Kamel in Melodys Kinderparadies | Foto: zoos.media

mundus ferus: Sind Kamele noch Wildtiere oder doch schon längst Haustiere?

Exklusiv für zoos.media – 03.12.2024. Autor: Dr. K. Alexandra Dörnath & Dr. habil. Joachim Scholz

Seit Jahrtausenden leben Kamele zusammen mit den Menschen. Aber sind sie Haustiere? In unser Serie haben sich die beiden Experten das mal ganz genau angesehen.

Geheimnisumwitterte Leisetreter aus erdgeschichtlicher Tiefenzeit:
Sind Kamele noch Wildtiere oder doch schon längst Haustiere?

Evolution und Geschichte: Geheimnisse um ihre Domestikation

In Geschichte wie auch in Naturgeschichte ist es so eine Sache mit Kategorien. Es macht Spaß, daraus einen virtuellen Schubladenschrank zu zimmern, schafft aber häufig Probleme, die real existierenden Tiere, Menschen und Zeitenwenden im Fach festzuhalten. Was sind Arten, Familien und Zäsuren in der kurzen Episode der Menschheit wie auch im Leben eines einzelnen Menschen? Das Mittelalter zum Beispiel, die Ära der adeligen Panzerreiter, nahm allmählich, unmerklich, seinen Anfang. Fortschritte der Waffentechnik ignorierten Zeitmarken, die Historiker im Nachgang setzten; hier etwa, in Carrhae, dem heutigen Harran im Türkisch-Syrischen Grenzgebiet, nahe gelegen den Bruchlinien moderner Konflikte.

Trampeltiere und Dromedare anlässlich eines Gastspiels von Circus Knie in Frankfurt im Sommer 2018 | Foto: PD Dr. Joachim Scholz

Im Jahre 53 vor Christi vernichteten eintausend Ritter des Partherreiches, die man zu jener Zeit noch Kataphrakten nannte, eine ganze römische Armee. Die in den Worten Barbara Tuchmans “schrecklichen Würmer in ihrem Kokon” (TUCHMAN 1980) waren dabei nicht allein. Es gab auf Seiten der Parther berittene Bogenschützen, neuntausend an der Zahl, und eine Spezies, die den Taxonomen neuerdings Kopfschmerzen bereitet. Für den unerschöpflichen Nachschub an Pfeilen, die den Römern die Sonne verdunkelten, sorgten laut Plutarch etwa eintausend Kamele. Heute erst wissen wir, dass es sich bei diesen Wüstenschiffen vermutlich weder um Dromedare noch um Trampeltiere gehandelt haben dürfte. Vielmehr waren es Hybride, fruchtbare Kreuzungen beider Arten (POTTS 2004) mit dem wohlklingenden Namen Tulu. Bevor wir darauf zurückkommen, verlaufen wir uns erst in der verwirrenden Geschichte der Kamele und folgen den Fäden mit einem langen Blick zurück bis ins Eozän, geologisch gesehen: die Zeit der Morgenröte.

Bei den wenigen überlebenden Arten der Familie der Camelidae (Kamele) in Südamerika, Afrika und Asien, handelt es sich ursprünglich, wenn es nach den Paläontologen geht, um echte “Gringos”. Die heutige Verbreitung ist neuzeitlichen Ursprungs, befeuert durch das teilweise vom Menschen verursachte pleistozäne Massenaussterben, und so ist auch die geringe Artenvielfalt unserer Zeit in der Naturgeschichte der Kamele außergewöhnlich. Heute leben weltweit nämlich nur noch sechs Kamelarten, von denen vier Spezies domestiziert sind.

Innerhalb der Paarhufer (Artiodactyla) werden die Kamele als Unterordnung namens “Schwielensohler” (Tylopoda) kategorisiert. Schwielensohler sind fast gar nicht zu hören, wenn sie gehen. Sie sind also “Leisetreter” und stehen den Wiederkäuern (Ruminantia), den Schweineartigen (Suina) und den Flusspferden (Ancondonta), aber auch ihrer verblüffenden Verwandtschaft, den Walen (Cetacea), die nichts weiter als Paarhufer im Wasser sind und die wiederum gemeinsam mit den Ancodonta zu den Cetancodonta zusammengefasst werden, gegenüber (siehe auch MORALES-GARCIA et al. 2020). Kamele finden sich also innerhalb der Artiodactyla einigermaßen isoliert wieder; die morphologische Ähnlichkeit zu den Ruminantia, den Wiederkäuern, täuscht (SPAULDING et al. 2009).

Schädel eines Dromedars | Foto: Sven Tränkner, SGN, Verwendungserlaubnis: mundus ferus

Erstmalig nachgewiesen ist die Familie der Camelidae im oberen Eozän Nordamerikas und sie erscheinen dort, je nach Autor, vor etwa “bereits” 40 oder “erst” 36 Millionen Jahren. In der Folge waren Kamele, obwohl rund 30 Millionen Jahre lang auf Nordamerika beschränkt, sehr erfolgreich. Man kennt insgesamt 95 Arten, 35 Gattungen und fünf Unterfamilien. Nach drei Radiationen, also Phasen der Artenentstehung, erreichten Kamele den Höhepunkt ihrer Diversität mit einer vierten Radiation im Verlaufe des Miozäns, wo 13 Gattungen und 20 Arten die Weiten Nordamerikas besiedelten. Dort machten ihnen verschiedene Bärenhunde (Amphicyonidae) von teils riesiger Größe, zusätzlich auch felide und barboroufelide Säbelzahntiger nebst wie Wölfe aussehende hemicyonine Bären (Hundebären) und eine große Artenzahl borophaginer Kaniden das Leben schwer. Letztere sind knochenbrechende Hunde, eine im Pliozän ausgestorbene Unterfamilie der Canidae. Die größten von ihnen – Vertreter der Gattung Epicyon – erreichten die Abmessungen, wenn auch nicht das Gewicht, von Braunbären (WANG et al. 2008).

Der vierten Radiation im Miozän entstammen auch die Vorfahren der Unterfamilie Camelinae, der Altwelt-Kamele, und der Lamini, das sind die Neuwelt-Kamele. Ihr weiteres Schicksal war bemerkenswert parallel. Im mittleren Miozän und wie gesagt in Nordamerika beheimatet, entfalteten sich beide Subfamilien anschließend im Pliozän. Beide Gruppen besiedelten dabei andere Kontinente, derweil die nordamerikanischen Vertreter im oberen Pleistozän ausstarben.

Die Camelini erreichten Asien und Afrika bereits im obersten Miozän, also vor weniger als sieben oder acht Millionen Jahren, während die Lamini in Südamerika später ankamen, nämlich im unteren Pliozän vor etwa fünf Millionen Jahren. (Zusammengefasst nach AGUSTÍ u. ANTÓN 2002, REYNA 2005, HARRIS et al. 2010, WHEELER 2012, CROFT u. SIMEONOVSKI 2016, WEBB & MEACHEN 2004).

Von einer detaillierten Diskussion der Anatomie und Morphologie der Kamele sehen wir an dieser Stelle ab und verweisen auf HERRE und RÖHRS (2013). Vielleicht aber sollte nicht unerwähnt bleiben, dass die ersten Kamele des Eozäns bequem in einer Gartenvoliere Platz gehabt hätten, denn sie waren nur etwa 30 Zentimeter hoch. Hätte es im Eozän Katzentransportboxen und Tierarztpraxen gegeben, dann hätten diese Miniatur-Kamele in einer solchen Box zur Behandlung gebracht werden können. Erdgeschichtlich später entstanden elefantengroße, wenn auch nicht ganz elefantenschwere, Riesenformen, die auf so schöne Namen wie “Gigantocamelus” und “Megacamelus” hörten, sowie minder wuchtige Gattungen wie “Aepycamelus”, die äußerlich eher an kleine, grazile Giraffen erinnerten. Zudem gab es Formen, die man äußerlich vielleicht mit einer sehr kleinen weiblichen Impala oder einer anderen hornlosen Gazelle hätte verwechseln können. Die stenomylinen “Gazellen”-Kamele gab es nur im Miozän und nur in Nordamerika, dort immerhin aber mit drei Gattungen (FRICK u. TAYLER 1968).

Guanako mit Straußen vom Zirkus Charles Knie | Foto: PD Dr. Joachim Scholz

Was Südamerika betrifft, so werden aus heutiger Zeit von den Taxonomen vier Arten südamerikanischer Camelidae (SAC) anerkannt. Zwei dieser Andenkamele sind wild lebende Arten, die beiden anderen domestizierte Spezies. Dabei repräsentieren Guanako (Lama guanicoe) und Vikunja (Vicugna vicugna) die beiden Wildtierarten, während Alpaka (Lama pacos statt Vicugna pacos, siehe BARRETA et al. 2012) und Lama (Lama glama) die beiden Haustierspezies sind. Letztere stammen beide vom Guanako ab (HERRE u. RÖHRS 2013), daher ist “Lama” die korrekte Gattungsbezeichnung.

Das Vikunja besitzt Wolle wie Gold – es hat die kostbarste Naturfaser der Welt. Diese wird bei der alle zwei Jahre stattfindenden traditionellen Schur von seinem Rücken wie auch Hals gewonnen, oft in einer Zeremonie mit dem Namen Chaccu. Hierfür werden die in den Hochtälern der Anden wild lebenden Tiere eingetrieben.

Die beiden domestizierten Arten sind nach neuerer Erkenntnis Hybridspezies. Mehr noch: Nach aktuellen Untersuchungen, basierend auf der Auswertung mitochondrialer DNA, ging das Vikunja wohl ab und zu mit der domestizierten Verwandtschaft fremd, weshalb sich seine Gene aus diesem Grund vor allem in Alpakas wiederfinden (BARRETA et al. 2012, YACOBACCIO 2021, mit Literaturhinweisen). Demnach wäre das Alpaka wohl aus einer Hybridisierung von Lamas mit Vikunjas hervorgegangen.

Zuvor hatte bereits HEMMER (1983) auf die unklare Abstammungslinie des Alpakas hingewiesen und vier teils unvereinbare Hypothesen dazu diskutiert: 1. Alpaka als Haustierform des Vikunjas, 2. Alpaka als Haustierform des Guanakos, die durch Weiterzüchtung vom Lama aus entstanden sein sollte, 3. Mischprodukt aus Vikunja und Lama oder 4. Abstammung von einer dritten, heute ausgestorbenen Wildart zwischen Guanako und Vikunja als Alpaka-Vorfahr. Studien von Verhalten und Vokalisation überzeugten HEMMER (1983), dass vermutlich der Hypothese Nummer 3 der Vorrang einzuräumen sei, was gut zu den erwähnten Ergebnissen aus Molekularer Taxonomie passt.

Dromedar im Zoologischen Garten Berlin (2004) | Foto: Florian Lindner (SuperFLoh), Lizenz: CC BY-SA 3.0

Wie dem auch sei: Genaue Verwandtschaftsverhältnisse der SAC sind bis heute umstritten. In jedem Fall erfolgte die Domestikation von SAC nach Maßstäben der Menschheitsgeschichte schon vor langer Zeit. Die frühesten archäozoologischen Befunde datieren bislang auf etwa 7100 vor Christi. Diese Proto-Lamas waren größer als die heutigen Vertreter. Von der Südküste Perus sind etwa 1000 Jahre alte Trockenmumien sowohl von Lamas als auch von Alpakas überliefert. (Zusammengefasst nach REYNA 2005, WHEELER 2012, YACOBACCIO 2021). Der Vollständigkeit halber sei erwähnt, dass das Alpaka auch “Teddybär-Kamel” genannt wird und der Name für die Hybridform aus Lama und Alpaka Huarizo lautet.

Nun wenden wir uns den Altweltkamelen zu, und hier wird es nun erst richtig kompliziert. Beim Arabischen Kamel oder Dromedar (Camelus dromedarius) sind Fossilien einer Wildform vorerst noch unbekannt. Funde von Camelus thomasi aus dem Altpleistozän von Algerien erscheinen zu fragmentarisch, um sie sicher einer der beiden rezenten domestizierten Arten zuzuordnen (HARRIS et al. 2010, MARTINI et al. 2017).

Die ältesten sicheren Nachweise der heutigen domestizierten Dromedare stammen aus der Nähe von Abu Dhabi und sind auf etwa 4000 vor Christi datiert. Vor 3100 Jahren wurden Dromedare als Reittiere im nördlichen Arabien zunehmend beliebter, vornehmlich für Überfälle, und als Kavallerie wurden sie mit großem Erfolg von dem Achämeniden-Großkönig Kyros II gegen König Krösus eingesetzt. Die Pferde der Lyder scheuten der Chronik der Herodotus zufolge, als sie der Dromedare gewahr wurden (YILMAZ et al. 2011). Vor 2000 Jahren wurden Dromedare auch für den Transport von Gütern über die Seidenstraße eingesetzt (HARRIS et al. 2010, MARTINI et al. 2017, POTTS 2004). Und heute ist das Dromedar eigentlich jedem wohlbekannt durch seine Abbildung auf einer Zigarettenschachtel.

Die bereits erwähnten Reiterarmeen der Parther, Alptraum römischer Legionäre und Nemesis des Marcus Licinius Crassus, verwendeten beim Römermetzeln erstmals Hybride von Camelus dromedarius und Camelus bactrianus. Solche Mischformen, die bereits erwähnten Tulus, waren in der Folgezeit bei unterschiedlichen Kulturen in den Regionen des heutigen Irans und Aserbaidschans weit verbreitet. In der Zeit des Osmanischen Reiches (1299-1923) kamen mitunter bis zu 60.000 Kamele einschließlich Tulus als “militärische Schwerlasttransporter” zum Einsatz (YILMAZ et al. 2011).

Tulu-F1-Hengste beim Kamel-Wrestling-Festival in Izmir (2018) | Foto: Maurizio Dioli, Lizenz: CC BY 4.0

Tulus sind – ähnlich wie Maultiere – aufgrund des Heterosis-Effektes stärker, größer, belastbarer. Sie sind also Kamele von kräftigem Wuchs, den sie vom Trampeltier haben, und einem sehr großen Höcker, der vom Dromedar stammt (POTTS 2004). Sie werden heute insbesondere in den Ländern gezüchtet, in denen sich die Verbreitungsgebiete der beiden Großkamelformen überschneiden, um besonders kräftige und große Arbeitstiere zu erzeugen. In der Türkei werden mancherorts solche männlichen Hybride für das sogenannte Kamelringen, einem traditionellen Kamelkampf (türk. Deve güreşi) in Westanatolien, eingesetzt. Diese “Kampfkamele” (türk. Tülü deve) entstammen väterlicherseits dem zweihöckrigen Trampeltier und mütterlicherseits dem einhöckrigen Dromedar. Während männliche Trampeltiere zwischen 500 und 650 Kilogramm und männliche Dromedare zwischen 400 und 600 Kilogramm Körpermasse haben, erreichen die männlichen Hybride bis zu 1200 Kilogramm (YILMAZ et al. 2011).

In diesem Lichte sind möglicherweise die beiden domestizierten Kamelarten der Alten Welt auf zwei Unterarten der ominösen Wildform Camelus ferus zurückzuführen – was auch immer das ist. Denn der Ursprung des Trampeltieres, Camelus bactrianus, ist wegen der schwierigen Unterscheidung von der wild lebenden Form Camelus ferus ebenfalls nicht leicht. In der Mitte des vierten Jahrtausends vor Christi war Camelus bactrianus in Turkmenistan als bereits domestiziertes Nutztier in Gebrauch und vielleicht auch schon früher, nämlich in der neolithischen Xinglongwa-Kultur der Inneren Mongolei von etwa 6100 bis 5300 vor Christi. (Zusammengefasst nach POTTS 2004, SAMPSON 2008, HARRIS et al. 2010).

Wild lebende Trampeltiere in der Provinz Ömnö-Gobi-Aimag in der Mongolei | Foto: Arabsalam, Lizenz: CC BY-SA 4.0

WÖRNER (2019) verweist darauf, dass neuere Eingruppierungen die Art C. bactrianus in zwei Unterarten untergliedern: nämlich in C. bactrianus ferus, die Wildform, und in C. bactrianus bactrianus, die domestizierte Form. Mongolische und uigurische Nomaden (Autonomes Gebiet Xinijang/Westchina) gaben nach WÖRNER (2019) beiden Unterarten immer verschiedene Namen. Die Haustierform von C. bactrianus nennen sie Trampeltier und die Wildform Khavtgai. Die Mutmaßung, dass es sich bei den Khavtgai lediglich um verwilderte Hauskamele handele, wurde durch DNA-Analysen in Frage gestellt (WÖRNER 2019). Folgt man der Argumentation von JI et al. (2009), handelt es sich bei der vom Aussterben bedrohten Unterart Camelus bactrianus ferus in Wirklichkeit um eine eigene Art, die nicht sonderlich nahe mit den domestizierten Kamelen verwandt ist. Letztere werden in sechs Unterarten untergliedert, die aber nicht vom Wildkamel, Camelus ferus, abstammten. Letzteres erscheint im phylogenetischen Stammbaum nunmehr als Schwestertaxon (JI et al. 2009).

Aber das ist nur eine Meinung unter so vielen. Ob die von Nikolai Mikhailovich Przhevalsky, eingedeutscht Nikolai Michailowitsch Prschewalski oder Przewalski, im Jahre 1873 dokumentierte Art Camelus ferus, das Wildkamel, ein echtes Wildtier ist, oder ob es sich analog zum Przewalski-Pferd (Equus przewalskii) als verwildertes Haustier herausstellt (vgl. YUAN et al. 2020, mit Literaturhinweisen), sei dahingestellt. Aber wer weiß: Vielleicht wird den Camelidae ja doch irgendwann das Geheimnis ihrer Haustierwerdung entlockt. Populationsgenetiker versuchen jedenfalls, bei den wenigen in der Wüste Gobi verbliebenen Tieren “streng gehütete Kamelgeheimnisse” aufzudecken (siehe VIERING 2012).

Im Schatten des Menschen: Die Wildnis als Alptraum

Trampeltier im physiologischen Fellwechsel in Melodys Kinderparadies in Mönchengladbach | Foto: zoos.media

Das Trampeltier ist der Diener des Steppenbewohners (BREHM 1883). Dieses auch als “Baktrisches Kamel” bezeichnete Tier war – genau wie das Dromedar – eines der wichtigsten Transporttiere auf der historischen Seidenstraße, einem komplizierten Geflecht von Karawanenstraßen. Fleisch, Milch sowie Wolle des Trampeltieres werden durch den Menschen genutzt, und selbst sein Dung, der einen ähnlichen Brennwert wie Holz hat, dient dem Menschen (siehe WÖRNER 2019). Die Bezeichnung “Trampeltier” ist allerdings nicht sehr schmeichelhaft: Auch in unwegsamem Gelände machen ihn seine “Schwielensohlen” absolut trittsicher. Speziell Dromedare werden wohl wegen ihrer Trittsicherheit nicht nur als Tiere für den Lastentransport genutzt, sondern auch für den ÖPNV, den Öffentlichen Personennahverkehr, indem sie Kutschen ziehen (siehe WÖRNER 2019).

Kamele sind Wunder der Evolution, insbesondere solche, die in der Wüste leben. Sie sind Überlebenskünstler: Bei sandigem Sturm legen sie ihre langen Wimpern über ihre Augen und schließen ihre Nasenlöcher. Von stacheligem Geäst zupfen sie mit gespaltener Lippe einzelne Blätter ab. Und wenn ein solches “Wüstenschiff” lange nichts getrunken hat, schlürft es im Handumdrehen mehr als hundert Liter Wasser weg. In der Regenzeit sollen Kamele ihren gesamten Flüssigkeitsbedarf über den Wasserhaushalt der aufgenommenen Grünpflanzen decken und monatelang ohne Frischwasser überleben können. Ist es da ein Wunder, dass Beduinen das Kamel Ata Allah, “Gottesgabe”, nennen?

Dr. Dörnath beim Gesundheitscheck eines Trampeltiers in Melodys Kinderparadies im Fellwechsel | Foto: zoos.media

Trampeltier, Dromedar und Tulu gelten als Wüstenschiffe, weil sie im Passgang die linken und die rechten Beine im Wechsel nach vorn bewegen, sie also unter dem Reiter zu schwanken scheinen. Manchem Menschen wird es daher auf einem Kamel zuweilen richtig gehend übel. Karl MAY (1896) bemerkte, man könne dabei “die Seekrankheit kennenlernen, auch ohne einen Tropfen Salzwasser gesehen zu haben”. Der heute vor allem als Landschaftsgärtner in Erinnerung gebliebene Fürst Hermann von Pückler-Muskau (1785-1871) sah es positiv und ging im Jahre 1837 bei seinen Reisen in den Sudan so weit, sich bei den Entfernungsangaben, die er in seinen Reiseberichten aus dem Reiche Muhammad Ali Paschas veröffentlichte, an “dem stets gleichen Schritt der Kamele wie dem unserer Dromedare” zu orientieren (KLAUSEWITZ 1999).

In den Höckern der Altweltkamele wird kein Wasser gelagert – dies ist ein landläufiger Irrglaube –, sondern Fett. Gut genährte Kamele haben prall gefüllte Höcker. Wenn ein Höcker schlapp herunterhängt, ist er also nicht “leer”, sondern die dortigen Fettreserven sind aufgebraucht. Dies soll nur bei domestizierten Tieren so sein. Ihre herunterhängenden Höcker können sich bei ausreichender Fütterung mit der Zeit aber wieder aufstellen. Die kleineren und konischen Höcker des wilden Khavtgai sollen nicht zur Seite fallen (siehe WÖRNER 2019). Eine weitere Besonderheit ist der bemerkenswerte Fellwechsel bei den Trampeltieren – dieser kann dem Laien wie ein Milben- oder Pilzbefall erscheinen. In großen Matten hängt dabei nämlich das Fell herab.

Wie eng Dromedar und Trampeltier miteinander verwandt sind, zeigt sich auch während der Embryogenese des Dromedars. In einer bestimmten Phase nämlich hat dieses einhöckrige Kamel tatsächlich die Anlage eines zweiten Höckers. Diese beiden Höckeranlagen verschmelzen während der weiteren Entwicklung.

Kamel Kadir auf dem Elefantenhof Platschow | Foto: Marlon Kröplin

Dass die beiden domestizierten Altweltkamele möglicherweise Hybridarten sind, die auf zwei Unterarten von Camelus ferus zurückgehen könnten, macht die Sache zwar nicht einfacher, doch eines deutet sich am Beispiel der Camelidae sowohl in Neuer als auch in Alter Welt zumindest an: Für Großsäugetiere ist im Zeitalter des sogenannten Anthropozäns nur dann noch ein Platz, wenn sie domestizierbar sind. Es gibt in der neuen Zeit “Keinen Platz für wilde Tiere” – Bernhard Grzimek und sein Sohn Michael machten diese traurige Feststellung bereits im Jahre 1956 in ihrem gleichnamigen, eine Generation aufrüttelnden Dokumentarfilm. Ein solcher Platz ist heute kaum mehr als eine Illusion, eine Täuschung. Und diese Täuschung wird von sogenannten Tierrechtlern allzu gern in ihren Märchen – wie EISEL (2021) anschaulich erläutert – benutzt, auf dass der Rubel für sie rollt.

Außerdem: Was sind überhaupt noch “echte” Wildtiere, wenn Menschen jeden freien Flecken der Landoberfläche besetzen, besiedeln und nutzen, sie überdies immer zahlreicher werden? Andererseits: Können Wildtiere in Menschenhand nicht vielleicht sogar ein besseres, ein komfortableres Leben führen, wenn der oft bedrohliche Stress der Wildnis durch die heute noch lebenden Vettern der Borophaginen des Miozäns in menschlicher Obhut fehlt? Wenn sie in Menschenhand also vor Feinden geschützt sind, sie zudem hochwertiges Futter, Wasser von Trinkwasserqualität sowie medizinische Betreuung erhalten? Wenn sie nicht nur artgemäß, sondern sogar tiergerecht gehalten werden? Wenn sie in einer Haltung leben, bei der individuelles Wohl an erster Stelle steht (siehe ZUNKE 2021). Wenn sie nicht nur behütet und beschützt leben, sondern auch – und dies ist ganz elementar – ihren individuellen Bedürfnissen und Talenten nach beschäftigt werden. Beschäftigung nämlich schützt davor, krank durch Langeweile zu werden.

Ein Teil der weitläufigen Kamel-Anlage von Melodys Kinderparadies in Mönchengladbach | Foto: zoos.media

Ist denn aber ein Wildtier, das fern der Wildnis lebt – oft sogar schon über Generationen – überhaupt noch ein “echtes” Wildtier? Oder entwickelt dies etwa andere Ansprüche? Oder können die immer schon vorhandenen Bedürfnisse einfach anders befriedigt werden? Eine zoologisch-systematische Antwort auf die Frage, was ein Wildtier und was ein Haustier ausmacht, liefern HERRE und RÖHRS (2013). Letztendlich aber ist die Frage nach Wild- oder Haustier für Tiere in Menschenhand egal. Essenziell für ihr Wohlbefinden, für ihre Lebensqualität, ist ihre individuelle Vorerfahrung und wie ihr jeweiliges Leben organisiert ist und nicht, ob ihre Umgebung Wildpark, Auffangstation, Zoo, Circus oder anders heißt (KILEY-WORTHINGTON 1990, KILEY-WORTHINGTON 2021).

Vladimir Ivanovich Vernadsky (1863-1945), Begründer der Biogeochemie und Mitbegründer der modernen Erdsystemforschung, schrieb in einer erst posthum veröffentlichten Schrift mit dem wundervollen Titel Scientific Thought as Planetary Phenomen (VERNADSKY 1938, publ. 1997), dass der Übergang der Biosphäre in eine von ihm “Noosphäre” genannte Menschenzeit offenbar mit einer Beschleunigung der geologischen Prozesse zusammenhinge. Auch spiele der Kampf der Menschen mit anderen Säugetieren um Territorien eine Rolle. Die Domestikation der Herdentiere und die Landwirtschaft verurteilten mit Ausnahme einiger vom Menschen ausgewählter Arten alle anderen Großsäugetiere unweigerlich zum Aussterben. Nur in Reservaten und Nationalparks hätten sie noch eine Bleibe, wo ihre Zahl konstant gehalten würde, sie in der Biosphäre aber keine weitere Funktion mehr ausübten.

Wild lebendes Baktrisches Kamel im Fellwechsel auf der Südlichen Seidenstraße zwischen Yarkand and Khotan | Foto: John Hill, Lizenz: CC BY-SA 3.0

Spätestens seit einer neueren Erhebung von RIPPLE et al. (2015) mit dem Titel Collapse of the world´s largest herbivores können wir Vernadski leider nur Recht geben: Die sogenannten Wildtiere der Kontinentalgebiete mit einer Körpermasse größer als 100 Kilogramm sind demzufolge gegenüber domestizierten Herdentieren und auch Menschen in ihrer Gesamt-Biomasse geradezu bedeutungslos geworden. Mit über 17 Millionen Tieren sind Hauskamele an der unschönen Bilanz beteiligt (siehe HERRE u. RÖHRS 2013), was sie zwar nicht mit den weltweit ca. 1,6 Milliarden gehaltenen Hausrindern und Hausbüffeln vergleichbar macht, aber sie sind dennoch allen sogenannten Wildtierarten an Biomasse überlegen.

Womöglich können Kamele und andere Herdentiere jenseits menschlicher Obhut auch wieder die untergegangene Megafauna des Eiszeitalters ersetzen, wie LUNDGREN et al. (2020) am Beispiel unter anderem von verwilderten Dromedaren in Australien im Vergleich zu ausgestorbenen diprotontiden Beuteltieren, wie dem Riesenkänguru Sthenurus stirlingi, erläutern. Verwilderte Hauspferde und -esel, die im Gegensatz zu Kamelen solide Hufe zum Graben besitzen, können in Trockengebieten sogar die Funktion von Schlüsselarten, den keystone species, einnehmen, indem sie Wasser unter der staubigen Oberfläche wittern und mit den frei gelegten Wasserlöchern zahllosen anderen Tier- und Pflanzenarten das Überleben sichern (LUNDGREN et al. 2021). Die verwilderten Dromedare Australiens hingegen, dorthin im 19. Jahrhundert von Europäern als Exoten eingeführt, stellen als nicht-einheimische, also exotische, Tiere ohne natürliche Feinde angeblich eine Gefahr für die australische Fauna dar – ein National Feral Camel Action Plan soll ihnen daher seit 2009 den Garaus machen. Es gibt allerdings Hinweise darauf, dass invasive Arten wie Mustangs auf den Prärien der USA und Dromedare in den Wildnisregionen Australiens, dem Outback, vielleicht sogar Ökosysteme erhalten können, anstatt diesen zu schaden (MARRIS 2018).

Guanakos in Patagonien | Foto: Prof. Dr. Hans Arne Nakrem, mit freundlicher Genehmigung für mundus ferus

Vieles ist also sehr kompliziert, manches sogar irrwitzig geworden. Einerseits haben Scharfschützen im Outback inzwischen weit mehr als 100.000 verwilderte Dromedare, also ehemalige Haustiere, abgeknallt, andererseits gibt es Behördenvertreter und Politiker, die Kamele im Circus verbieten wollen, da sie angeblich Wildtiere seien. Allerdings stellen die Dromedare in Australien wohl nur eine vermeintliche Gefahr für die dortige Fauna dar (s. o.), während die im Circus lebenden Kamele zahme Haustiere sind, namentlich Dromedar und Trampeltier sowie Lama und Alpaka. Nur äußerst selten ist ein wilder Cousin, ein gezähmtes Guanako, hier mal anzutreffen, wenn dieser vielleicht geschickt über die Höcker von Trampeltieren springt. Die deutsche Tierschutzgesetzgebung unterscheidet allerdings aus gutem Grund nicht zwischen Wildtier und Haustier – sie kennt allein “Tiere”. Wenn also einem Circus ein Festplatz verwehrt wird, weil er domestizierte Kamele mitführt, dann wird ihm der Platz verwehrt, weil er Haustiere mit “auf Reise” hat. Fast nie wird mal ein gezähmtes Kamel wildlebender Art mitgeführt – aber auch dies ist gesetzeskonform. Solche Verbote sind also nicht nur wider das Gesetz, sie sind auch absurd.

Mehr und mehr verschwimmen die Grenzen menschengemachter Kategorien, die Linien zwischen den Sphären der Tiere in menschlicher Obhut und der Tiere draußen vor dem Fenster, da, wo die Welt tief und des zweibeinigen Primaten Herz voller Angst ist, und wo einem Märchen zufolge der böse Wolf sich als Großmütterchen tarnt und Meister Petz dem armen Donald Duck die Pelzmütze vom Kopf schlägt und Mickey Mouse zum Aufbäumen treibt. Wir erkennen, dass eben solche Kategorien, wie sie beispielsweise bei der Haltung exotischer, also nicht-endemischer Tiere, in der Geschichte der Menschheit zum Teil ihren Sinn eingebüßt haben. Selbstverständlich gehört zur Haltung eines jeden Tieres Verantwortung (siehe ZUNKE 2021) – egal, ob es sich um ein Haustier oder ein Wildtier handelt. Auch ist es selbstredend, dass Haltungssysteme tiergerecht sein müssen (siehe ALTHAUS 2021).

Gehören zu den letzten wild lebenden Vertretern ihrer Art: Trampeltiere in Ömnö-Gobi-Aimag | Foto: Arabsalam, Lizenz: CC BY-SA 4.0

Homo sapiens ist heute überall. Die Welt versinkt in einem kulturell homogenisierten Einheitsbrei und entbehrt immer mehr jegliche regionale Originalität. Ausschließlich verursacht durch den Homo sapiens mit seiner Plastikkultur und dem weltumspannenden Netz der Fastfoodketten. Der Mensch vermehrt sich hemmungslos und verschlingt alle Ressourcen. Und das, obwohl sapiens eigentlich “verständig”, “vernünftig”, “klug”, “weise”, “einsichtsvoll” bedeutet. (Nach WÖRNER 2019). Die Welt wird gegenwärtig “Homo“- genisiert und das mit schlimmen Folgen für viele andere Arten. Wir sind mittendrin in der größten und menschengemachten Aussterbewelle aller Zeiten: Etwa eine Million Arten sind vom Aussterben bedroht und täglich werden viele Arten ausgelöscht. Dieses beschleunigte Aussterben löst als Dominoeffekt den Verlust der biologischen Vielfalt aus (UNITED NATIONS 2024). Mit dem Verlust der Biodiversität geht auch Sprachverlust einher – der “Naturanalphabetismus” (KAESER 2024). Wir müssen Acht geben, dass uns nicht nur die Sprache, sondern auch der Sinn für das, was wir bewahren wollen, nicht abhandenkommt.

Die Wildnis mit den wilden Tieren, sie hat heute in den Worten des Schriftstellers Stanislav Lem über den Piloten Pirx auf dem Mars (LEM 1978) nur noch die Realität eines Traums, der sich von seiner eigenen Unerfüllbarkeit nährt. Zwar ist der Lemsche Sinnzusammenhang ein anderer, aber dennoch trifft er auch auf die irdische Wildnis unserer Gegenwart zu. Allerdings ist dieser Traum von der Wildnis aus den o. g. Gründen wohl eher ein Alptraum.

Trampeltiere mit Nachwuchs in Melodys Kinderparadies | Foto: zoos.media

“Aber”: Homo sapiens interagiert auch mit den Tieren, bestenfalls im Sinne des Behütens, des Beschäftigens, des Versorgens, des Pflegens. Deswegen können Tiere in Menschenhand auch älter als Individuen derselben Art im natürlichen Lebensraum werden. In Menschenobhut wird ein Trampeltier schon mal gut und gerne 30 Jahre alt oder sogar noch älter. Davon träumt sein Verwandter, der ein hartes Leben in der Wüste führt, dort oft tagelang ohne Wasser ist.

Letztendlich liegt gegenwärtig die “Freiheit” der Kreatur in Menschenhand, während der natürliche Lebensraum sie durch bestehende Zwänge zum “Gefangenen” macht. Genau wie die Natur also kein Ponyhof ist, ist sie auch kein Kamelhof. Die Begriffe “Freiheit” und “Gefangenschaft” (siehe DOLLINGER  2021) können den von der Natur-Entfremdeten verwirren. Dieser erliegt dann dem sogenannten naturalistischen Fehlschluss: “Natürlich” ist nämlich nicht immer gut und “unnatürlich” auch nicht immer schlecht (siehe CANDIDUS  2021).

Der romantische Traum der Wildnis ist unwiderruflich hinter dem Horizont verschwunden wie das Wasser auf dem roten Planeten. Wir werden mit dem leben müssen, was vom Pleistozän übrigblieb. Made in Anthropocene: Nicht nur für die Kamelfamilie war dies ein langer Ritt in den Sonnenuntergang. Vielleicht aber kann das Kamel nur durch den Menschen vor diesem gerettet werden. Dies gilt leider wohl für alle Mitgeschöpfe.

Lernen aus erdgeschichtlicher Tiefenzeit: Ein Rückwärtsritt vor dem Absturz?

Der Planet Erde 1968 vom Mond aus betrachtet. | Foto: NASA/Bill Anders, Lizenz: public domain

Wie wundervoll einfach und unbeschwert könnten die Menschen leben, wenn sie den Weg zu dem verlorenen Paradies neu fänden, glaubte der von 1848 bis 1903 lebende Maler Eugène Henri Paul Gauguin (PERRUCHOT 1991). In einem fast vier Meter weiten Gemälde aus dem Jahre 1897 “Wohin gehen wir” ließ er die Zeit zwischen der Wiege und der Bahre von rechts nach links laufen – eine Umkehrung des Zeitpfeiles nach westlicher Lesart.

Aber so einfach ließe es sich nicht zurückreiten. Zurückblicken aber schon: Wir können nämlich aus der erdgeschichtlichen Tiefenzeit lernen. Der Blick zurück ist in Wirklichkeit, bei näherer Betrachtung, ein Blick nach vorne, denn die Ereignisse in unserem Leben sind eingebettet in die Zeitstruktur der Vergangenheit. Die Vergangenheit ist abgeschlossen, die Zukunft enthält dagegen viele Möglichkeiten, die sich aus dem Zeitpunkt der Gegenwart ableiten lassen – nicht streng, aber probabilistisch (CRAMER 1994).

Für die Kamele sehen wir über einige Millionen von Jahren eine Abnahme der Artenvielfalt, die sich in dem pleistozänen Massenaussterben noch sehr beschleunigt hat. Ohne Domestikation dürfte es sie daher im “probabilistischen” Sinne bald gar nicht mehr geben. Und wenn es nicht mal mehr für die domestizierten Tiere einen Platz gibt, was eigentlich dann?

Junges Baktrisches Kamel im Kölner Zoo | Foto: zoos.media

Für uns, die Menschen, wäre das wohl ein weiterer Baustein in Richtung unseres eigenen fatalen Absturzes, denn wir handelten dann so wie jemand, der auf der Tragfläche eines Flugzeuges hockt und da eine Niete nach der anderen herauszieht, um sie zu verscherbeln. “Bisher ist das ja auch gut gegangen“, sagt der Typ auf der Tragfläche. “Die Maschine fliegt doch noch.” Bis es eben eine Niete, also eine biologische Art, zu viel ist, die herausgezogen wird, wie EHRLICH und EHRLICH (1981) in ihrer “Nietenhypothese” veranschaulicht haben.

Gegenwärtig leben auf unserem Planeten noch Reste ursprünglicher menschlicher Lebensformen wie Sammler, Jäger und Nomaden. Diese werden aber wohl auch innerhalb der nächsten wenigen Jahrzehnte von unserem Planeten für immer verschwunden sein – und mit ihnen vielleicht auch ihre dann leider überflüssig gewordenen Tiere (WÖRNER 2019).

Ohne die unterschiedlichen Tiere, die uns immer noch umgeben und die auch auf dem erwähnten Gemälde von Paul Gauguin als Symbolträger ihren Auftritt haben, werden wir wohl kaum (oder ehrlicherweise: nicht) existieren können. Und so richten die letzten Kamele auf der Welt – und nicht nur die – an uns die Frage: D’où viennent-ils? Qui sont-ils? Où vont-ils?Woher kommt ihr? Was seid ihr? Wohin geht ihr?

Wer das jetzt lustig findet, hat den Ernst der Lage nicht verstanden. Denn die Antwort dürfte, anders als bei Gauguin, für uns nicht in einer Paradiesfrucht bestehen. Wir stehen nicht mit erhobenen Armen im Zentrum des Gemäldes, das Evolution heißt, sondern vielleicht schon am selbstverschuldeten Rande, der wohl unser Ende ist. Also sollten wir uns besser auch mit Kamelen, diesen Lebens- und Überlebenskünstlern, diesen Leisetretern, befassen. Und ihnen ihren Raum geben. Zum Beispiel im Roten Rund. Sie, und alle anderen Lebensformen, sind es wert.

mundus ferus

In der Serie mundus ferus, die wilde Welt, werden Themen zu wilden und exotischen Tieren von Dörnath und Scholz vorgestellt. Es wird versucht, die wilde Welt zu ergründen, zu deuten und zu verstehen. Dörnath ist Tierärztin, Scholz Paläontologe. Die Serie mundus ferus wird auf zoos.media herausgegeben.

Dr. K. Alexandra Dörnath

Dr. Dörnath bei der Kontrolle der Maulhöhle eines Elefanten | Foto: Dr. med. vet. K. Alexandra Dörnath

Dörnath ist Tierärztin, Künstlerin, Schriftstellerin. Studium in Oldenburg, Berlin, Zürich, Cornell (New York), London. Approbation 1998. Master in Wild Animal Health 1999 in London. Promotion zu Gorilla-Narkosen bei Prof. Dr. Klaus Eulenberger in Leipzig 2014. Internationale Erfahrungen in der Zoo- und Wildtiermedizin. Mitwirken in Freilandprojekten. Seit 2007 Leitung der Tierarztpraxis „Klein Mexiko“ und seit 2023 des Exoten-Kompetenz-Centrums. Ansprechpartnerin für Politiker, Behörden, Einsatzkräfte, zoologische Einrichtungen, Circus-Unternehmen, Tierheime, Auffangstationen, Tierbörsen-Veranstalter und Privathalter. Sachverständige zu Tierschutz- und Gefahrtier-Themen. Erstellung von Fachgutachten, Präsentation von Vorträgen, Moderation von Veranstaltungen, Kolumnistin.

Dr. habil. Joachim Scholz

Dr. habil. Joachim Scholz | Foto: mundus ferus

Joachim Scholz studierte von 1980 bis 1985 an der Universität Hamburg, wo er anschließend auch promovierte und habilitierte. Im Jahre 1999 wurde er Sektionsleiter am Forschungsinstitut Senckenberg (Sektion Marine Evertebraten 3, Abteilung Marine Zoologie, Fachgebiet Bryzoologie) und lehrt zudem als Privatdozent am Fachbereich Geologie und Geografie der Goethe Universität Frankfurt über Wirbeltiere (Rezente und fossile Löwen und andere Carnivora sowie die Rezent-Fossile Vertebraten-Fauna Gondwanas mit Schwerpunkt Australien und Südamerika).

Junges Trampeltier trinkt bei sich im Fellwechsel befindender Stute in Melodys Kinderparadies. | Foto: zoos.media

Literatur

  • AGUSTÍ, J. u. M. ANTÓN (2002): Mammoths, Sabertooths, and Hominids. 65 Million Years of Mammalian Evolution in Europe. Columbia University Press. 313 Seiten
  • ALTHAUS, T. (2021): Verhalten hat keinen Selbstzweck: zur Tiergerechtheit von Haltungssystemen. In: KÖHLER, R. (2021): Jetzt rede ich. Ich, Robby, der Ausnahmeschimpanse. Musketierverlag. Bremen. S. 499-502
  • BREHM, A. E. (1883): Brehms Thierleben. Allgemeine Kunde des Thierreichs, 2.Band. Leipzig. Reprint Berlin (1928, ed. F. Bley).
  • CANDIDUS, D. (2021): Der naturalistische Fehlschluss: Warum „natürlich“ nicht immer gut und „unnatürlich“ nicht immer schlecht ist. In: KÖHLER, R. (2021): Jetzt rede ich. Ich, Robby, der Ausnahmeschimpanse. Musketierverlag. Bremen. S. 503 – 505
  • CARRANO, M. T., JOHNSON, K. R. (2019): Vision of Lost Worlds. The Paleoart of Jay Matternes, 236 Seiten
  • CRAMER, F. (1994): Der Zeitbaum. Grundlegung einer allgemeinen Zeittheorie. Insel Verlag. Frankfurt am Main. 283 Seiten
  • CROFT, D. u. V. SIMEONOVSKI (2016): Horned Armadillos and Rafting Monkeys. The Fascinating Fossil Mammals of South America. Indiana University Press. 308 Seiten
  • DOLLINGER, P. (2021): Von Freiheit und Gefangenschaft. In: KÖHLER, R. (2021): Jetzt rede ich. Ich, Robby, der Ausnahmeschimpanse. Musketierverlag. Bremen. S. 506-511
  • EHRLICH, P. R. u. A. EHRLICH (1981): Extinction. The Causes and Consequence of the Disappearence of Species. Random House. New York. 305 Seiten
  • EISEL, B. (2021): Das Märchen von den Tierrechten. In: Köhler, R. (2021): Jetzt rede ich. Ich, Robby, der Ausnahmeschimpanse. Musketierverlag. Bremen. S. 512-514
  • FRICK, C., TAYLER, B. E: (1968): A Generic Review of the Stenomyline Camels. American Museum Novitates 2353. 51 Seiten.
  • HARRIS, J. M., D. GERAADS, D. u. N. SOLOUNIAS (2010): Camelidae. In: WERDELIN, L. u. W. J. SANDERS: Cenozoic Mammals of Africa: 815- 820. University of California Press
  • HERRE, W. u. M. RÖHRS (2013): Haustiere – zoologisch gesehen. 2.Auflage 1990, unveränderter Nachdruck 2013. Springer Spektrum
  • JI, R., P. CUI, F. DING, J. GENG, H. GAO, J. ZHANG, J. YU u. H. MENG (2009): Monophyletic origin of domestic bactrian camel (Camelus bactrianus) and its evolutionary relationship with the extant wild camel (Camelus bactrianus ferus). Animal Genetics, 40:377–382.
  • KAESER (2024): Diagnose: Naturanalphabetismus – Sprachverödung heisst Naturverödung. Gastkommentar. Neue Zürcher Zeitung. 7.10.2024. (http://www.nzz.ch/meinung/diagnose-naturanalphabetismus-sprachveroedung-heisst-naturveroedung-ld.1846654). Aufgerufen am 2.12.2024.
  • KILEY-WORTHINGTON, M. (1990): Chiron’s world? Animals in circuses and zoos. Eco-farm publishing. Basildon. 250 S.
  • KILEY-WORTHINGTON, M. (2021): Gedanken zum Tierschutz: Die Bedeutung des Individuums. In: Köhler, R. (2021): Jetzt rede ich. Ich, Robby, der Ausnahmeschimpanse. Musketierverlag. Bremen. S. 525-535
  • KLAUSEWITZ, W. (1999): Der Zwist zwischen Fürst Pückler und Eduard Rüppell. Natur und Museum 129(5): 133-145.
  • LEIDY, J. (1873): Contributions to the extinct vertebrate fauna of the western territories. Report of the United States Geological Survey. 358 Seiten.  37 Tafeln.
  • LEM, S. (1978): Pilot Pirx. Erzählungen. Deutsche Ausgabe, Suhrkamp. Frankfurt am Main. 685 Seiten.
  • LUNDGREN E. J, D. RAMP, J. ROWAN, O. MIDDLETON, S. D. SCHOWANEK, O. SANISIDRO, S. P. CARROL, M. DAVIS, C. J. SANDOM, J.-C. SVENNING u. A. D. WALLACH (2020): Introduced herbivores restore Late Pleistocene ecological functions. PNAS 117 (14): 7871-7878. (https://doi.org/10.1073/pnas.1915769117). Aufgerufen am 27.2.2023.
  • LUNDGREN, E. J., D. RAMP, J. C. STROMBERG, J. WU, N. C. NIETO, M. SLUK, K. T. MOELLER u. A. D. WALLACH (2021): Equids engineer desert water availability. Science 372: 491-495. (https://www.science.org/doi/10.1126/science.abd6775). Aufgerufen am 27.2.2023.
  • MARRIS E (2018): Könnten invasive Arten auch Ökosysteme erhalten? National Geographic. (https://www.nationalgeographic.de/umwelt/2018/01/koennten-invasive-arten-auch-oekosysteme-erhalten/amp). Aufgerufen am 5.3.2023.
  • MARTINI, P., P. SCHMID u. L. COSTEUR  (2017): Comparative Morphometry of Bactrian Camel and Dromedary. Journal of Mammalian Evolution. (DOI 10.1007/s10914-017-9386-9). Aufgerufen am 31.12.2023.
  • MAY K. (1896): Im Land des Mahdi II Radebeul. Verlag Fehsenfeld. 3 Bände.
  • Morales-García, N. M., L. K. Säilä u. C. M. Janis (2020): The Neogene Savannas of North America: A Retrospective Analysis on Artiodactyl Faunas. Front. Earth Sci. 8:191. (doi:10.3389/feart.2020.00191). Aufgerufen am 31.12.2023.
  • PERRUCHOT, H. (1991): Gauguin. Eine Biographie. Deutsche Ausgabe. Bechtle. München und Esslingen. 452 Seiten.
  • POTTS, D. T. (2004): Camel hybridization and the role of Camelus bactrianus in the ancient near east. Journal of the Economic and Social History of the Orient 47(2):143-165
  • REYNA, J. (2005): The Origin and Evolution of South American Camelids. (https://www.alpacaconsultingusa.com/library/CamelidOriginEvolution.pdf). Aufgerufen am 27.2.2023.
  • RIPPLE, W. J., T. M. NEWSOME, C. WOLF, R. DIRZO, K. T. EVERATT, M. GALETTI, M. W. HAYWARD, G. I. H. KERLEY, T. LEVI, P. A. LINDSEY, D. W. MACDONALD, Y. MALHI, L. E. PAINTER, C. J. SANDOM, J. TERBORGH u. B. VAN VALKENBURGH (2015): Collapse of the world´s largest herbivores. Science Advances 1 (4). (DOI:10.1126/sciadv.1400103). Aufgerufen am 27.2.2023.
  • SAMPSON, G. C. (2008): Defeat of Rome in the East. Crassus, the Parthians, and the Disastrous Battle of Carrhae, 53 BC. Pen & Sword Military. Barnsley, South Yorkshire. 224 Seiten
  • SPAULDING, M., M. A. O´LEARY u. J. GATESY (2009): Relationships of Cetacea (Artiodactyla) Among Mammals: Increased Taxon Sampling Alters Interpretations of Key Fossils and Character Evolution. (PLoS ONE 4(9): e7062. doi:10.1371/journal.pone.0007062). Aufgerufen am 27.2.2023.
  • TUCHMAN, B. (1980): Der ferne Spiegel. Das dramatische 14.Jahrhundert. Deutsche Ausgabe. Claasen Verlag. Düsseldorf. 1138 Seiten: S. 978
  • UNITED NATIONS (2024): Accelerating extinction rate triggers domino effect of biodiversity loss. UN News. Global perspective Human stories. (htttps://news.un.org/en/story/2024/05/1150056). Aufgerufen am 2.12.2024.
  • VERNADSKY, V. I. (1997): Scientific Thought as a Planetary Phenomenon. Nongovernmental Ecological V.I. Vernadsky Foundation. 265 Seiten
  • VIERING, K. (2012): Wüste Gobi. Die letzten Kamele gehen auf Sendung. Stuttgarter Zeitung. https://www.stuttgarter-zeitung.de/inhalt.wueste-gobi-die-letzten-kamele-gehen-auf-sendung. (c6795343-aaf6-415b-9ff2-f11fb156d004.html). Aufgerufen am 5.3.2023
  • WANG, X., R. H. TEDFORD u. M. ANTÓN (2008): Dogs: Their fossil relatives & evolutionary history. Columbia University Press. 219 Seiten.
  • WEBB, S. D. u. J. MEACHEN (2004): On the origin of lamine Camelidae including a new genus from the late Miocene of the High Plains, Bulletin of Carnegie Museum of Natural History, 2004(36) : 349-362.
  • WHEELER, J. C. (2012): South American camelids – past, present and future. Journal of Camelid Science 4:1-24
  • WÖRNER, F. G. (2019): Das Baktrische Kamel. Notizen zum Trampeltier – einem alten Haustier Innerasiens. Niederfischbach. November 2019. (https://www.tierpark-niederfischbach.de/wp-content/uploads/DAS-BAKTRISCHE-KAMEL.pdf). Aufgerufen am 12.4.2023
  • YACOBACCIO, H. D. (2021): The domestication of South American camelids: a review. Animal Frontiers 11(3): 43-51
  • YILMAZ, O., M. ERTUGRUL u. R. T. WISON (2011): The domestic livestock resources of Turkey: Camels. Journal of Camel Practise and Research 18(1): 1-4.
  • YUAN, J., G. SHENG, M. PREICK, B. SUN, X. HOU, S. CHEN, U. H. TARON, A. BARLOW, L. WANG, J. HU, T. DENG, X. LAI u. M. HOFREITER (2020): Mitochondrial genomes of Late Pleistocene caballine horses from China belong to a separate clade. Quaternary Science Reviews 250, 106691 (https://doi.org/10.1016/j.quascirev.2020.106691). Aufgerufen am 27.2.2023.
  • ZUNKE, C. (2021): Naturphilosophische Einführung. Artgerecht, artgemäß oder tiergerecht? Überlegungen zur verantwortungsvollen Tierhaltung. In: KÖHLER, R. (2021): Jetzt rede ich. Ich, Robby, d2er Ausnahmeschimpanse. Musketierverlag. Bremen. S. 14-20

Empfehlungen zum Weiterlesen

Zu den wohl ältesten Büchern über Krankheiten der Kamele gehören folgende Werke, die sich nicht nur an Tierärzte, sondern auch an Kommandanten militärischer Kamel-Einheiten respektive an Camel-Master richten:

  • CROSS H. E. (1917): The camel and ist diseases. Being notes for veterinary surgeons and commandants of camel corps. Baillière, Tindall, and Cox. London. 151 Seiten
  • LEESE A. S. (1927): A treatise on the one-humped camel in health and in diesease. Haynes & Son. Stamford. 382 Seiten
Diesen Beitrag teilen