Gorilla Bachelor in Paignton Zoo in Devon (2009) | Foto: xlibber, Lizenz: CC BY 2.0

Gorilla-Dame Koko: Konnte sie Zeichensprache?

Exklusiv für zoos.media – 23.06.2018. Autor: Philipp J. Kroiß

Nach dem Tod vom weiblichen Gorilla Koko setzt sich dieser Artikel mit ihrem Leben auseinander und wirft einen Blick auf die doch sehr zweifelhafte Forschung an der Gorilla-Dame.

Gorilla-Dame Koko: Konnte sie Zeichensprache?

Gefühlt die ganze Welt war in Trauer als Gorilla-Dame Koko verstarb und gleich begann die Mystifizierung des Tieres. Ihr wurde unterstellt, Gebärden-/ oder Zeichensprache beherrscht zu haben oder gar hochintelligent gewesen zu sein. Nun, mit etwas Abstand zum zweifelsohne traurigen Ereignis, muss aber auch die Wahrheit den Mythos wieder ersetzen lassen. Dieses ganze Gewese um die liebenswerte Gorilla-Dame ist nämlich Ergebnis hochgradig unseriöser Wissenschaft.

Koko & Patterson

Francine Patterson ist die treibende Kraft hinter der Mystifizierung, die sie schon zu Lebzeiten zielstrebig vorantrieb. Koko wurde schon von Anfang an von ihr fehlgeprägt. 1971, Kokos Geburtsjahr, traf Patterson  das erste Mal auf Koko und begann ihr Zeichensprache beizubringen, wie sie selbst sagte. Schon damals begann die Vermenschlichung und setzte sich fort. 1974 wurde Koko, statt bei Gorillas aufzuwachsen, nach Stanford gebracht.

Als Patterson dem Zoo das Tier zurückgeben sollte, weigerte sie sich. Eine Gerichtsverhandlung und ein PR-Desaster fürchtend, willigte der Zoo ein, dass Patterson Koko adoptieren durfte. Für 12.500$ wechselte der fehlgeprägte Gorilla den Besitzer und würde auch weiterhin keine Chance auf ein artgemäßes Leben haben, weil er nun in den Händen einer fragwürdigen Wissenschaftlerin war, die den Gorilla für eine Art Mensch mit Fell hielt und dementsprechend auch der Öffentlichkeit verkaufte.

Nun begann die kommerzielle Vermarktung ihrer Idee, die die Gorilla-Dame weltbekannt machte. Jeder war beeindruckt von der ach so menschenähnlichen Koko und wie praktisch, dass es da eine Stiftung gab, in der sich die Begeisterung für das Tier für Patterson und ihre Kollaborateure in bares Geld umwandeln ließ.

Sprachbenutzung nie bewiesen

Patterson baute ihre Existenz auf einem Mythos auf und dieser Mythos musste gepflegt und bewahrt werden. Sie inszenierte sich als Wissenschaftlerin und ihre “Forschung” als “am längsten laufende Interspezies-Kommunikation”. Kritik aus der wissenschaftlichen Gemeinschaft gab es zu Hauf und gipfelte unter anderem in der Veröffentlichung “Why Koko Can’t Talk” als der Gorilla 11 Jahre alt war. Die Veröffentlichung führte zu einem handfesten Streit, der inzwischen fast vergessen ist.

Patterson brachte demgegenüber selbst Pseudo Science heraus. Es war Pseudo-Wissenschaft, weil sie nie wirkliche Daten herausbrachte, sondern das Herz erwärmende Filme. Ohne Daten war es nie möglich, ihre “Wissenschaft” in irgendeiner Weise nachzuvollziehen oder zu überprüfen. Man könnte dahinter Kalkül vermuten oder sogar ein Eingeständnis der Lüge hineininterpretieren.

Fest steht: In keinster Form konnte Patterson je durch Daten und Fakten nachweisen, dass Koko Zeichensprache verstand oder tatsächlich benutzen konnte. Patterson hat Kokos Leben also komplett vergeudet und außer ein paar wissenschaftlich völlig wertlosen Videos, wird nichts bleiben.

Taschenspieler-Tricks für einen Mythos

Man kann Tieren unglaublich viel beibringen durch Training und auch sehr einfach den Anschein erwecken, das jeweilige Tier würde Sprache verstehen. Das ist für einen geübten Trainer unglaublich einfach und sogar Laien können zum Beispiel einen Hund auf auditive Signale wie “Sitz!” trainieren. Dass Tiere reagieren, bedeutet aber noch lange nicht, dass sie das Gesagte wirklich verstehen.

Hier sieht man in einem Video wie sie angeblich ein neues Zeichen lernt:

Wir haben hier eigentlich positive Bestärkung fast wie aus dem Lehrbuch. Sie beginnt die Session mit der Gebärde für Gras und Koko reagiert mit einer Gebärde für Blumen, zeigt dabei aber nur auf eine Stelle des Tuchs, die interessanterweise genau eine Stelle ist, von der sie später erfahren wird, dass es sich bei der Abbildung um einen Schmetterling handelt. Blumen befinden sich viel weiter unten am rechten Rand oder auf gleicher Höhe am linken Rand.

Ein anschließendes an der Nase kratzen, wird mit “Fake” übersetzt. Das ASL-Zeichen für Fake geht aber völlig anders; Koko bewegt ihre Hand nach der Nasenberührung nach (von ihr aus gesehen) rechts, müsste sie aber nach (von ihr aus gesehen) links bewegen. Koko hat also schon zweimal Beweise geliefert, dass sie nichts von dem versteht oder beherrscht, was man ihr unterstellt.

Das Lernen des neuen Zeichens besteht dann aus purer Nachahmung, die von der Trainerin erst korrigiert und dann sekundär positiv bestärkt wird. Wir sehen in diesem Video kein Anzeichen dafür, dass Koko wirklich versteht, was sie sagt, sondern das Anwenden und die Wahrnehmung als “Lernen” basiert völlig auf der Interpretation der Trainerin, und anders kann man sie in dieser Situation kaum nennen, in das Tier. Nüchtern betrachtet hat Koko hier zweimal versagt und einmal imitiert, was dann positiv bestärkt wurde.

Wer trainiert hier wen?

Es gibt aber auch Video, in denen Koko primär bestärkt wird. Für etwas Herumklimpern auf einem Klavier gibt es ein Leckerli:

Interessant ist, dass sie das Leckerli regelrecht verlangt, denn hier nutzt sie die Gebärde für Futter, die am einfachsten zu trainieren ist. Aber auch das heißt nicht, dass sie sie verstanden hat. Sie hat nur in der Trainingssituation die Erfahrung gemacht, dass sie bei dieser Geste Futter bekommt und wiederholt das bei Bedarf – das ist trainierbar mit jedem Tier, dass zu so einer Geste physisch fähig ist. Als dann das Futter nicht kommt verweigert sie weiteres Klimpern auf dem Klavier regelrecht.

Das ist ein klassischer Fehler, den viele laikalen Trainer machen: Die trainieren nicht das Tier, sondern das Tier trainiert den Menschen und das ist die Gefahr, wenn man eine Gebärde für Futter trainiert, denn wie reagiert man dann? Das Tier muss ja positiv bestärkt werden für das richtige Benutzen der Geste und so kommt man in einen Teufelskreis, in dem der Trainer zum lebendigen Futterautomaten für das Tier wird.

Letztendlich spricht diese Szene sehr dafür, dass Koko ihrer Trainerin eher beigebracht hat, sie mit Belohnungen zu versorgen. Das Tier hat letztendlich registriert, dass ihr gewisse Gesten zu einer bestimmten Zeit positive Bestärkung bringen – genau wie der Hund, der auf “Sitz!” reagiert. Für wirkliches Verständnis der Zeichen oder Gebärden spricht das nicht.

Die Frage nach der Ethik

Die Koko-Videos haben alle eines gemeinsam: es gibt kein Scheitern. Es ist ein bisschen wie in diesen Trick-Shot-Videos, wo unmögliche Schüsse mit einem Ball immer auf Anhieb zu klappen scheinen. Dass es teils 49 andere Takes gab, indem das nicht geklappt hat, nötig waren, erfährt man dann nur, wenn man nachfragt. Da wir keinerlei Daten, sondern nur diese Videos haben, die nie wirklich Scheitern dokumentieren, man aber aus Training mit Gorillas und anderen Tieren weiß, dass nicht alles auf Anhieb klappt, ist das alles enorm unglaubwürdig.

Es gibt nicht den leisesten Hinweis darauf, dass Koko je Gebärdensprache benutzt oder beherrscht hat. Es handelte sich, nach allem, was man in den Videos sieht, um ein trainiertes Tier. Patterson hat dafür gesorgt, dass es keine wissenschaftlichen Daten gab und sie ist wohl eher als trainierende Tierfilmerin zu bezeichnen anstatt als Forscherin. Jetzt stellt sich die Frage, wie ethisch es ist, so etwas zu tun.

Tiere für Versuche zu nutzen, an denen sie freiwillig teilnehmen, ist völlig legitim und die Trainingssessions werden Koko vielleicht sogar Spaß gemacht haben, aber sie hatte ja auch keine andere Wahl. Bei Forschungen in Zoos und Aquarien haben die Menschenaffen, mit denen man arbeitet, noch ein anderes Leben. Der Forscher macht ein Angebot und wenn die Tiere keine Lust haben, machen sie nicht mit und kommen wieder zu ihren Artgenossen und leben da in einer natürlichen Gruppe. Koko wurde von Anfang an völlig fehlgeprägt und hatte kein anderes Leben in einer natürlichen Gruppe mit Artengenossen, sondern war nur Haustier.

Vor dem Hintergrund ist auch fraglich, ob selbst wenn wir Daten von ihr hätten, sie aufgrund dieser offensichtlichen Fehlprägung überhaupt verwertbar wären. In modernen Zoos und Aquarien achtet man darauf, dass die Tiere, selbst bei Handaufzuchten, ein artgemäßes Leben führen dürfen: in einer Familiengruppe, auf einer naturnahen Anlage mit entsprechenden Sozialkontakten. Die Zeiten, in denen Menschenaffen vermenschlicht wurden, sind in Zoos dankenswerterweise längst vorbei.

Was bleibt?

Was ist also Kokos “Vermächtnis”? Filmchen, die zwar zweifelsohne anrührend sind, aber auch Versagen dokumentieren. Wissenschaftlich völlig wertlos zeigen sie einen trainierten Affen, der die erlernten Trick reproduziert. Zweifelsohne kritisch muss man hier auch die Rolle des Zoos in San Francisco hinterfragen und nachforschen, warum er das überhaupt zuließ. Dabei muss man aber auch berücksichtigen, dass man damals nicht wusste, was man heute weiß und auch wohl kaum einer für möglich gehalten hatte, wie die Forscherin das Tier (aus)nutzen würde.

Ebenfalls bleibt eine Schuld für Patterson, die nicht ordentlich gearbeitet hat, um Daten zu sammeln, die verwertbar waren, sondern anscheinend lieber ihren Traum vom Gorilla als Haustier verwirkt hat. Sie hat dadurch jeden wissenschaftlichen Wert, den die Erschließung des Tieres für die wissenschaftliche Forschung unter Umständen hätte haben können, unmöglich gemacht und das, obgleich wir dringend sinnvolle und verwertbare Forschung mit Gorillas benötigen, um die Tiere optimal schützen zu können.

Zu hoffen bleibt, dass Koko im Rahmen ihrer Fehlprägung trotzdem ein Leben führen konnte, das ihr irgendwie gefiel. Training von Gorillas ist ja nicht per se schlecht – wir wissen aus Zoos, dass viele Gorillas Training mögen. Allerdings ist fraglich wie sich diese Erkenntnisse aus der Zootierhaltung übertragen lassen in diese doch völlig andere Haltung bei Patterson. Diese Frage wird auch wohl offen bleiben, weil auch dazu keine Daten über Koko verfügbar gemacht wurden.

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