Blaszkiewitz: Ich glaube nicht, dass sie ziellos und planlos verläuft. Es gibt für alles einen Grund. Die Richtung verläuft zu höherer Komplexität. Es gibt kein Zurück.
Wenn der Mensch das Ebenbild Gottes ist, warum muss er sich erst aus dem Affen entwickeln?
Blaszkiewitz: Am Ende jedes Schöpfungstages heißt es: „Und Gott sah, dass es gut war.“ Es ist so, weil es Teil des Göttlichen Heilplans ist.
Offenbart sich Gott in der Natur?
Blaszkiewitz: Ja, in der Natur und auch in jedem Menschen. Sogar in denen, die mich ärgern.
Empfinden Sie Momente der Andacht, in der Natur?
Blaszkiewitz: Die Der Blick in den Ngorongoro-Krater oder auf die Niagarafälle lässt mich andächtig werden. Das empfinde ich sehr tief, obwohl ich ein eher nüchterner Mensch bin. In der Erhabenheit der Natur steckt etwas Göttliches.
Braucht der Mensch Tiere für seine Seelenruhe?
Blaszkiewitz: Davon bin ich fest überzeugt.
Warum ist Knut Kult?
Blaszkiewitz: Eine Echse wäre sicherlich nicht so populär geworden.
Weshalb nicht?
Blaszkiewitz: So beliebt werden nur große und langlebige Tiere. Meistens welche, die im Zoo geboren wurden, die das Publikum bereits als Baby kennt. Manchmal identifizieren sich die Menschen mit so einem Tier. Das berühmte Nilpferd Knautschke war auch deswegen so populär, weil es zu den wenigen Zootieren gehörte, die Krieg überlebt hatten. Knautschke war einer von uns, einer der den ganzen Wahnsinn durchgemacht hatte und nun den Frieden und den Wohlstand genoss.
Kann man solchen Kult gezielt auslösen?
Blaszkiewitz: Nein. Knut ist ein gutes Beispiel, denn der Rummel um ihn war überhaupt nicht geplant. Wir wurden überrascht davon. Natürlich kann man ein bisschen unterstützen, dass ein Tier populär wird. Aber so ein gewaltiges Interesse, das kann man genauso wenig planen, wie man ein erfolgreiches Musikstück planen kann. Da schwingt etwas Unerklärliches mit. Die beiden Eisbärenbabys in Nürnberg und Stuttgart waren auch populär, aber es hat dort nicht solche Formen angenommen.
Haben Sie eine Vermutung, was den besonderen Zauber ausmacht?
Blaszkiewitz: Zunächst mal war er ein ganz besonders süßes Baby. Ein Eisbär sieht nicht aus wie der andere. Dann natürlich Herr Dörflein, der sich so rührend gekümmert hat, aber andererseits sehr männlich und cool wirkte. Der Knut-Kult hat ein Bedürfnis nach heiler Welt erfüllt. Wenn man Tag für Tag mit Nachrichten über Krisen, Kriege und Katastrophen bombardiert wird, ist einfach wunderbar, einem drolligen kleinen Eisbären zuzusehen. Eines der seltenen positiven Themen.
Genießen Sie den Knut-Kult?
Blaszkiewitz: Wir Zooleute würden die Aufmerksamkeit des Publikums gern mal auf ganz andere Tiere leiten. Im Nachttierhaus zeigen wir erstmals seit 91 Jahren wieder ein madagassisches Fingertier, eine seltene und seltsame Lemurenart. Dafür kann man jedoch nur Kenner begeistern.
Ist Zootier-Kult eine Berliner Spezialität?
Blaszkiewitz: Es gibt einige ähnliche Phänomene in anderen Städten, aber nicht so extrem wie in Berlin. Die Berliner sind Tierfanatiker.
Bleibt Knut nun in Berlin?
Blaszkiewitz: Alle wollen es, die Bevölkerung und auch der Aufsichtsrat des Zoos. Ich kann es jedoch nicht bestimmen. Die Entscheidung liegt beim Zoo Neumünster. Weil das Vatertier aus Neumünster stammt, ist dieser Zoo laut Zuchtvertrag Knuts Eigentümer.
Wie empfinden Sie als Naturwissenschaftler diese Vermenschlichung von Tieren?
Blaszkiewitz: Wenn einige in Knut einen Messias der Eisbären sehen, kann ich das nur schwer nachvollziehen. Aber ein gewisses Maß an Vermenschlichung ist völlig normal. Jeder Hundebesitzer tut das. Zu Tieren, die ich häufig sehe, entwickele ich auch so eine Haltung. Tiere lösen nun mal Gefühle aus. Man muss ich im Klaren sein, dass vieles davon subjektiv ist. Aber nicht alles Subjektive ist falsch.
Aber wenn Sie den Knut-Faktor für den Zoo nutzten, unterstützen Sie letztlich auch die absurden Auswüchse.
Blaszkiewitz: Das ist eine Frage des Maßes. Wir dürfen den Unterschied zwischen Mensch und Tier nicht verwischen. Sonst leisten wir abwegigen Forderungen Vorschub, wie „Menscherechte für Menschenaffen.“
Wozu brauch man überhaupt noch Zoos? Schließlich gibt es gibt immer perfektere Tierfilme. Und immer mehr Menschen können sich Reisen zu den schönsten Naturgebieten der Erde leisten.
Blaszkiewitz: Im Zoo ist man dem Tier nahe, man riecht es, das ist etwas anderes als einen Film zu sehen. Zoos erfüllen ein Bedürfnis nach einem Stück Natur in einer urbanen Umwelt. Zoos sind keine Natur, sondern ein Naturersatz, Notausgänge zur Natur, wie der Zoologe Heini Hediger mal gesagt hat. Außerdem dienen sie der Bildung und der Forschung. Drei Viertel unseres Wissens über Wildtiere, haben wir durch Tiere in menschlicher Obhut gewonnen. Inzwischen haben Zoos obendrein eine Funktion im Artenschutz, indem sie bedrohte Tierarten am Leben erhalten.
Wird Knut sich überhaupt der Arterhaltung dienen? Er ist doch völlig auf Menschen geprägt.
Blaszkiewitz: Bei einigen Tierarten, insbesondere Vögeln, ist die Handaufzucht tatsächlich ein Problem, weil die sich nicht mehr zu ihnen Artgenossen hingezogen fühlen. Bei Bären hat man jedoch sehr gute Erfahrungen gemacht. Wenn Knut das erste paarungsbereite Weibchen riecht, wird er sich wie ein ganz normaler Bär verhalten.
Es gibt im Zoos kein „Survival of the fittest“. Sie setzen die Evolution außer Kraft
Blaszkiewitz: Das stimmt, wenn ein Tier bei uns krank wird, behandeln wir es. Die natürliche Auslese wird ausgeschaltet. Aber was sich in Zoos abspielt ist im Zeitmaß der Evolution geringer als eine Sekunde. Das hat keinen Einfluss auf das große Geschehen.
Die Spezies Mensch setzt für sich ebenfalls die Evolution außer Kraft. Wir heilen unsere Kranken, gleichen körperliche Mängel durch Brillen und andere Hilfsmittel aus. Werden wir degenerieren?
Blaszkiewitz: Es ist gut, dass wir uns der Evolution nicht unterwerfen. Wir haben die Pflicht zur Nächstenliebe. Ich glaube auch nicht, dass wir dadurch degenerieren. Menschen sind die vielseitigsten Säugetiere. Unser Erfolg als Art kommt durch das große Gehirn.
Warum soll man Arten erhalten? Bitte einmal aus naturwissenschaftlicher und einmal aus christlicher Sicht.
Blaszkiewitz: Naturwissenschaftlich aus Eigennutz. Jedes Tier ist Teil des ökologischen Gefüges. Die Welt wird nicht untergehen, wenn es nur noch zwei statt fünf Nashornarten gibt. Dennoch hat jedes Tier einen sinnvollen Platz im Ganzen. Aus religiöser Sich gilt der Gedanke der Mitgeschöpflichkeit. Wir dürfen Gottes Werk nicht zerstören.
Wie respektier man Tiere?
Blaszkiewitz: Indem man sie gut behandelt. In meinem Beruf bedeutet das, indem man sie so unterbringt, dass sie sich wohl fühlen. Ein Mensch der rücksichtslos zu Tiere ist, verroht. Darauf hat schon Kant hingewiesen.
Haben Tiere eine Würde?
Blaszkiewitz: Ja. Als Kind habe ich noch Zirkusvorstellungen gesehen, wo Elefanten mit Beatles-Perücken und Bären im Ballettröckchen auftraten. Solche lächerlichen Darbietungen gibt es zum Glück kaum noch. In unseren Zooläden finden Sie keine dieser Ansichtskarten, auf denen Katzen mit Brillen oder Schimpansen auf dem Klo zu sehen sind.
Kommen Tiere in den Himmel?
Blaszkiewitz: In den Paulinischen Briefen heißt es: „Die ganze Schöpfung wird an der ewigen Seligkeit Teil haben.“
Haben Zootiere eine ähnliche Bedeutung wie in früheren Zeiten Reliquien und Ikonen in den Kirchen?
Blaszkiewitz: Da gibt es durchaus eine Gemeinsamkeit. Menschen brauchen das Signum. Sie brauchen etwas, was sie sehen können.