Diego, eine Hood-Island-Riesenschildkröte (Chelonoidis hoodensis) an der Charles Darwin-Forschungsstation in Santa Cruz auf Galapagos | Foto: Kaldari, Lizenz: CC0 1.0

Robert Marc Lehmann, Zoos & Galapagos-Riesenschildkröten

Exklusiv für zoos.media – 16.06.2025. Autor: Philipp J. Kroiß

Sind Galapagos-Riesenschildkröten in Zoos reine Schautiere und haben keine Relevanz für die Wildbestände, wie Robert Marc Lehmann behauptet? Nein. Vielmehr sind sie wichtiger Teil der Bemühungen das Überleben der Riesenschildkröten von Galapagos zu sichern.

Robert Marc Lehmann, Zoos & Galapagos-Riesenschildkröten

Nachdem er mit den Sumatra-Nashörnern schon eine Bruchlandung hingelegt hat, versucht sich Anti-Zoo-YouTuber Robert Marc Lehmann nun an Galapagos-Riesenschildkröten. Aber auch hier funktioniert die offensichtliche Hetze gegen Zoologische Gärten nicht. Die Fakten sprechen erneut gegen die Darstellung des Zoogegners. Nicht mal sein „Kronzeuge“ beziehungsweise namentlich genanntes Beispiel scheint seine Ansicht zu teilen. Der Beitrag wird zum totalen Desaster. Die Artenschützer vor Ort arbeiten erfolgreich mit Zoos zusammen.

Schon die Grundlagen sind falsch

In seinem Beitrag spricht er von der „Galápagos-Riesenschildkröte (Chelonoidis porteri)“. Schon das ist nicht wirklich richtig. Es gibt nicht die Galapagos-Riesenschildkröte, sondern den „Chelonoidis niger“-Artenkomplex. Chelonoidis porteri beziehungsweise Chelonoidis niger porteri bezeichnet die Westlichen Santa-Cruz-Riesenschildkröten. Das ist lange nicht die einzige Art oder Unterart, die diesen Komplex ausmacht.

Sie sind auch kein eigenes Taxon. Sie bilden mit einigen Schildkrötenarten des südamerikanischen Festlands die Gattung Chelonoidis. Man sieht eine Aufteilung vom „Chelonoidis niger“-Artenkomplex sowohl in Arten, als auch in Unterarten. Das macht es manchmal etwas kompliziert. Nochmal schwieriger wird es, weil man dazu in der Natur auch Kreuzungen findet – hauptsächlich auf der Insel Isabela. Daher ist die Beschreibung nicht einfach. Sie lässt sich aber recherchieren.

Lehmann beschreibt „durch Schutzmaßnahmen vor Ort (u. a. von Charles Darwin Research Station, seit 1964)“ würden die „Populationen oder Unterarten“ also „stabilisiert oder wieder eingeführt“. Diese Charles Darwin Research Station ist der wissenschaftliche Forschungscampus der Charles Darwin Foundation. Diese wiederum feiert im kommenden Juli „65 Jahre bahnbrechende Naturschutz-Arbeit auf den Galapagos-Inseln“. Jetzt wird es aber durchaus interessant, wo sie das feiert. Spoiler: Es ist so gar nicht unterstützend für Lehmann.

Kein Beitrag durch Zoos & Aquarien?

Haupteingang vom Houston Zoo im Jahre 2021 | Foto: Rasar90, Lizenz: CC BY-SA 4.0

Die Stiftung feiert dieses schöne Jubiläum im Houston Zoo. „Wir arbeiten mit unseren langjährigen Freunden im Houston Zoo zusammen, um einen besonderen Abend in ihrer atemberaubenden Galapagos-Ausstellung zu veranstalten – ein gemütliches Beisammensein zwischen Seelöwen und Riesenschildkröten“, schreibt die Stiftung in Englisch auf ihrer Webseite zur Ankündigung der Veranstaltung. Das sieht jetzt nicht danach aus, als sei man bei der von Lehmann selbst erwähnten Station so seiner Meinung oder würde seine Behauptungen unterstützen. Das ist dann schon ziemlich peinlich.

„Es gab oder gibt keine relevante Zucht in Europa oder Nordamerika seitens der Zoos, mit Relevanz für die Wildbestände“, behauptet Lehmann doch glatt, aber es stimmt eben nicht. Das widerlegt sich nicht nur im Houston Zoo. Das St. Louis Zoo WildCare Institute und das St. Louis Zoo Institute for Conservation Medicine sind kollaborierende Partner des Projekts der Charles Darwin Foundation zur Rettung der Riesenschildkröten. Solche Kollaborationen und Beiträge mit Relevanz für die Wildbestände sind nur möglich mit der Zucht von diesen Schildkröten in Zoos. Es beschränkt sich aber auch nicht nur auf den St. Louis Zoo. Da gibt es noch mehr.

Die wahre Geschichte von Dieg0

Die Hood-Island-Riesenschildkröte Diego, die ebenfalls zum „Chelonoidis niger“-Artenkomplex gehört, aus dem San Diego Zoo sorgte 2020 für Schlagzeilen. In den frühen 1970er Jahren gab es von diesen besonderen Schildkröten nur noch 13, die in der Charles Darwin Research Station gehalten wurden. Nur zwei davon waren Männchen. Zum Glück aber entdeckt man Diego im Zoo. Er brachte dringend notwendige genetische Diversität in das Zuchtprogramm. Das wurde 1976 gegründet, er stieß ein Jahr später hinzu.

Diego war enorm wertvoll für das Zuchtprogramm. Er steuerte 900 Riesenschildkröten – 40% des gesamten Outputs des Programms – bei. Dadurch wurde er eine Legende auch in der Online-Welt. Man unterstellte ihm, er habe quasi mit seiner Begeisterung für Fortpflanzung die Art gerettet. Diego und 14 weitere Schildkröten aus dem Programm wurden am 15. Juni 2020 auf der Insel Española ausgewildert. Bis heute hat der San Diego Zoo eine der größten Kolonien von Galapagos-Riesenschildkröten auf der Welt. Das soll keine Relevanz sein? Tatsächlich ist es eine große Relevanz. Das ist offensichtlich.

Der Zoo züchtet solche Schildkröten bereits seit 1958. In Zoologischen Gärten entstand nämlich auch das Know-How, das heute für die Zucht der Riesenschildkröten auch auf Galapagos eingesetzt wird. 1969 wurde der San Diego Zoo ein Partner der Charles Darwin Foundation. Er war an der Finanzierung der neuen Schildkröten-Aufzuchtanlage beteiligt und unterstützte bei kontrollierten Erhaltungszucht- und Auswilderungsprogrammen. Ohne Zoos, wie den in San Diego, hätte es also weder Zucht- noch Auswilderungsprogramme zum Beispiel für die Hood-Island-Riesenschildkröte in der Form geben können.

Zuchterfolge in Europa und darüber hinaus

Eine der wenigen in der Natur noch überlebenden Alcedo-Riesenschildkröten auf einer der Galapagosinseln | Foto: Pedro Szekely, Lizenz: CC BY-SA 2.0

Im Zoo Zürich sind von 1989-2021 beeindruckende 125 Riesenschildkröten geschlüpft. Daher gilt der Zoo als international gefragtes Kompetenzzentrum für Haltung und Zucht dieser Tiere. Dort befindet sich auch der Schweizer Sitz vom Verein Freunde der Galapagosinseln und das Europäische Zuchtbuch wurde dort 2004 auch eingerichtet. Dem Tropiquarium de Servion gelang 2021 als zweiter Halter in Europa die Nachzucht. 2023 schlüpften die ersten dieser Schildkröten im Loro Parque. So gelingt mehr und mehr die Zucht auch in Europa.

Früher dachte man, es handele sich nur um eine Spezies, Chelonoidis niger, und züchtete in Zoos einfach nur diese Art. Erst später wurde klar: Es ist wohl ein Artenkomplex. Daher gibt es in Zoologischen Gärten auch Tiere, die genetisch keiner einzelnen Spezies zugeordnet werden können. Diese pflegt man natürlich trotzdem. Ihre Haltung und Zucht ist aber nicht vergebens, weil sie nicht nur wichtige Botschafter für die Projekte zur Rettung der Populationen sind, sondern auch Modelle, um mit ihnen Zucht zu optimieren.

Somit haben auch nicht ausgewilderte Tiere natürlich Relevanz für die Wildbestände. Ohne sie, wäre die Zucht auf Galapagos und auch die Auswilderung dort gezüchteter Tiere nicht möglich. Aber es gibt natürlich auch (unter-)artenreine Galapagos-Riesenschildkröten in Zoos. Vergangenen April feierte der Philadelphia Zoo den Schlupf von vier Westlichen Santa-Cruz-Riesenschildkröten. Weniger als ein Jahr zuvor feierte der Oklahoma City Zoo den Schlupf von fünf Alcedo-Riesenschildkröten. Auch der Auckland Zoo züchtet mit seinen Cerro-Azul-Riesenschildkröten erfolgreich. Das sind erstmal nur drei Beispiele.

Natürlich artenschutzrelevant

Junge Galapagos-Riesenschildkröte im Loro Parque auf Teneriffa | Foto: Loro Parque

So sind die in Zoologischen Gärten gehaltenen Galapagos-Riesenschildkröten natürlich historisch und auch aktuell artenschutzrelevant und nicht, wie Lehmann behauptet, „reine Schautiere“. Das ist auch sehr offensichtlich. Man muss es aber natürlich auch sehen wollen. Wer es sehen will, widerlegt den Beitrag von Robert Marc Lehmann innerhalb von Sekunden. Das ist super einfach.

In dem anscheinenden Eifer, Zoos schlecht zu machen, pickt er sich immer wieder Arten heraus, bei denen man eigentlich schon sehr die Augen verschließen muss, um den Artenschutz- beziehungsweise Populationsschutz-Beitrag von Zoos nicht erkennen zu können. Nach Orcas, den erwähnten Nashörnern und nun den Riesenschildkröten von Galapagos wird man sehen, welche Art oder welcher Artenkomplex als nächstes dran ist. Hier ist übrigens eine Liste von über 160 Arten, die dank Zoos und Aquarien überleben. Sie ist aber auch noch nicht vollständig und wird laufend ergänzt.

Die Weltnaturschutzunion (IUCN) gilt für viele als höchste Instanz im Natur- und Artenschutz. Wie steht die zu Zoos und Aquarien? Die IUCN Species Survival Commission (SSC) „schätzt die Schlüsselrollen, welche botanische Gärten, Aquarien und Zoos an der Schnittstelle zwischen Ex-situ- und In-situ-Erhaltung spielen können und bereits auch tun.“ Und weiter: „Schlussendlich ermutigt die SSC all ihre Partner, einschließlich Regierungsbehörden, mit botanischen Gärten, Aquarien und Zoos bei der gemeinsamen Arbeit zur Rettung von Arten im Sinne des One-Plan-Approachs zusammenzuarbeiten.“ Das ist sehr deutlich geäußerte Unterstützung.

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