Beluga im Vancouver Aquarium | Foto: Stan Shebs, Lizenz: CC BY-SA 2.5

Vancouvers großer Fehler

Exklusiv für zoos.media – 12.03.2017. Autor: Philipp J. Kroiß

Im Artikel wird klar, weshalb die Entscheidung gegen Meeressäugerhaltung im Vancouver Aquarium ein Schwächung des wichtigen Artenschutzes bedeutet.

Vancouvers großer Fehler

Begeisterte Besucher bei der Delfinshow des Vancouver Aquarium | Foto: Danielle Griscti, Lizenz: CC BY-SA 2.0

Wer hat es entschieden? Das Vancouver Board of Parks and Recreation, oder kurz: Vancouver Park Board, ist ein gewähltes Gremium, das über die Geschicke der Parks auf öffentlichem Grund in Vancouver Entscheidungsgewalt besitzt.
Gewählt werden Politiker. Vier Mitglieder im aktuellen Gremium stellt die Non-Partisan Association (NPA). Die lokale Partei ist mitte-rechts zu verorten und unternehmensnah. Die Vertreter sind John Coupar, Casey Crawford, Sarah Kirby-Yung und Erin Shum (Vice-Chair). Zwei Mitglieder stellt die Green Party of Vancouver Stuart Mackinnon und Michael Wiebe (Chair). Die mitte-links Partei Vision Vancouver stellt mit Catherines Evans ein Mitglied. Diese Laien haben nun über die Meeressäugerhaltung in Vancouver entschieden. Sie haben ferner die Entscheidungsgewalt über rund 200 weitere Parks.

Die wichtige Arbeit des Vancouver Aquariums

Beluga-Mutter mit Baby im Vancouver Aquarium | Foto: Iwona Kellie, Lizenz: CC BY 2.0

Das Aquarium der Stadt Vancouver wird von einer Non-Profit-Organisation betrieben. Sie hält Wale zur Forschungs- und Edukationszwecken und ist ferner das einzige Meeressäuger-Rettungszentrum in ganz Kanada. Staatliche Unterstützung erhält das Aquarium nicht. Das 9.000 Quadratmeter große Grundstück gehört der Stadt, woraus sich die Entscheidungsgewalt und Zuständigkeit des Park Board ableitet.

Neben vielen Bildungsangeboten und der Haltung von Walen, ist das Vancouver Aquarium in Forschung über und Artenschutz von Cetaceen nicht nur der einzige signifikant in Erscheinung tretende kanadische, sondern auch ein wichtiger weltweiter Akteur. So ist die aktuelle Forschung im Bereich des Vaquita-Programms anhand von geretteten Schweinswalen etwa ein wichtiger Baustein für den Erhalt dieser Art. Die Entscheidung des Park Board ist ein Messerstich in den Rücken des nationalen und internationalen Artenschutzes.

Der gerettete Schweinswal Jack im Vancouver Aquarium. | Foto: Marcus Wernicke, Porpoise.org, Lizenz: CC BY-SA 4.0

Zudem ignoriert das Park Board die Wissenschaft. 86 der renommiertesten und besten Wissenschaftler auf dem Gebiet der Meeressäuger und deren Haltung haben ein Papier unterzeichnet, das sich für die Fortführung der artgemäßen menschen Obhut von Meeressäugern ausspricht. Im Park Board selbst sitzt kein einziger auch nur vergleichbarer Experte für Meeressäuger, aber es besteht die offensichtliche Arroganz zur Ignoranz von mehr als 80 der wichtigsten Experten auf diesem Gebiet. Fakten, Artenschutz und Wissenschaft sind für das Park Board offenbar irrelevant – das ist das postfaktische Zeitalter.
Rechts im Bild sehen wir den Schweinswal Jack, der nach der neuen Beschlussfassung am Strand euthanasiert werden müsste. Selten können nämlich einzelne Fälle der Rettung nicht ausgewildert werden, was die Behörden unabhängig vom Halter festzustellen haben. Auch deren Haltung ist im neuen Plan für das Aquarium nicht vorgesehen. Auch die aktuellen Fälle sollen aus dem Aquarium entfernt werden.

Kampagne ähnelt anderen

Delfinshow im Connyland (Schweiz) im Jahre 2006 | Foto: wildsau, Lizenz: CC BY-SA 2.0

Ein rätelhafter Tod eines Wal, ein Gesetz im Hintergrund und die falsche Verdächtigung der Haltung – das waren die Ingredienzien der Tierrechtler-Kampagne gegen das Connyland in der Schweiz und auch der gegen das Vancouver Aquarium. Bei beiden stand der Verdacht der Vergiftung der Tiere begründet im Raum. Bei beiden wurde der Tod der Tiere von den Gegnern von Zoos und Aquarien demonstrativ ausgeschlachtet und der Grund stand bei den Zoogegnern schnell fest: die Haltung musste es sein. Bei beiden wurde zu spät bewiesen, dass dies eine Lüge war. In beiden Fällen haben die Medien nicht reflektiert, woher ihre Informationen kommen und sie einfach als Wahrheit verkauft, obgleich sie von Leuten kamen, die jede Tierhaltung beenden wollen – so natürlich auch Zootierhaltung. So muss auch die Presse die Kompetenz ausbilden, Tierschützer und Tierrechtler nicht zu verwechseln und zu erkennen, dass es sich bei Zoogegnern zumiets um Lobbyorganisationen handelt.

Die Orca-Show “Believe” in SeaWorld. | Foto: Michael Lowin, gemeinfrei

Ein lokales Gremium absoluter Laien, die keine Ahnung von Meeressäuger und/oder deren Haltung haben, aber dafür unverhältnismäßig viel Macht und natürlich unter dem Einfluss von Zoogegnern stehen, während im Hintergrund ein entsprechendes Gesetz vorbereitet wird, das deren Entscheidung im Nachhinein bestätigen soll – auch das ist ein bekanntes Konzept. Das haben wir bei der Coastal Commission im Fall SeaWorld San Diego erlebt und erleben wir nun beim Vancouver Aquarium. Zoogegner haben viel Geld darin investiert, Kampagnen zu gestalten, um das Park Board unter Druck zu setzen – genaus wie es bei der Coastal Commission war. Hier wird Relevanz erkauft und so eine Blase entwickelt, die es für Außenstehende, die nicht im Thema sind, wie solche Laiengremien, so aussehen lässt, als sprächen die Zoogegner für eine Mehrheit – das ist aber nie der Fall.

Ganz unabhängig wie man die zwei vorgenannten Kampagnen bewerten mag, kann man beobachten, dass dieselben Mechanismen auch gegen eine so bedeutende, renommierte und aktive Einrichtung wie das Vancouver Aquarium verwendet werden.

Haltung der Tiere unabhängig überprüft

Beluga und Besucher im Vancouver Aqurium | Foto: Iwona Kellie, Lizenz: CC BY 2.0

Die American Humane Association (AHA) hat das Aquarium anhand ihrer enorm hohen Standarts überprüft und als vorbildlich anerkannt – sie gehörten sogar zu den ersten vier ausgezeichneten Einrichtungen in Nordamerika. Die AHA ist die älteste amerikanische Organisation, die sich für das Wohlergehen der Tiere einsetzt. Teilweise werden sie sogar zum Tierrechtsspektrum gezählt, weil es in der öffentlichen Wahrnehmung nicht unbedingt Präzise mit den Worten Tierrechtler und Tierschützer umgegangen.

Die AHA überprüft seit einiger Zeit auch Zoos und sieht sich als unabhängige Instanz, da sie von Zoos nicht gesponsort wird oder irgendwelche Zahlungen bezieht. Durch dieses System besteht die Möglichkeit einer seriösen, unabhängigen Überprüfung. In diesem Zusammenhang wird darüber entschieden, ob das Zertifikat “humane” vergeben wir. Das hat das Vancouver Aquarium bekommen.

Beluga im Vancouver Aquarium | Foto: Stan Shebs, Lizenz: CC BY-SA 2.5

Zudem gab es nie einen nachgewiesenen Fall von Tierquälerei in der Meeressäugerhaltung des Vancouver Aquarium, obgleich populistische Kampagnen das Gegenteil behauptet haben – aber das tun Zoogegner ja ohnehin immer, weil es Teil ihres Geschäfts ist. Es gab keine unabhängigen Experten, die auch nur einen ernstzunehmenden Hinweis formulierten, es könnte den Tieren nicht gut gehen. Alle Anschuldigungen basierten auf gefühlten Wahrheiten von Menschen, die Zoos, und jede andere Tierhaltung, generell ablehnen.

Im Rahmen der Zoogegner Kampagne wurde auch die Primatenforscherin Jane Goodall vor eine Kamera gebracht. Ohne jede Expertise in dem Bereich, brachte sie zu einem Statement gegen die Belughaltung und das schlachteten Zoogegner marketingtechnisch aus. Sie hatten das Glück, Jane Goodall in einem Moment zu treffen, indem sie versuchte über die Tierrechtsszene ihr Projekt zu skalieren, was ziemlich schief ging. Inzwischen unterstützt Jane Goodall moderne Zoos und trifft Aussagen, die der Tierrechtsideologie widersprechen.

Die Association of Zoos and Aquarium (AZA) veröffentlichte zur Entscheidung ein Statement:

Die Entscheidung des  Vancouver Park Board beunruhigt auf mindestens zwei Ebenen. Erstens, da der Vorstand letztlich Wale, Delfine und Schweinswale im Vancouver Aquarium Marine Science Center verbietet, wird eine sehr bedeutende wissenschaftliche Forschung behindert, die die Erhaltung dieser Arten und anderer Meeressäugetiere in der Natur unterstützt. Und zweitens wird sie Millionen von Besuchern die Möglichkeit nehmen, Meeressäuger aus nächster Nähe zu erleben, von denen die meisten diese Tiere sonst nicht in ihrem Leben sehen werden. AZA wird eng mit dem Vancouver Aquarium zusammenarbeiten, um diese gewichtige politische Entscheidung zu beeinflussen.”

Die CAZA, die kanadatische Assoziation der akkreditierte Zoos und Aquarien findet stärkere und deutlicher Worte in ihrem Statement:

CAZA ist zutiefst besorgt über die gestrige Entscheidung des Vancouver Park Boards, vorgeschlagene Änderungsanträge zu den Statute, die vorstehen, dass das Vancouver Aquarium Marine Science Center daran gehindert wird, Wale, Delfine und Schweinswale zu importieren oder zeigen.

Während wir die philosophischen Unterschiede diskutieren können: was das Vancouver Park Board nicht verstanden hat, sind die Konsequenzen, die ihre armselig informierte Entscheidung über die Erhaltung der Wale in der Wildban haben wird.

Das Vancouver-Aquarium ist Kanadas einzige Anlage mit den Fähigkeiten, dem Fachwissen und den Ressourcen, die notwendig sind, um auf Notfälle von Meeressäugern zu reagieren und wesentliche wissenschaftliche Forschungen durchzuführen, um unsere Ozeane besser zu verstehen. Sie sind die Lebenslinie für verletzte und gestrandete Meeressäugetiere, Vorreiter in der Umweltforschung, Tierschutzaktivist und Erzähler für unsere Ozeane.

Es ist immer entmutigend, wenn die öffentliche Ordnung auf einer Ideologie basiert, im Gegensatz zu Fakten steht. Nach den Vereinten Nationen kann bis zum Jahr 2100 mehr als die Hälfte der weltweiten Arten des Meeres am Rande des Aussterbens sein. Die eilige Entscheidung von gestern hat wichtige Forschung, die notwendig ist, um anfällige Populationen von Walen in unseren Ozeanen zu bewahren, immobilisiert, indem sie das Vancouver-Aquarium um seltene Forschungsoptionen für Wissenschaftler, die in der Wildnis unmöglich sind, beraubt hat.

Die Wale, die derzeit eine erstklassige Pflege im Aquarium erhalten, die zu wichtiger Ozeanforschung beitragen und sinnvolle menschliche Verbindungen fördern, haben keine andere Möglichkeit, als zu euthanasiert zu werden. Das ist das Gewicht, das die Entscheidung von gestern trägt.

Wie die Eröffnung des neuen Marine-Säugetier-Krankenhauses in diesem Jahr zeigte, war die Notwendigkeit für Kanadas einziges Marine-Säugetier-Rettungs-Zentrum (MMRC), seine Rolle bei der Rettung von kranken, verletzten und marinen Säugetieren an unseren Küsten zu weiterzuführen, niemals größer. Mit über 100 Patienten, die jedes Jahr aufgenommen werden, wird die Entscheidung von gestern für einige Meeressäugetiere verhindern, die notwendige Behandlung zu erhalten, die erforderlich ist, um aufgepäppelt und wieder in die Wildnis gebracht zu werden.

Wir appellieren an das Vancouver Park Board, die Bürger und die Wissenschaftler, die eng mit dem Aquarium zusammenarbeiten, um die gravierenden Konsequenzen dieser Entscheidung zu berücksichtigen. Wir bitten den Park Board, mit dem Vancouver Aquarium zusammenzuarbeiten, um sicherzustellen, dass die engagierten Mitarbeiter der MMRC weiterhin das Leben von kranken, verletzten und gestrandeten Walen retten können.

Man merkt auch daran wie ernst die Lage dieser Tiere ist.

Es geht ums Überleben

Dörte schaut neugierig durch eine Scheibe im Delfinarium des Zoo Duisburg | Foto: zoos.media

Wir leben in einer Zeit der sixth extinction. Um dafür zu sorgen, dass die Biodiversität erhalten werden kann, braucht es umfassenden Artenschutz, der unterstützt wird vom umfassender Forschung. Umfassende Forschung bedeutet eine Kooperation möglichst vieler Disziplinen. In Menschenobhut lassen sich bestimmte Forschungsfragen erörtern, die man nirgendwo sonst erörtern kann – wie etwa die Echolokation der Meeressäuger. Jede Forschung, ob im Labor, im Zoo oder in der Natur, ist ein Mosaikstein, das uns ein komplexes Bild einzelner Tiere, Arten und Ökosystemen gibt aus dem man dann Schutzprojekte ableiten und schließlich durchführen kann. Walschutz kommt von Walkenntnis, um es auf eine kurze Formel zu bringen.

Wissenschaftler, also Experten für die Haltung und Forschung dieser Tiere, erklären:

“Wir wissen, dass entscheidende Forschungsergebnisse aus Studien von Delphinen und verwandten Arten aus Menschenobhut stammen, wo der überwiegende Teil von dem, was über ihre Wahrnehmung, Physiologie und Kognition bekannt ist, erforscht wurde. Dazu gehören sowohl grundlegende Fakten über diese Tiere (z.B. Echolokation und wie es funktioniert, Tauchphysiologie, Energetik, Tragzeit, Hörbereich, Signaturpfeifen und so weiter) und angewandte Informationen, wie sie auf Umweltstressoren reagieren und wie man ihre Krankheiten diagnostiziert und behandeln.
Die Vorteile dieser Forschung reichen weit über die Tiere in zoologischen Einrichtungen hinaus. Die Interpretation von Daten aus Feldstudien basiert auf dem, was wir über die Kognition und Physiologie dieser Tiere in Menschenobhut gelernt haben. Darüber hinaus tragen die Forschungsergebnisse von diesen Tieren zu unserem kollektiven Verständnis über das Tierreich bei, weil die Wissenschaft von Natur aus eine kollaborative Unternehmung ist.
Schließlich wirkt sich die Erforschung in Menschenobhut auf die Schutzbemühungen aus: a) die Bereitstellung der grundlegenden Informationen, die notwendig sind, um Erhaltungspläne und -praktiken zu erstellen (z.B. typische Atmungsraten, Stoffwechselraten, Schwangerschaftslänge, Hörbereich und Schwellen usw.), (b) das Dokumentieren physiologischer und verhaltensbasierter Reaktionen auf Umweltstressoren wie Geräusche und Umweltverschmutzung, um die Popluationsmanager zu informieren, und (c) die Entwicklung und Erprobung von Techniken und Instrumenten zur Bewertung von Tieren im Feld.
Die Fortschritte, die aus der Forschung in Haltungen von Meeressäugern gekommen sind, konnten nicht aus Studien von Tieren in freier Wildbahn kommen. Feldstudien sind entscheidend, aber viele Forschungsfragen sind ungeeignet zur Entdeckung aus der Ferne.
Untersuchungen zur Schwangerschaft, Geburt und fein überwachte Kalbentwicklung erfordern die Art der nahen und konsistenten Beobachtung, die nur in zoologischen Einstellungen möglich sind. Die Hypothesenprüfung, die für Fragen über Kognition, Wahrnehmung und Physiologie erforderlich ist, erfordert die Fähigkeit, Tiere mit spezifischen Situationen und Herausforderungen zu konfrontieren, die die notwendigen Kontrollen, Konsistenz und Wiederholung ermöglichen, die in der Wildnis unmöglich zu erreichen sind.
In der Tat, wie bei der Forschung in jeder Disziplin, ein umfassendes Verständnis dieser Tiere erfordert eine Kombination von in-situ und ex-situ-Studien; Studien in der Wildnis und in zoologischen Einstellungen. Diese Idee ist weder neu noch spezifisch für Meeressäugetiere, sondern ist entscheidend für die Art und Weise, wie wissenschaftliche Forschung funktioniert.”
Vaquitas stehen unmittelbar vor ihrer Ausrottung. | Foto: Paula Olson (NOAA); Lizenz: public domain

So wird klar, dass man nicht auf die artgemäße Haltung dieser Tiere verzichten kann, ob dieser Fakten nun gefällt oder nicht. In der Zeit, in der auf der ganzen Welt um das Überleben verschiedener Arten gekämpft wird und Zoos hierfür wichtig sind (in unserem Einzelfall ließe sich hier das Beipiel Vaquitas nennen), darf man dem Artenschutz nicht schaden bzw. man kann es sich schlicht nicht leisten, Schutzprojekte zu schwächen. So wird auch klar, warum diese Entscheidung ein großer Fehler war.

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