Blick von oben in den Plenarssaal des Bundestags. | Foto: Tim Tregenza, Lizenz: CC BY-SA 3.0

Anhörung im Bundestag zu Wildtieren im Zirkus

Exklusiv für zoos.media – 15.10.2019. Autor: Philipp J. Kroiß

Am Montag gab es eine Anhörung im Deutschen Bundestag zum Thema Wildtiere in Zirkussen. Mit dabei war unser Beiratsmitglied und Wildtierexperte Dr. Immanuel Birmelin.

Anhörung im Bundestag zu Wildtieren im Zirkus

Am 14.10.2019 gab es eine Anhörung zur Haltung von Wildtieren im Bundestag. Dazu waren verschiedene Experten geladen. Ansehen kann man sich die Anhörung hier:

Bei Problemen mit der Einbettung bitte diesen Link nutzen. Eine Kurzzusammenfassung kann man hier lesen.

Dr. Birmelin mit wissenschaftlichen Belegen zum Wohlergehen

Weißer Tiger im Circus | Foto: Astrid Reuber (Lacey Fund e. V.)

Bemerkenswert war, dass unter allen Experten nur ein Forscher im fraglichen Gebiet war. Der einzige geladenen Experte, der wissenschaftlich mit Zirkustieren und Wildtieren gearbeitet hat und ihr Wohlergehen in einer international anerkannten Studie erörtert hat, war unser Beiratsmitglied Dr. Immanuel Birmelin. Nur zwei Experten hatten zudem Erfahrung mit der Arbeit von Zirkustieren als Tierlehrer. Praktizierende Tierärzte waren nicht vor Ort, allerdings zwei Behördenvertreter mit zumindest veterinärmedizinischem Hintergrund. Die übrigen Experten hatten keine praktische Erfahrung in der Arbeit mit Tieren im Zirkus. Gerade diese Leute wurden dann bei der späteren Befragung der Experten auch interessanterweise bevorzugt behandelt, während man die Menschen mit nachgewiesener Expertise eher weniger zu Wort kommen ließ.

Dr. Birmelin erforscht sei etlichen Jahrzehnten das Verhalten von Wildtieren, Zootieren und Zirkustieren – er sprach für die Wissenschaft: “Artgemäß ist unserer Meinung nach nicht der geeignete Begriff, um das Wohlbefinden eines Tieres zu beurteilen. Heute haben wir bessere Rüstzeuge. Wir können die Stresshormone messen.” Er ging in diesem Zusammenhang mit Kollegen wissenschaftlich der Frage nach: “Können sich Löwen an die Haltungsbedingungen von Zoo und Zirkus anpassen?” Die klare Antwort lautet: Ja.

“Vom wissenschaftlichen Standpunkt her gibt es keine Anzeichen dafür, dass das Anpassungspotential der hier untersuchten Löwengruppen überschritten und das Wohlergehen der Tiere beeinträchtigt ist.” – Birmelin et al., 2013

Keine wissenschaftliche Studie hat diese Ausführungen bisher widerlegt. Die Studie deckt über die Cortisolspiegel hinaus auch intensive Studien am Verhalten der Großkatzen ab. Diese Untersuchungen decken sich auch mit den Befunden anderer seriöser Wissenschaftler. Darüber hinaus beschäftigte sich Dr. Birmelin mit Elefanten und mit dem Transport von Zirkustieren. Seine Forschungen zeigen, dass gute Zirkusse sehr wohl für das Wohlergehen von Tieren sorgen können. Die ebenfalls zur Expertenanhörung berufenen Verbände aus dem Bereich der Tierrechtsindustrie konnten keine Studien präsentieren, die diese Funde widerlegt hätten.

Auch weitere sich als Gegner der Zirkustierhaltung verhaltenen “Experten” konnten keine wissenschaftlichen Belege für ein generelles Verbot der Wildtiere im gut geführten Zirkus vorzeigen. So war es eine stark ideologisch geprägte Diskussion, die eigentlich nicht Sinn einer Expertenanhörung sein sollte, sondern gerade hier wäre der Ort für wissenschaftliche Fakten gewesen, statt die ideologisch geführten Argumentationen einfach nur aufzuwärmen. Es gibt ja eine ideologische Diskussion etwa über freien versus geschützten Kontakt, aber die ist halt jenseits der Frage nach dem Wohlergehen der Tiere, obgleich sie zu häufig damit vermischt wird.

Der Begründer der modernen Tiergartenbiologie und ehemaliger Zoodirektor Prof. Heini Hediger erklärte deutlich: “Nicht das Ausmaß der Bodenfläche und die Gestaltung des Raumes, sondern die Harmonie in der Mensch-Tier-Beziehung sind im Zirkus entscheidend für das Wohlbefinden der Tiere, dem vornehmsten Ziel aller Tierhaltung.” Der berühmte Prof. Bernhard Grzimek stieg aus Verbundenheit zum Zirkus sogar selbst in die Manege und schaffte es durch Imitation des Tierlehrer einen Auftritt mit den Tieren zu reproduzieren. Er war dem Zirkus zeitlebens verbunden.

Tierlehrer Martin Lacey Jr. zieht Bilanz

Der Tierlehrer Martin Lacey Jr., der auch Zirkusdirektor des Circus Krone ist und sich im Bereich Tierschutz, sowie Artenschutz engagiert, zog auf Facebook Bilanz:

Ebenso meldete er sich gemeinsam mit dem FDP-Politiker Dr. Gero C. Hocker zu Wort:

Solche deutlichen Äußerungen für den Tierschutz gegen die Tierrechtsindustrie sind bitter nötig. Der Zoologe und ehemaliger WAZA-Funktionär Dr. Thomas Althaus erklärte im Rahmen seiner Verhaltensstudien zu Tieren im Zirkus und Zoo sehr deutlich: “Wenn Tiere, speziell Wildtiere, auf diese Weise, gleichsam als Repräsentanten ihrer Art, beeindrucken, die Erhabenheit und Schönheit der Kreatur symbolisieren und Erstaunen, Bewunderung und Sympathie wecken, leisten sie einen wichtigen Beitrag zur Achtung Ihresgleichen.”

“Nicht nur die Tiere im Zoo, auch die Tiere, die heute in Zirkussen gehalten werden, sind in den meisten Fällen in menschlicher Obhut und damit in “kontrollierter Umgebung” geboren worden und aufgewachsen (und kämen, wie die meisten Zootiere, in natürlichen Lebensraum nicht mehr zurecht). Seit Geburt gehört der Mensch zu den vertrauten Elementen in ihrer Umgebung. Wie die Tiere im Zoo gilt auch für die Tiere im Zirkus, dass für die Beurteilung der Qualität der Haltebedingungen die Dimensionen der Gehege, die Einrichtung der Gehege und der Faktor Beschäftigung bzw. Verhaltensanreicherung (“behavioral enrichment”) in die Waagschale geworfen werden müssen.” – Dr. Thomas Althaus auf seiner Webseite

Letztendlich sind sich alle seriösen Experten einig: An der Wissenschaft orientierte Haltungsvorgaben für Tiere im Zirkus sind richtig und sinnvoll, ein generelles Verbot ist es nicht. Ein Problem der Expertenanhörung war es allerdings, dass auch unseriöse Experten aus den Reihen der Tierrechtsindustrie gehört wurden. Die Frage wird nun sein, inwiefern auch diesen im politischen Prozess Gehör geschenkt wird. Dies wird man sehr genau beobachten müssen.

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Nachträgliche Ergänzungen: Eine praktizierende Tierärztin im Bereich Zirkustiere reichte eine umfassende Stellungnahme ein, die allerdings nicht diskutiert wurde. Sie ist aber trotzdem lesenswert. Nachträglich verfasste Dr. med. vet. K. Alexandra Dörnath, MSc Wild Animal Health, auch noch einen Faktencheck zur Anhörung auf Basis ihrer praktischen Kenntnisse. Der Zoologe Dr. Thomas Althaus reichte ebenfalls eine Stellungnahme ein, setzte sich kritisch mit dem Antrag der Grünen auseinander und kommentierte vorgebrachte Argumente der Anhörung.
Schließlich wurde der Antrag der Grünen auf ein Verbot der Wildtiere im Zirkus sehr zügig nach der Anhörung abgelehnt. Anscheinend konnte die Tierrechtsindustrie mit ihren ja bereits vor der Anhörung widerlegten Desinformationen keine Mehrheit erringen.

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