Spektakuläre Sprünge sind Teil der edukativen Show im Loro Parque. | Foto: zoos.media

LRS oder was passiert, wenn Tiere etwas falsch machen

Exklusiv für zoos.media – 12.01.2019. Autor: Philipp J. Kroiß

Viele Leute denken, man müsste Tiere bestrafen, um Fehlverhalten deutlich zu machen, aber das ist falsch. Tiertraining im Zoo zeigt wie es besser geht: LRS.

LRS oder was passiert, wenn Tiere etwas falsch machen

Dass in modernen Zoos und Aquarien mit dem Prinzip der positiven Verstärkung trainiert wird, müsste eigentlich jedem bekannt sein. Kein Tier wird gezwungen oder bestraft in einer Trainingssituation. Das kann man vielleicht abwertend als “Kuschelpädagogik” bezeichnen, aber es ist das Beste für das Tier. Training ist ein Angebot für die Tiere und das bedeutet, dass sie selbst entscheiden, ob sie es annehmen oder nicht, denn es soll ja in erster Linie sie bereichern – Stichwort: Enrichment.

Versuch und Irrtum

Abschluss der edukativen Delfinshow im Loro Parque | Foto: zoos.media

Beim Training werden die Tiere physisch und/oder psychisch gefördert und gefordert. Deshalb finden sie es interessant. Sie bekommen Aufgaben, die sie erlernen und lernen passiert durch Versuch und Irrtum. In vielen Lernsystemen wird der Irrtum bestraft. Beispiel Schule: Hier werden Leistungen bewertet auf eine Skala, die von positiv bis negativ reicht. Schlechte Leistungen werden mit schlechten Noten bestraft. Sammelt man viele schlechte Noten, bleibt man sogar sitzen. Das ist alles kein Beinbruch, aber diese negativen Folgen von ja eigentlich erstmal positiven Versuchen können zu Demotivatoren werden.

Kommen wir nun zurück zu Tieren, sind Demotivatoren bei einem Training bzw. Lernprozess Gift, weil es gibt ja keine Trainingspflicht in modernen Zoos existiert, wie es aber, zum Beispiel in Deutschland, eine Schulpflicht gibt. Im deutschen Schulsystem ist die Motivation zumindest die ersten Jahre egal, man muss ja hin, ob man will oder nicht. Ob dieses System nun der Weisheit letzter Schluss ist, bleibt fragwürdig und ist zu diskutieren, aber nicht in diesem Artikel. Es geht um Tiere in Zoos und die kann man erstmal im Training zu gar nichts zwingen, was sie nicht wollen. Ein Orca oder Elefant mit mehreren Tonnen ist immer stärker und wird im Ernstfall auch genau das tun, was er will – völlig unabhängig, ob der Trainer das auch will.

Demotivatoren sind also Gift für jeden Trainingsprozess. Gleichzeitig gibt es viele Menschen, die mit professionellem Tiertraining nichts am Hut haben und nicht wissen wie sie dem Tier anders sein Fehlverhalten kommunizieren sollen. Dann wird der Hund mit der Schnauze in sein Haufen gedrückt, um ihn stubenrein zu bekommen, es wird wild an der Leine gezerrt und/oder die sogar noch mit Spitzen ausgestattet, damit es auch richtig weh tut – da sind einige Grausamkeiten unterwegs, die letztendlich nur zeigen, dass Herrchen oder Frauchen von Hundetraining nichts verstehen. Letztendlich funktionieren solche negativen Verstärker nämlich nicht wirklich.

Training ist Kommunikation und die funktioniert, wie unter Menschen auch, am Besten durch eine positive Beziehung. Die muss man mit einem Tier immer aufrecht erhalten und jede Bestrafung wird diese torpedieren. Viele Leute sitzen nun in einem Dilemma: Aber wie mach ich dem Tier dann klar, dass es gerade etwas gemacht hat, was nicht richtig war?

LRS – Least Reinforcing Scenario

Um das Least Reinforcing Scenario (LRS) zu verstehen, muss man wissen, dass es, wie in menschlicher Kommunikation auch, verschiedene belohnende Antworten auf Verhalten gibt. Das kennt jeder aus dem alltäglichen Sprachgebrauch nett, gut und fantastisch sind klassische Adjektive, die man dabei nutzt. Sie alle haben verschiedene Bedeutungen in verschiedenem (auch persönlichem) Kontext. Je mehr ich nun eine Beziehung zur Gegenüber habe, weiß ich, ob der mit nett eher sympathisch mehr oder die sprichwörtliche “kleine Schwester von Sch…e” meint. Entsprechend kann ich verbale Belohnungsszenarien in der Kommunikation benutzen.

Belohungsszenarien funktionieren bei Tieren vergleichbar wie in verbaler Kommunikation. Wenn ein Tier etwas richtig gut gemacht hat, wird das regelrecht gefeiert. Um zu wissen, was das ist, muss man das Tier gut kennen – Stichwort: Beziehung. Durch diese Belohnungsszenarien entsteht eine ziemlich präzise Kommunikation mit dem Tier. Im Zoo kennen viele Trainer ihre Schützlinge schon seit der Geburt oder kennen Kollegen bei denen das der Fall ist – sie wissen also genau, was die Tiere gern, besonders gern oder super gerne mögen. Trainingskommunikation mit dem Tier erfolgt ausschließlich über Belohungsszenarien im System der positiven Verstärkung.

Das Least Reinforcing Scenario ist nun das am wenigsten belohnende Belohungsszenario. Das bedeutet, es ist immer noch eine Belohnung und keine Bestrafung, aber es ist jetzt auch nicht das Tollste, Beste und Wunderschönste auf der Erde – das heißt: es ist nichts Schlimmes, kein Demotivator oder negative Verstärkung. So richtig entwickelt wurde das im SeaWorld der 1980er Jahre. Im Training gibt es jetzt natürlich nicht den Moment, dass jemand aufwacht, die zündende Idee hat und dann ist es plötzlich da, sondern jahrzehntelange Erfahrung und Entwicklung von Strategien münden irgendwann darin, dass so etwas niedergeschrieben, publiziert und der Öffentlichkeit zugänglich gemacht wird.

Im Falle der Orcas, die eine wichtige Rolle in der Entwicklung gespielt haben, hatte man gemerkt, das schon die bloße Anwesenheit der Trainer, zu denen die Tiere ja ein positives Verhältnis haben, ein Belohungsszenario darstellt. Das bestätigt auch durchaus die Forschung, aber auch schon das Verhalten der Tiere, das der erfahrene Trainer natürlich zu lesen weiß. Was wurde also getan, wenn ein Tier etwas falsch machte? Nichts. Der Trainer war drei Sekunden nur da – existierte so vor sich hin. Es gab also keine Antwort auf negatives Verhalten und somit war es ganz so, als ob es nicht existierte. Das reichte, um dem Tier so etwas klar zu machen wie: “Okay, das war jetzt nicht richtig, aber hey, lass weiter machen, es ist ja nichts passiert.”

Ganz genau erklärt es einer der erfahrensten Trainer und renommiertesten Experten weltweit, wenn es darum geht, Tiere und auch insbesondere Orcas zu trainieren: Chuck Tompkins.

Training ohne Strafe

Inzwischen wird diese Strategie der Beantwortung von ungewolltem Verhalten mit dem LRS von professionellen Trainern auf der ganzen Welt angewendet. Es hat zum Beispiel Niederschlag in die Handbücher gefunden und wird weltweit auf Lehrgängen vermittelt. Nicht unbedingt jeder nennt die Strategie so, weil es durchaus Trainer gibt, die verschiedenen Systeme entwickelt haben und dann manchmal andere Namen dafür finden. Manche bezeichnen es auch als “neutral bleiben” oder “ignorieren”, weil sie es persönlich besser finden oder die Strategie bereits kannten bevor sie den “offiziellen” Namen bekommen hat. Jedes erfolgreiche Trainingssystem nach positiver Verstärkung kommt aber nicht ohne das LRS aus – egal, ob man es beim Namen nennt oder nicht.

Was das jeweilige LRS ist, kann übrigens recht individuell sein – genauso wie es bei den anderen Belohungsszenarien auch sein kann. Jeder professionelle Trainer weiß aber damit umzugehen. Die generelle Grundregel für den Trainer ist: Gewolltes Verhalten bekommt positive Aufmerksamkeit, ungewolltes Verhalten bekommt keinerlei Aufmerksamkeit. Dabei muss man sehr konsequent sein und man muss das Tier sehr gut verstehen. Das fällt leidenschaftlichen Tierhaltern, die ihre Tiere lieben aber nicht wirklich schwer, sofern sie den nötigen Sachverstand und die Beziehung zum Tier haben.

Tiere zu verstehen bedeutet aber nicht, sich selbst in das Tier zu projizieren und das Tier wie ein Mensch wahrzunehmen. Tiere nehmen die Welt anders wahr als wir und entscheidend für erfolgreiches Training ist nicht, ob wird die Belohnung toll finden, sondern wie das Tier die positive Antwort auf sein Verhalten verstehen kann. Wenn sich Leute zum Beispiel gerne mit Musik etwas Gutes tun, heißt das nicht, dass Tiere das auch mögen. Ein gutes Beispiel aus dem Hundetraining ist das Anspringen bei der Begrüßung – man selbst empfindet die Beantwortung des Verhaltens durch Aufmerksamkeit vielleicht gar nicht als Belohnung, aber so lange das Tier eine Antwort auf das Verhalten bekommt, wird es weitergehen. Sehr gut erklärt in diesem Zusammenhang der erfahrene Tiertrainer Kyle Kittleson, der übrigens auch in SeaWorld Orcas trainierte, eine Strategie mit LRS in diesem Video:

Man bekommt in dem Video eine gute Idee davon wie LRS im Alltag aussieht und wie sehr man darauf achten muss, was der Hund als Belohnung wahrnimmt. Das alles passiert im Video natürlich im Rahmen einer Show, ist plakativ und einfach erklärt, auch wahrscheinlich inszeniert und natürlich kein Fachvortrag, aber man bekommt eine gute Idee von der Strategie. So schafft man etwas, das sich viele als die Quadratur des Quadrates vorstellen: Fehlverhalten als solches klar zu machen ohne zu strafen oder negativen Input zu geben, was die Beziehung zum Tier beschädigt. So funktioniert Training ohne Strafe.

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