Exklusiv für zoos.media – 02.07.2018. Autor: Philipp J. Kroiß
Walarien und Delfinarien spielten bei der Forschung zur Beifangreduzierung eine maßgebliche Rolle. Der Artikel hat die Forschung von Prof. Boris Culik, F³ (Heikendorf), zum Thema.
Beifangreduzierung dank Forschung in Delfinarien & Walarien
Dank der richtungsweisenden Forschung von Professor Boris Culik von F³ in Heikendorf bei Kiel haben wir heute Geräte, die, an Netzen angebracht, die Beifangquote von Schweinswalen um mehr als 70% senken können. Ohne moderne und tiergerechte Haltung von Walen wäre das niemals möglich gewesen.
Beifang ein großes Problem
300.000 Wale und Delfine sterben pro Jahr als Beifang in den Netzen auf der ganzen Welt. Eine erschreckend hohe Zahl. Moderne und akkreditierte Zoos und Aquarien machen seit Jahren auf das Thema Beifang aufmerksam und insbesondere auch den seriösen Einrichtungen, die Wale halten, liegt das Thema am Herzen.
Im Delfinarium des Zoos in Duisburg gibt es zum Beispiel in der edukativen Präsentation mit den Tieren einen Programmpunkt, der das Grundwissen zum Thema vermittelt, denn tatsächlich fragen sich viele Besucher: Warum schwimmen oder springen die Meeressäuger nicht einfach über die Netze drüber?
Schweinswale können Stellnetze in nährstoffreichen, trüben Küstengewässern schlicht nicht sehen. Viele stellen sich ja Zahnwale so vor als hätten sie ihr „Sonar“, wie ein Boot, andauernd an, tatsächlich aber setzen sie es oft nur bei Bedarf ein. Der Schweinswal sieht, und das im wahrsten Sinne des Wortes, meist kein Anzeichen für ein Hindernis, weil er schlicht nicht erwarten kann, dass da so etwas wie ein Netz in der Gegend steht und die Tragödie nimmt ihren Lauf.
Die Lösung
Zuerst dachte man, man müsse die Delfine und Wale einfach nur von den Netzen fernhalten und so wurden akustische Vergrämer eingesetzt – so genannte Pinger. Das Problem: Netze sind in den teils völlig überfischten Meeren selbst Nahrungsressourcen, oder helfen den Meeressäugern, Beute zu machen; für Wale und Delfine kann ein gut gefülltes Netz letztendlich ein Fischbuffet sein, dessen Gefahren er aber nicht (ab)sehen kann. Und das Netz hilft ihnen auch dabei, der Beute den Fluchtweg abzuschneiden.
So wurde schnell ein „dinner bell“-Effekt beschrieben: Die Geräte, die eigentlich vergrämen sollten, können von den Tieren als Indikator für Futter genutzt werden. Sie schwimmen vielleicht sogar noch extra hin, was natürlich völlig am Thema vorbeigeht, weil es das eigentliche Problem der Tiere nicht löst: sie sehen die Netze weiterhin nicht. Zudem wurde wissenschaftlich auch ein Gewöhnungseffekt an die Geräusche der Pinger beschrieben.
Prof. Boris Culik fasste deshalb einen anderen Ansatz: Klickevokation. Das bedeutet, er wollte die Tiere dazu anregen, ihr „Sonar“ selbst zu nutzen. So können sie dann die Netze wahrnehmen und schwimmen eben gerade nicht mehr hinein, verheddern sich nicht und sterben schließlich auch nicht. Er entwickelte Signalerzeuger, die künstliche Schweinswal-Kommunikationssignale aussenden, um die Tiere zum Nutzen ihres Sonars anzuregen.
Die Webseite f3mt.net beschäftigt sich intensiv mit der Forschung und bereitet sie übersichtlich, verständlich und genau auf.
Grundlagenforschung und weiterführende Forschung
Möglich war diese Idee überhaupt nur geworden, weil in Zoos und Aquarien verschiedene Walarten, zu denen auch die Delfine gehören, tiergerecht gehalten werden. Hier fand die Grundlagenforschung zur Echolokation überhaupt erst statt, da man das „Sonar“ natürlich nur in kontrollierten Versuchsanordnungen wirklich detailliert erforschen kann. Ebenso die Forschung zur Kommunikation der Tiere und auditiven Rezeption verschiedener Geräusche wäre ohne diese wissenschaftlich geführten Haltungen völlig unmöglich gewesen.
In Nord- und Ostsee sind vom Beifang vor allem die Schweinswale betroffen, weshalb sich Boris Culik besonders mit dieser Art beschäftigte. Leider gibt es in Europa kaum Haltungen dieser Art, obgleich diese Tiere vor unserer Haustür doch sehr bedroht sind. Da Delphine und Schweinswale völlig anders miteinander kommunizieren, können nur wenige Forschungsergebnisse übertragen werden.
Der anerkannte Forscher bestätigt, dass es ohne Delfinarien diese Entwicklung nie gegeben hätte. Ganz besonders wichtig waren die detaillierten Untersuchungen einer dänischen Arbeitsgruppe zur Kommunikation von Schweinswalen im Fjord & Belt Center im dänischen Kerteminde. Darauf baute Boris Culik auf, um ein naturgetreues, synthetisches Kommunikationssignal zu erzeugen, das dann die Netze für die Schweinswale „sichtbar macht“. Dort wurde es auch zuerst erprobt, bevor dann erste Feldversuche durchgeführt wurden. Das an dem Projekt beteiligte Thünen-Institut für Ostseefischerei Rostock stellte schließlich fest, dass diese Technologie in der Stellnetzfischerei der westlichen Ostsee mehr als 70% Beifangminderung bringt.
Echter Walschutz mit PAL
Schweinswal-PAL heißt das so entwickelte Gerät. Dieses Gerät ging auch schon durch die Presse und auch international genießt Boris Culik hohe Anerkennung für dessen Entwicklung. Die PAL-Produktpalette soll aber noch weitere Bereiche abdecken. Das 10 kHz-PAL-Gerät ist für Kleinwale generell gedacht und soll zum Beispiel auch den Großen Tümmler vor Beifang oder Lärmschäden an Baustellen bewahren. Großwale sollen mit dem Wal-PAL vor Stellnetzen und anderen Gefahren gewarnt werden. Die Forschung zur Wirksamkeit dieses Modells wird aktuell zum Beispiel vor den Kanarischen Inseln an Grindwalen durchgeführt.
All diese Geräte eint, dass sie andere Tierarten nicht negativ beeinflussen sollen, für fast alle Fischarten unhörbar sind und sowohl den EU- als auch den US-Vorschriften konform sein müssen. Beim Schweinswal-PAL wurde nicht nur die Wirksamkeit in Bezug auf die Beifangvermeidung nachgewiesen, sondern auch, dass die Fangerträge der Fischer nicht negativ beeinflusst werden. Auch das konnte belegt werden: kein Fischer muss einen geringeren Fang fürchten. Hierbei war auch die Grundlagenforschung aus Aquarien zum Gehör von Fischen wichtig.
Ebenso wichtig ist die Forschung in Zoos und Aquarien an Robben, denn die sollten ja nicht durch die Schweinswallaute angezogen werden und den Fisch aus den Netzen stibitzen. Den „dinner bell“-Effekt gibt es nämlich nicht nur für Wale, sondern auch für Seelöwen und Seehunde, die gerne Pinger nutzten um sich die nächste Nahrungsquelle zu erschließen. Akustische Versuche verschiedener Arbeitsgruppen zeigen, dass Robben und Seevögel den Schweinswal-PAL nicht hören können. Dies wurde in den Freiland- und Fischereiversuchen zum PAL bestätigt: sie ergaben keine Hinweise für ein Anlocken.
Die Untersuchungen am PAL zeigen, wie viel Wissenschaft in so einem kleinen Gerät steckt und wie wichtig hierfür Zoos und Aquarien, sowie ganz besonders Delfinarien und Walarien, sind und waren.
Mehr zu den einzelnen Geräten findet man in der Produktbeschreibung auf f3mt.net.
Forschung geht weiter
Über 70% Beifangverringerung sind Boris Culik aber nicht genug. Dabei hat er ein großes Problem: Die wenigen Schweinswale im F&B Center sowie im niederländischen Harderwijk sind aktuell die einzige Populationen, an denen er forschen kann. Aktuell arbeitet er daran, die Beifangvermeidungsquote weiter zu erhöhen und das Signal an andere Schweinswalpopulationen außerhalb der Ostsee anzupassen.
Zweifelsohne brauchen wir also nicht weniger Wale in Menschenobhut, sondern mehr, um die Forschung in vielen Gebieten voranzubringen. Bei Großen Tümmlern sieht es gut aus, denn da hat man eine sich selbst erhaltende Zuchtpopulation in Menschenobhut aufgebaut, auf die viele Forscher dankend zurückgreifen. Für Schweinswale aber wäre es sinnvoll und für die Forschung enorm nützlich, die bestehenden Populationen weiter auszubauen. Der Bestand im dänischen Kerteminde ist zeitweise auf nur ein Tier zurückgegangen und in den Niederlanden leben nur noch wenige Schweinswale (Amber [Rettung, w], Siepy [Rettung, w] und Ester [Nachzucht, w] im Dolfinarium Harderwijk, Michael [Rettung, m] und Dennis [Rettung, m] im Ecomare, sowie José [Rettung, w] in der Obhut der Sea Mammal Reserach Company) . Ebenso ist es für die Zukunft notwendig weitere Walarten in Zoos und Aquarien präsent(er) zu machen wie etwa den Amazonas-Flussdelfin, den man durch die desolaten Wasserverhältnisse im Amazonas dort unter Wasser nicht erforschen kann.
Über 80 der renommiertesten Wissenschaftler auf diesem Gebiet unterstützen die tiergerechte Haltung von Meeressäugern in menschlicher Obhut. Es lässt sich inzwischen gut nachweisen, dass es den Tieren gut geht, wenn sie in akkreditierten Einrichtungen gehalten werden, die sich nach dem Stand der Wissenschaft ausrichten. An den verschiedenen, professionell begleiteten Forschungsprojekten nehmen die Tiere bereitwillig teil, weil es ja aufgrund des Trainings- und Beschäftigungsprogramms sogar eine Bereicherung für die Tiere darstellt. Eine Bereicherung für ihre wilden Artgenossen ist es allemal.
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