Die Eisbären-Anlage im Erlebnis-Zoo Hannover ist naturnah und abwechslungsreich gestaltet. | Foto: zoos.media

Immersion im Zoo

Exklusiv für zoos.media – 06.11.2019. Autor: Philipp J. Kroiß

Was ist Immersion und was hat das mit Zoos zu tun? Dieser Artikel erklärt ein Phänomen, das viele kennen und dessen Bedeutung für moderne Zoos & Aquarien.

Immersion im Zoo

Das Thema Immersion ist in der Medienwissenschaft erst durch die Analyse von virtuellen Welten und Realitäten wirklich zu einem großen Begriff geworden, denn die Nutzer wurden in eine virtuelle Welt gezogen mit der sie aktiv interagieren konnten – das brauchte einen Namen. Unterschieden wird zwischen passiver und aktiver Immersion. Der gerade beschriebene Umstand ist im Unterschied zur passiven Immersion zu sehen, wie diese man etwa beim Film hat, denn dort kann man mit der Welt, in die man eintaucht, nicht interagieren.

Was hat das mit Zoos zu tun? Immersion gibt es eben auch offline. Den Grundstock dafür legte vor etlichen Jahren schon Carl Hagenbeck mit seiner Idee, dem Tier ohne sichtbare Barrieren zu „begegnen“. Die Grundidee des gitterlosen Zoos machte Zoologische Gärten plötzlich unmittelbarer – gefühlt war man näher am Tier. Bis heute wird diese Idee auf verschiedene Arten weiterentwickelt.

Der Besucher nah am Tier

Haitunnel | Quelle: Loro Parque

Besucher gehen aber in den Zoo zur möglichst nahen Begegnung mit dem Tier. Das wird durch die neuen Medien noch intensiver werden, weil Tiere einfach nur zu sehen – nun, dafür kann man auch Googeln. Das möglichst direkte Tier-Erlebnis wird die Zukunft der Zoos sein. Dabei stößt aber ein Zoo schlicht an Kapazitätsgrenzen, was spezielle Führungen anbelangt, die das ermöglichen oder er stößt auch an Machbarkeitsgrenzen, was die Tiere selbst anbelangt, denn manche Tiere sind für den Besucher zu gefährlich oder sie leben in einem ganz anderen Element.

Aus diesem Grund haben sich Zoodesigner ganz tolle Konzepte ausgedacht – am bekanntesten ist wohl der Haitunnel. Jedes größere Aquarium, das es sich leisten kann, wartet inzwischen mit so einem „Hailight“ auf, sodass es vielmehr zum Standard geworden ist. Eher neu sind nun Scheibenkonzepte, bei denen man sich im Lebensraum der Tiere fühlt.

Die große Panoramascheibe in Poema del Mar ist ein gutes Beispiel dafür. Die gerundete Scheibe ist so konzipiert, dass sie menschliche Blickfeld ab einem bestimmten Punkt komplett ausfüllt. Es ist als stünde man trockenen Fußes auf dem Meeresgrund und kann so die Fische beobachten. Dies ist das gleiche Prinzip wie bei modernen Panorama-Fernsehgeräten, die ebenfalls eine leichte Rundung besitzen. Nur im Aquarium ist es eben real und man fühlt sich dem Tier so nahe wie es nur irgendwie geht.

Themenwelten als Offline-Immersion

Berberlöwe Basu im Erlebnis-Zoo Hannover | Foto: zoos.media

Wo im Aquarium einfach elementare Grenzen vorhanden sind, von Wasser zu Luft, so ist bei den Tieren oberhalb der Wasseroberfläche eine ganz andere immersive Präsentation möglich. Das ist die Themenwelt. In Deutschland sicherlich am besten sieht man das im Erlebnis-Zoo Hannover. Hier sind es aus Sambesi in Afrika nur ein paar Schritte bis zur Yukon Bay in Kanada.

Mensch und Tier sind hier in einer Welt und nur durch wenig sichtbare Barrieren getrennt. Der Hafen der Yukon Bay mit Robben, Pinguinen und Eisbären ist ein komplett durchdachtes Gesamtkunstwerk, in dem man sich der Illusion nicht entziehen kann. Durch Fenster im Schiffrumpf der Yukon Queen beobachtet man Eisbären und Robben oder schaut ihnen vom Hafen aus beim Spielen zu. Die Pinguine leben als exotische Gäste auf der Yukon Queen und alles ergibt einen Sinn.

Die Gehege-Begrenzung ist Teil der Geschichte, die der gesamte Komplex erzählt. Die Grenzen zwischen den Lebensräumen von Tier und Mensch verschwimmen und es entsteht die Illusion, sich im Lebensraum der Tiere zu befinden. Dazu kommen gut durchdachte Sichtachsen und wenn die Sonne immer Sommer voll scheint, fühlt man sich in der Themenwelt Sambesi wirklich wie in Afrika und wer im Winter durch Yukon Bay geht, kommt dem Erlebnis Kanada so nah wie er dem nur irgendwie kommen kann ohne etliche tausend Flugkilometer hinter sich zu bringen.

Wie gelingt Immersion?

Details, Details und … ach, ja … Details! Das ist das Zauberwort, damit Immersion gelingt. Das sieht man auch bei der Online-Immersion. Schaut man sich den Unterschied von virtuellen Welten im 10-Jahres-Vergleich an, sieht man wie detailreicher sie geworden sind. Das selbe Prinzip gilt auch bei den Themenwelten Offline, denn die Illusion kann schnell brechen und dann ist der Effekt dahin.

Ein Musterbeispiel hierbei ist Afi Mountain im Erlebnis-Zoo Hannover. Die Schneckenfarm, bei der weder die Schnecken, noch ihr Futter oder gar die Farm echt ist, kann man sich der Illusion, die dieser edukative Bestandteil mit Blick auf den Artenschutz hat, aber trotzdem nicht entziehen, weil es so realistisch und dadurch immersiv wirkt. So wird Naturschutz-Edukation dann plötzlich zum immersiven Erlebnis und bleibt natürlich als Bestandteil einer authentischen Themenwelt viel eher hängen als ein Plakat neben einem von Gittern umgebenen Gehege.

An diesem Beispiel sieht man auch wie Immersion nicht nur das Tier-Erlebnis optimiert, sondern eben auch bei der Erfüllung des Bildungsauftrages hilft, weil Lehrinhalte plötzlich nicht nur lebendig, sondern auch authentisch werden. Das ist sehr wichtig, um besonders dem jungen Publikum wirklich gerecht zu werden. Die sind Immersion gewohnt, aber bei der realen Immersion, die eine Themenwelt bietet, kann eine virtuelle nie mithalten und wird das auf Jahrzehnte auch definitiv so bleiben.

Im Zoo kann man alle Sinne ansprechen, die virtuelle Welt ist – und wird das auch noch lange bleiben – auf Sehen und Hören beschränkt und selbst da gibt es ja bis heute noch sichtbare Schwächen, nach denen man noch nicht mal großartig suchen muss. In der realen Welt aber kann man bis ins letzte Detail die Illusion perfekt machen. Das sieht man – abseits der Zoos – auch in guten Freizeitparks.

Immersion nur Entertainment?

Glückliche Elefanten im Erlebnis-Zoo Hannover | Foto: zoos.media

In Hannover sieht man am gerade genannten Beispiel auch, dass Immersion nicht nur vom kommerziellen Standpunkt aus betrachtet werden sollte. Natürlich wird ein immersives Angebot finanzielle Vorteile für zoologische Einrichtungen bedeuten, solange diese gut gemacht sind und mit dem Publikum resonieren. Immersion kann aber eben auch zur Erfüllung des Bildungsauftrags genutzt werden.

Artenschutzthemen, die man homogen in eine Themenwelt einarbeitet, werden mehr Menschen erreichen als wenn sie nur beigestellt werden – etwa durch ein Plakat oder eine Lernstation. Ziel der Immersion ist es ja, dass der Mensch eintaucht und diese Welt erforschen will. Natürlich beschäftigt er sich dann eher auch mit den edukativen Themen, denn sie sind ja untrennbar mit dem Gesamterlebnis verbunden.

Zur Immersion ist nicht unbedingt eine ganze teure Themenwelt nötig, auch einzelne Gehege können immersiv wirken. Ein tolles Beispiel, um nur mal eines von mehreren guten zu nennen – und nebenbei ist die Anlage auch ein Beweis dafür, dass Immersion nichts mit Grundfläche der jeweiligen zoologischen Einrichtung zu tun hat – ist das Kea-Gehege im Tierpark + Fossilium Bochum. Auch hierbei fühlt man sich dem Lebensraum der Tiere so nahe wie kaum woanders.

Ist Immersion des Rätsels Lösung?

Ist es also nun die Immersion, die den Zoos die Zukunft sichert. Jaein, denn sie ist ein Teil davon. Keine Immersion der Welt – ob online oder offline – kann das Gefühl ersetzen ein Tier zu berühren. Man kann viel über den Rüssel von Elefanten lesen und dessen Anatomie studieren, aber ihn wirklich zu fühlen und zu spüren wie er benutzt wird, kann nichts auf der Welt ersetzen. Solche Führungen, die auf die Tierbegegnung setzen, sind also nach wie vor wichtig.

Spitzmaulnashorn im Erlebnis-Zoo Hannover | Foto: zoos.media

Ebenso kann nichts eine gute Show ersetzen, denn hier kann man hervorragend edukative Inhalte vermitteln, aber man zeigt auch die wunderbare Beziehung zwischen Pfleger und Tier. Wer einmal wirklich erlebt wie liebevoll die Delfintrainer in guten zoologischen Einrichtungen mit ihren Tieren umgehen, glaubt den Aktivisten nicht – wohlwissend fordern sie ja deshalb auch „Don’t buy a ticket!“, denn dann würden ihre Lügen, die die Desinformanten von ihren eigenen Besuchen in die Welt tragen, ja auffliegen.

Das sind zwei Beispiele, warum Immersion alleine das Ruder nicht rumreißen wird. Weitere Kanäle der Information werden wichtig bleiben. Umso kritischer ist dann zu sehen, dass verschiedene Zooverbände sich durch den eigenen Opportunismus gerade diese Butter vom Brot nehmen lassen. Ohne Kontakt zum Tier hilft einem die beste Immersion nichts. Wer den Zoo von einer Begegnungsstätte zurückentwickelt zu einer Art lebendigem Museum, wird sehr bald für immer die Türen zusperren müssen.

Wer Tiere nur sehen will, der googelt, wer Tiere wirklich erleben will, geht in den Zoo. Wenn der Zoo nicht mehr ist als eine Schaufenster-, Guckloch- oder Gitterparade ist, hat er keine Zukunft mehr. Der Zoo der Zukunft ist eine immersive Begegnungsstätte von Menschen und Tieren. Natürlich kann man nicht jedes Tier streicheln und das muss man auch gar nicht, aber es ist auch falsch, die Kontaktmöglichkeit immer mehr zu limitieren.

Bei manchen Tieren geht nämlich schon einiges – das „Rendezvous mit dem Lieblingstier“ in Hannover ist ein tolles Beispiel dafür. Auch der Tiergarten Nürnberg ermöglicht tolle Mensch-Tier-Begegnungen. Im Georgia Aquarium kann man sogar mit Tieren tauchen. Das sind drei von einigen guten Beispiel aus der Zoowelt, die zeigen wie wundervoll man Edukation, Tierwohl und Tiererlebnis verbinden kann.

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