Portrait eines jungen Löwens im Tierpark Hellabrunn | Foto: Martin Falbisoner, Lizenz: CC BY-SA 3.0

Dr. Thomas Kauffels, Tierdokumentarfilme & Zoos

Exklusiv für zoos.media – 11.09.2025. Autor: Philipp J. Kroiß

Sind die sehr guten Tierdokumentarfilme wirklich der größte Feind der Zoos? Ein von der WELT aus dem Kontext gerissenes Zitat von Dr. Thomas Kauffels, Direktor des Opel-Zoos in Kronberg, hat für Verwunderung gesorgt.

Angola-Löwe Matadi im Zoo Leipzig (2013) | Foto: Appaloosa, Lizenz: CC BY 3.0

Thomas Kauffels, Tierdokumentarfilme & Zoos

Überschriften sollen aufmerksam machen auf zum Beispiel ein Interview. Darin versteht man das Zitat der Überschrift dann meist erst richtig. Im Print war das ein sehr guter Mechanismus. Er geht online nur oft fehl, weil die Überschrift jeder lesen kann, sich aber der Kontext dann hinter einer Paywall versteckt. Dann bleibt unter Umständen ein Zitat haften, das – ohne den Kontext – ein falsches Bild abgibt.

Also, nein, Dr. Thomas Kauffels hat die sehr guten Tierdokumentarfilme nicht zum Feind von Zoos erklärt in diesem generell lesenswerten Interview. Wie das Zitat wirklich gemeint war, erfährt man im Kontext. Da geht es dann nämlich gar nicht um Feindschaft zum Film, sondern eher um Probleme bei der Rezeption durch die Zuschauer. Hier liegt ein Problem, das im Medium selbst begründet liegt.

Filme: Schiefes Bild vom Löwen

Löwe gähnt herzhaft im Loro Parque | Foto: zoos.media

Der Biologe nimmt den Löwen als Beispiel: „Ein Löwe liegt, schläft oder ruht aber 23,5 Stunden am Tag.“ In den guten Filmen aber sähe man den Löwen eben nicht die meiste Zeit schlafen, sondern aktiv sein. Er zeigt auch Verständnis dafür, dass eine Doku, die das Verhalten des Löwen korrekt repräsentieren würde, kein Mensch schauen würde, sie sei einfach zu langweilig. Gute Safaris, so erklärt er weiter, würden ja auch nur zu den Aktivitätszeiten der Tiere – früh morgens und abends – angeboten, weil die Tiere bei hochstehender Sonne und in der Nacht ruhen.

Er sieht als Problem, dass mit diesem schiefen Bild vom aktiven Löwen, die Menschen dann in den Zoo kämen und dort in der Regel nur ruhende Löwen sehen. Dieser scheinbare Widerspruch würde so zu Fehlschlüssen der Besucher über das Verhalten von eben zum Beispiel Löwen im Zoo führen. Sie hätten sie ja vorher die ganze Zeit aktiv gesehen, im Zoo dann nicht. Das ist die Problematik, auf die er eigentlich hinweist. Die ist auch bekannt.

Somit ist in seiner Erklärung der eigentliche Feind nicht der Dokumentarfilm selbst, sondern ein Fehlschluss daraus. Leider entsteht der immer wieder und auch die Tierrechtsindustrie nutzt ihn in ihrer Propaganda gegen Zoos aus. Es gibt also keine Feindschaft zwischen den guten Zoos und den guten Tierdokumentarfilmen. Der Biologe wies einfach nur auf eine durch das Medium bedingte Problematik hin.

Zensur der Natur

Orca nahe Victoria in British Columbia | Foto: Kevstan, Lizenz: CC BY-SA 3.0

Die Problematik auf die Dr. Kauffels hinweist, ist schon so lange ein Problem, seit es solche Dokus gibt. Man kann nicht die meiste Zeit eines Film darauf verwenden, den Löwen bei seiner Hauptbeschäftigung zu zeigen, dem Ruhen. Dann verlassen die Leute das Kino oder schlafen ein. Das ist nicht der Sinn der Sache. Vielmehr versuchen sich die Dokumentarfilme mit den immer noch spektakuläreren Sequenzen zu überbieten. Dieser Wettbewerb verzerrt ganz natürlich den Blick aufs Tier.

Das eigentliche Problem ist eine mangelhafte Medienkompetenz der Rezipienten. Es fehlt sehr häufig die Reflektion des Mediums an sich, das eben immer eine Brille ist, durch die man sieht und die – gerade bei Dokumentationen – auf Gefälliges gerichtet wird. Ruhende Löwen sind nicht gefällig, aber das geht ja noch weiter: Sobald wilde Tiere einen Makel haben wie etwa, entstellende Narben, als ungewöhnlich empfundene Körperformen und so weiter, werden sie in den seltensten Fällen gefilmt.

Ein klassisches Beispiel sind etwa die Rückenflossen von Orcas. Alves et al. (2017) zeigten das die geknickte Rückflosse bei wilden Orcas keine Seltenheit ist – wir berichteten. Jetzt kann man sich mal fragen, ob jedes vierte bis fünfte wilde Männchen, das in einer Orca-Doku zu sehen ist, so eine Rückenflosse aufweist. Das ist nicht der Fall. Es ist nicht so als bekäme man solche Tiere nicht vor die Linse. Das bekommt man. Es gilt nur nicht als „schön“, obwohl es normal ist. Ganz genauso wie der ruhende Löwe.

Bildung ist entscheidend

Die Afrika-Savanne im Opel-Zoo | Foto: Tragopan, Lizenz: CC BY-SA 2.0

Mangelhafte Medienkompetenz ist somit der eigentliche Feind der Zoos, wenn man es denn mit diesem Wort ausdrücken will. Das kommt im ganzen Interview mit Dr. Thomas Kauffels auch hervorragend heraus. Er erklärt engagiert, warum es moderne Zoos und Aquarien braucht in der heutigen Zeit. Das hat es leider in die Schlagzeile der WELT nicht geschafft.

Eines zeigt dieser ganze Vorgang aber sehr deutlich: Das Schulen der Medienkompetenz spielt eine immer größere Rolle. Wo verzerren Medien den Blick auf die Natur? Was muss man geraderücken? Das sind auch Fragen, die im Zoologischen Gärten als außerschulisches Bildungszentrum wichtig sind. Dekontexualisierungen und Desinformationen sind auch Herausforderungen, denen sich der moderne Zoo stellen muss. Oft genug werden live im Zoologischen Garten gängige Misskonzeptionen zu Tieren, ihrer Haltung und ihrem Schutz erfolgreich geradegerückt.

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