Der Schimpanse Robby hält die Hand von Tierärztin Dr. K. Alexandra Dörnath | Foto: K. Alexandra Dörnath

Was dabei rauskommt, wenn sich das BMEL von Tierrechtlern beraten lässt

Exklusiv für zoos.media – 22.11.2020. Autor: Philipp J. Kroiß

Im Rahmen einer neuen Verordnung in Bezug auf Zirkustiere hat sich das BMEL anscheinend von Tierrechtlern beraten lassen – das Ergebnis ist eine Blamage.

Was dabei rauskommt, wenn sich das BMEL von Tierrechtlern beraten lässt

Deutschland bekommt ein partielles Wildtierhaltungsverbot für Zirkusse per Verordnung des Bundesministeriums für Ernährung und Landwirtschaft (BMEL) – zumindest, wenn es nach Julia Klöckner (CDU) geht, die dem Ministerium vorsteht. Sie hat eine Verordnung vorgelegt, die vor kuriosen Peinlichkeiten und unwissenschaftlichen Behauptungen nur so strotzt. Dazu sollen nun verschiedene Verbände auf Aufforderung des BMEL Stellung beziehen. Ganz oben auf der Liste stehen dabei allerdings die Tierrechtsorganisationen, nicht etwa die Fachverbände mit der für die objektive Beurteilung der Haltung von Tieren erforderlichen Expertise.

Das ist symptomatisch für die vorgelegte Verordnung, die einfach handwerklich und fachlich schlecht gemacht ist. Das Ausmaß dieser defizitären Gestaltung ist so immens, dass wir es nur in Auszügen behandeln können, weil sonst der Artikel länger würde als die Verordnung selbst.

Das Verbot bestimmter „wildlebender Arten“

Giraffe in Lewa | Foto: Kevin Walsh (kevinzim), Lizenz: CC BY 2.0

Klöckners Ziel ist ein Wildtierverbot, wie sie schreibt, aber erstmal will sie nur bestimmte Arten im Zirkus verbieten. Bevor wir auf die defizitären Begründungen zu den “Arten” schauen, blicken wir erstmal darauf, wie in der Verordnung das Wildtierverbot vorbereitet wird. Die Verordnung regelt zuallererst “das Verbot des Zurschaustellens der in § 2 Absatz 1 genannten Tiere wildlebender Arten an wechselnden Orten”.

Was sollen “wildlebende Arten” denn nun wirklich sein? Diese Frage ist wichtig, weil die in Paragraph 2 genannte Liste sehr willkürlich wirkt. Wildlebende Arten kann einerseits Arten meinen, bei denen alle Individuen wild leben. Dies trifft aber allein schon deshalb nicht zu, weil es dann ja keine Haltung zu verbieten gäbe, weil dann alle Tiere wild lebten. Die andere Alternative der Definition wäre, dass man sich auf Arten bezieht, bei denen einige Individuen wild leben.

Da steht man aber vor dem Problem, dass es auch wildlebende Hunde, Katzen und Pferde gibt – nämlich verwilderte Individuen domestizierter Arten. Somit wären diese Arten auch dazu zu zählen und die Bezeichnung wäre schlicht unsinnig, weil man dann gleich alle Arten also solche nennen kann.

Wenn man nun Arten meint, von denen die meisten Vertreter der jeweiligen Art in der Natur leben, dann wäre zum Beispiel die Haltung von Tigern im Circus nie zu verbieten, weil gegenwärtig und wohl auch in naher Zukunft mehr Tiger in Menschenobhut leben als in der Natur. Das haben wir auch etwa bei Asiatischen Elefanten, die meist unter menschlichem Management leben. Ebenso bei anderen Arten in Nationalparks müsste man dann mal genauer betrachten, ob die denn wirklich “wild” leben in eingezäunten Arealen unter menschlichem Management.

Schon also die Formulierung des Wildtierverbotes fliegt dem BMEL um die Ohren, weil es juristisch einfach nicht standhaft zu definieren ist. Ein weiteres Kuriosum findet sich bei der Aufzählung der Tiergruppen, die man verbieten will. Bei diesen handelt es sich nicht mal bei allen um Arten, weshalb die Formulierung auch lächerlich ist. Man nennt nämlich in diesen Paragraphen auch die Überordnung der Primaten, deren Zurschaustellung verboten werden soll: auch Menschen gehören zu den Primaten. Müssen also auch zukünftig Artisten, die ja auch im Zirkus Teil der Show, also der Schau, sind, um ihren Job fürchten?

Wesentliche wissenschaftliche Belege fehlen

Aber neben zahlreichen unzureichend definierten und definierbaren Begriffen, kippt die Verordnung insbesondere bei der Begründung. Ein Verbot müsse juristisch rechtssicher begründet werden, erklärt Klöckner – das genau geschieht aber eben nicht. Man merkt der Verordnung deutlich an, dass es sich hier offenkundig um eine fast ausschließliche Beratung durch unseriöse Mitglieder und Unterstützer der radikalen Tierrechtsindustrie, die aus ideologischen Gründen Wildtierhaltung in menschlicher Obhut per se ablehnt, stattfand, weil es sich um “Belege” aus dieser Szene handelt.

Von Tierrechtsorganisationen wirklich unabhängige Publikationen finden sich praktisch nicht, darüber hinaus werden diese Publikationen auch genauso verwendet wie die Tierrechtsindustrie das seit Jahren macht. Ein hervorragendes Beispiel ist eine Arbeit von Prof. Friend, der sich nie für ein generelles Verbot von Zirkustieren positioniert hat, sondern von Tierrechtsorganisationen instrumentalisiert wurde, wogegen er sich auch wehrte

Die PETA-Maschinerie

Richtig peinlich wird es an Stellen, an denen einfach auch nicht mal der Forschungsstand wiedergegeben wird – etwa hier: “Elefanten bewegen sich an einem Tag zwischen 30 und 50 Kilometer (Leuthold 1977)”. Diese Erkenntnis ist veraltet und widerlegt: Elefanten legen an einem Tag nur einen halben Kilometer zurück, wenn alle Bedürfnisse erfüllt sind. Wenn sie dann, etwa durch Nahrungsknappheit, gezwungen werden, weiter zu ziehen, bewegen sich Elefanten auch keine 30-50 Kilometer am Tag: Leighty et al. (2009) sprechen für Asiatische Elefanten von durchschnittlich 3,2 Kilometern und rund 12 Kilometer am Tag für Afrikanische.

Elefant vor Zebraherde im Ngorongoro-Krater: In Tansania verschwindet das Wildleben immer mehr. | Foto: Schuyler S., bearbeitet von Daniel Schwen, Lizenz: CC BY-SA 2.5

Wesentliche Begründungen für das Haltungsverbot bleiben unbelegt: “Im reisenden Zirkus ist keine ausreichende freie Bewegung der Elefanten gewährleistet.“ Diese Aussage bleibt ohne einen Beleg, wenn man nicht veraltete wissenschaftliche Forschungsstände ernsthaft als Beleg bezeichnen will. Dürftige Beleglage findet man aber noch an anderen Stellen: „Der häufig vorzufindende Bewegungsmangel in Zirkussen führt [bei Elefanten] zu Schäden der Sehnenstrukturen der Beine (Iossa, 2009).”

Das klingt aktueller, aber nur auf den ersten Blick, denn die Studie hat das gar nicht untersucht, sie erwähnt das einzig und zitiert dabei Kurt & Hartl (1995). Die Studie bezieht sich einmal nur auf Asiatische Elefanten, nicht mal besonders auf Zirkus, und zudem auf Haltungssysteme, die ein viertel Jahrhundert alt sind. Seitdem hat sich in der Elefantenhaltung viel getan. Ob die damaligen Erkenntnisse heute noch zutreffen, ist völlig fraglich. Damit ist die Behauptung einfach nicht standhaft.

Solche Beispiele lassen sich häufig finden. Bei Elefanten behauptet man weiterhin, dass “Stehen auf den Hinterbeinen” “zu Wirbelverletzungen und Fußnagelschäden führen” könnten. Der Hinterbeinstand ist ein natürliches Verhalten von Elefanten. Sowas lässt sich auch bei allen anderen Tiergruppen, die erwähnt werden, verfolgen.

Illusion der Wissenschaftlichkeit

Rothschild-Giraffen im Zoo Olomouc – die Art ist bedroht und wird von Zoos erhalten, erforscht und geschützt. | Foto: Korinek, Lizenz: CC BY-SA 3.0

“Verglichen mit Wildtieren stehen Giraffen in Gefangenschaft generell mehr unter Stress”, wird etwa ohne jeden Beleg behauptet. Warum wahrscheinlich kein Beleg genannt wird? Weil es keine Forschung gibt, die das belegt. Direkt im nächsten Satz wird es dann wieder pseudo-wissenschaftlich: “Dies zeigt sich beispielsweise in Schäden des Zahnschmelzes [42]”. Unter Fußnote 42 nennt man dann T. A. Franz-Odendaal (2004): Enamel hypoplasia provides insights into early systemic stress in wild and captive giraffes (Giraffa camelopardalis), Journal of Zoology, Volume 263, Issue 2, Pages 197-206.

Was hat diese Studie denn untersucht? “This study investigates enamel hypoplasia in 23 Giraffa camelopardalis skulls from wild and captive animals of various ages and sex to determine whether any systemic stress events are unique to life in captivity.” Man hat also vor über 15 Jahren damals bereits verstorbene Giraffen untersucht – seitdem ist viel geschehen. Zudem ist völlig unklar, ob hier überhaupt ein Tier aus dem Zirkus untersucht wurde. Außerdem betonen die Wissenschaftler schon im Abstract, dass weitere Untersuchungen benötigt würden.

Zudem hat Zahnschmelzhypoplasie, was Thema der Studie war, ein weiteres Problem: man weiß, dass es erworben, anlagebedingt oder eben auch angeboren sein kann. Bei nur 23 Tieren ohne Untersuchung genetischer Disposition ist somit ohnehin fraglich, inwiefern die Erkenntnisse überhaupt statistisch aussagekräftig und übertragbar sind. Zudem kann man sich so eine Erkrankung auch durch Unfälle, Medikamente oder Infektionen zuziehen – mit der Form der Haltung muss es also gar nichts zu tun haben (mehr dazu hier). Somit sieht es alles nur ach so wissenschaftlich aus, in Wahrheit, ist diese Wissenschaftlichkeit aber nur eine Illusion.

Das sieht man auch hier gut: “[Breitmaulnashörner] schwimmen und tauchen gut, suhlen gerne und viel und verbringen bis zu 70% des Tages im Wasser.” Diese Aussage ist gelinge gesagt völlig falsch. Afrikanische Nashörner, wie das Breitmaulnashorn, können gar nicht schwimmen. Asiatische Nashörner können das zwar sehr wohl, aber Afrikanische können sogar dabei ertrinken. Was in der Begründung des Verbots geschrieben wird, ist über weite Strecken also völliger Nonsens und wirkt wie eine schlechte Satire. Es kann sogar zum Tod der Tiere auf ministerielle Empfehlung führen.

Ebenfalls die Unwissenschaftlichkeit bezeugt, dass wesentliche wissenschaftliche Erkenntnisse, die das Wohlergehen von Tieren im Zirkus unter gewissen Haltungsbedingungen belegen, wie etwa die Arbeiten unseres Beiratsmitgliedes Dr. Imanuel Birmelin, ignoriert werden – sie werden nicht mal genannt, geschweige denn diskutiert. Man tut so, als würden sie nicht existieren. Zirkustierhaltung ist ein Themenfeld, zu dem sich jeder seine Meinung bilden kann und sollte, aber nicht jede Meinung muss gleich Gesetz oder Verordnung werden – besonders, wenn sie wissenschaftlich nicht haltbar ist. Leider ist es für radikale Tierrechtsaktivisten symptomatisch, dass sie ihre Meinung über die seriöse Wissenschaft stellen. Ein Staat kann seinen Bürgern durchaus zutrauen, selbst entscheiden zu können, welche Kulturinstitutionen sie besuchen.

Die daraus resultierende Gefahr für Zoos

Giraffen und Elefanten im Zoo von Pittsburgh | Foto: Daderot, Lizenz: CC0 1.0

Diese Verordnung zeigt, dass völlig unwissenschaftlich argumentiert und so Wildtierhaltungen unmöglich gemacht werden sollen. Ebenso zeigt diese Verordnung auch einen bedenklich großen Einfluss der Tierrechtsindustrie beim BMEL, der gefährlich für jeden Tierhalter ist, denn in den Begründungen dieser Verordnung zeigt sich auch schon zum Beispiel wie die Zootierhaltung, die, entgegen der Kampagnen radikaler Tierrechtsorganisationen, sowohl für den Natur- und Artenschutz als übrigens auch für einen wirklichen Tierschutz auf wissenschaftlicher Grundlage von enorm großer Bedeutung ist, madig gemacht werden soll. Es gab wohl zuvor noch keine Verordnung, die das so deutlich zeigte, wie diese. Entsprechend sollte sie als Weckruf auch für die modernen Zoos verstanden werden – völlig unabhängig zur eigenen Positionierung zum Thema Zirkus.

Sie ist sehr offensichtlich nicht von echten Fachleuten geschrieben, sondern von Menschen fragwürdiger Qualifikation pseudowissenschaftlich zusammengeklöppelt und auf sehr dünnem Eis postiert worden. Es werden nachweislich kapitale Fehler gemacht, dazu wird wissenschaftlich unsauber gearbeitet und es werden völlig unbewiesene Hypothesen als Begründung herangezogen. Einer ministeriellen Verordnung ist so etwas nicht würdig, sondern vielmehr einer Propagandaschrift aus Tierrechtskreisen.

Bundeslandwirtschaftsministerin Julia Klöckner selbst sollte es besser wissen beziehungsweise weiß es sie es wohl sogar besser, betonte sie doch noch 2018: “Vor diesem Hintergrund gibt es derzeit keine Planungen, die Wildtierhaltung im Zirkus zu verbieten. […] Letztendlich ist eine gute Tierhaltung zumeist abhängig vom Management des Betriebes – unabhängig davon, ob es sich um einen Zirkus handelt oder um einen landwirtschaftlichen Betrieb und unabhängig davon, ob es sich um ein Wildtier oder ein domestiziertes Tier handelt.”

Junger Elefant im Hwange National Park | Foto: JackyR, Lizenz: CC BY-SA 3.0

Das pikante an dieser Aussage: seitdem hat sich an dem Forschungsstand gar nichts geändert – das sieht man ironischerweise auch der Verordnungsbegründung selbst. Nicht eine Studie, die dort zitiert wird, stammt aus den Jahren 2018, 2019 oder 2020. Somit wirkt die Verordnung eher wie eine dem Ministerium eigentlich fremde Arbeit, die im Prinzip wie ein Fremdkörper wirkt. So war das BMEL wohl sehr schlecht beraten beziehungsweise hat sich schlecht beraten lassen – kein Wunder, wenn man lieber die Tierrechtsindustrie fragt und sie an der Spitze des offenen Mailverteilers aufführt, statt vorwiegend richtige Experten in dieser Frage zu kontaktieren.

So einem Vorgehen im BMEL muss, ja schon im Interesse des BMELs selbst und seiner Glaubwürdigkeit und natürlich auch im Interesse aller seriösen Tierhalter, Einhalt geboten werden, bevor so etwas einreißt oder zur Gewohnheit wird. Ebenso muss durch politische Kontrollgremien wohl sehr genau der Einfluss von NGOs auf die Verordnungen von Bundesministerien durchleuchtet werden oder die Befähigung des aktuell dort tätigen Personals. Solch eine völlig undifferenzierte Verordnung in Bezug auf die Zirkustierhaltung dokumentiert letztendlich nur eines: das Versagen eines Ministeriums, das offenkundig der unseriösen Propaganda ideologisch motivierter Tierrechtsorganisationen “auf den Leim gegangen ist”.

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