Ein junger Baka steht auf einem gefällten Stamm im Wald von Kamerun. | Foto: Michael von Graffenried, mvgphoto, Lizenz: CC BY-SA 4.0

Die negative Seite des Artenschutzes?

Exklusiv für zoos.media – 14.11.2018. Autor: Philipp J. Kroiß

Auf Basis des Reports “How will we survive?” schaut dieser Artikel auf den “grünen Imperialismus”, der sich – als Naturschutz getarnt – gegen indigene Völker richtet. Der Fokus liegt dabei auf der Errichtung des Lobéké-Nationalparks, den Baka und dem WWF.

Die negative Seite des Artenschutzes?

Auf zoos.media sprechen wir viel von Artenschutz und betonen, dass man die lokale Bevölkerung darin integrieren muss. Die Notwendigkeit von Artenschutz basiert auf den Fehlern bestimmter Menschen, aber man muss darauf achten, dass nicht die darunter leiden, die daran keine Schuld haben. Den Schutz von Arten und der Natur, die diese bewohnen, kann man kaum mit imperialistischem Gehabe gegen die lokale Bevölkerung durchsetzen.

Survival International, eine Menschenrechtsorganisation zum Schutze indigener Völker, hat nun die Schrift “How will we survive?” veröffentlicht. Diese soll einen Scheinwerfer auf ein massives Problem werfen. Sie zeigt einmal mehr, dass Artenschutz nur mit der lokalen Bevölkerung geht und nicht gegen sie.

Hauptakteure: World Wildlife Fund (WWF) & Wildlife Conservation Society (WCS)

Der 120 Seiten starke Report spricht über die Baka und Bayaka, indigene Völker des Kongo-Beckens, und beginnt direkt mit einem erschütternden Bericht: “Die „Pygmäen“ von Baka und Bayaka werden, wie Dutzende anderer Regenwaldstämme im Kongobecken, im Namen des Naturschutzes illegal aus ihren Heimatgebieten vertrieben. Nationalparks und andere Schutzgebiete wurden auf ihrem Land ohne ihre Zustimmung und oft ohne oder nur mit wenig Rücksprache errichtet.” Einige der weltweit größten Naturschutzorganisationen, vor allem der World Wildlife Fund (WWF) und die Wildlife Conservation Society (WCS), wären die wichtigsten Akteure bei diesem Prozess gewesen.

“The Baka and Bayaka “Pygmies,” like dozens of other rainforest tribes in the Congo Basin, are being illegally evicted from their ancestral homelands in the name of conservation.
National parks and other protected areas have been imposed on their lands without their consent, often with little or no consultation. Some of the world’s largest conservation organizations, principally the World Wildlife Fund (WWF) and the Wildlife Conservation Society (WCS), were the key players involved in this carve-up of indigenous lands.”  – How will we survive? [Originaltext des obigen Zitats]

Dieses Vorgehen wird als “grüner Imperialismus” bezeichnet. Er zerstört Leben und ist nicht legal. Man muss es auch tatsächlich kritisch sehen, wenn man die lokale Bevölkerung einfach aussperrt ohne entsprechende Rücksprache zu halten. Zudem verschenkt man einen Wissensschatz, denn wohl kaum jemand kennt die Flecken Erde, die man schützen will, so gut, wie die, die dort bereits seit vielen Generationen leben. Aber es bleibt ja nicht beim Ausschluss, denn die indigenen Völker werden plötzlich als “Wilderer” diffamiert, wenn sie das tun, was sie bereits seit Jahrhunderten machen: Jagen, um ihre Familien zu ernähren.

Das ruft dann wiederum die Wildhüter auf den Plan. “Die Wildhüter schlagen uns wie Tiere”, erklärt eine Bayaka-Frau. “Erzählt das der Welt, damit sie aufhören uns zu schlagen”, bittet man auch von Seiten der Baka. Die sind gar nicht gegen den Schutz der Natur, die sie umgibt, sondern es ist eines ihrer Anliegen. Bereits seit Jahrhunderte leben sie mit den Tieren zusammen und entwickelten eine Koexistenz, die es ermöglichte, dass es allen Beteiligten gut ging. Das wurde allerdings von außen massiv gestört.

“This “green colonialism” is destroying lives, and is illegal. It is also harming conservation. Scapegoating tribal people diverts action away from tackling the real causes of environmental destruction in the Congo Basin: logging and corruption.” – How will we survive?

Die Errichtung des Lobéké-Nationalpark

Baka-Dorf im Wildreservat Dja | Foto: Earwig: Lizenz: “jede Form der Nutzung, unter der Bedingung”

1991 lud der WWF Wissenschaftler ein, um zu überprüfen, inwieweit denn ein Schutzgebiet dort möglich und geboten wäre. Die Baka und ihre Nachbarn, die Bangando, namen Kontakt auf und erklärten ihre Sorge, das die Tiere und Bäume, die sie auch für die kommenden Generationen erhalten wollten, für alle Zeit vernichtet werden würden, wenn es so weiter ginge. Man versprach ihnen, das zu verhindern und alles daran zu setzen, unter Wahrung des Respekts ihrer Besitztümer und Traditionen,  das zu erhalten, was auch die indigenen Völker erhalten wollen. Exakt dieses Versprechen wurde auch gegenüber der westlichen Welt immer wieder beteuert.

Die Realität der indigenen Völker aber ist eine andere. Die Baka sind seit jeher ausschließlich Jäger, Fischer und Sammler. Durch die von Regierung und Missionaren geförderten Sesshaftwerdung in den 1960er Jahren wandelte sich dies, da nun auch Landwirtschaft, Lohnarbeit und Handel dazu kamen. Rund zehn Jahre, nachdem sie um den Schutz ihrer Natur gebeten hatten, wurde mit Unterstützung des WWF der Lobéké National Park gegründet. Statt nun aber die Holzfäller und Wilderer zu bekämpfen, entschied sich der WWF zu einer Zusammenarbeit mit dem Rhodungsunternehmen und eine Studie nach Errichtung des Nationalparks [Jell and Schmidt Machado (2002: 197)] ergab, dass die Wilderei auch nicht erfolgreich bekämpft wurde. Dafür aber waren es die Baka und ihre Nachbarn, die aus so genannten Pufferzonen vertrieben worden waren.

Zu Recht fühlten sich die indigenen Völker nun betrogen, denn es war ja genau das Gegenteil von dem passiert, was sie wollten. Die Jagd der indigenen Völker war nie das Problem, sondern eine völlig maßlose Wilderei und die Gier der Holzfäller. Diese Holzdiebe und Wilderer hat man nicht bekämpft. Noch im letzten Jahr subsumierte der Journalist Fabian von Poser in der FAZ: “Der Lobéké-Nationalpark im Südosten Kameruns ist eine verborgene Welt, in die nur wenige Touristen vordringen – dafür tun es Holzdiebe und Wilderer.” Er lässt im Artikel auch Martin Ntemgbet zu Wort kommen und der spricht über die Einheimischen:

“Im gleichen Atemzug erklärt er aber, dass es ihr Ziel sei, den Einheimischen durch Beschäftigung im Tourismus eine Alternative zur Wilderei zu bieten. „Wir müssen ihnen klarmachen, dass es sich lohnt, die Natur zu schützen.“ Durch den Tourismus könnten die Tiere des Kongobeckens ihr Überleben quasi selbst finanzieren, ist Martin Ntemgbet überzeugt. Keine leichte Aufgabe, denn diesen Park besuchen nicht mehr als ein paar hundert Touristen im Jahr. Das liegt vor allem an der mangelnden Infrastruktur: Jenseits von Kameruns Hauptstadt Jaunde gibt es außer Wald nicht viel.” – Auszug aus dem FAZ-Artikel “Lichtung und Wahrheit

Was bedeutet das im Klartext: Man setzt auf Tourismus. Das bedeutet mehr Zerstörung von Lebensräume, um die Infrastruktur da zu schaffen, wo es außer Wald nicht viel gibt und man zwingt die Einheimischen ein ein Tourismus-Geschäft bei dem fraglich ist, ob es je funktionieren wird und das sie gar nicht wollen. Es ist ein ekelhafter Ausdruck des grünen Imperialismuses und eine dreiste Umdeutung der Geschichte, dass man in dem Falle davon spricht, man müsste den Einheimischen klar machen, dass es sich lohnt, die Natur zu schützen – nichts anderes wollen sie, aber man hat inzwischen über 15 Jahre ins Land streichen lassen und sein Wort ihnen gegenüber gebrochen.

Die Einheimischen wollen Naturschutz und werden geschlagen

Jahrhunderte lang haben die indigenen Völker der Welt doch gezeigt, dass sie nachhaltig mit ihrer Natur umgegangen sind, denn sonst würde es sie gar nicht mehr geben.  Dieses Gleichgewicht haben sie Holzdiebe und Wilderer zerstört. Dem muss Einhalt geboten werden und nicht den Stämmen, die dort seit Jahrhunderten leben. Die Baka haben nun wirklich gezeigt, dass sie die Natur schützen wollen und statt sich ihr Wissen zu Nutze zu machen, in dem man sie als Partner ansieht mit denen man großes bewirken könnte, werden sie behandelt wie Menschen zweiter Klasse, die man einfach wie Schachfiguren herum schieben und deren Traditionen man mit Füßen treten kann.

1991 schrieben die Wissenschaftler, die der WWF damals in das Gebiet schickte und die mit den Baka und Bangando sprachen, dass diese Völker das Land rational bewirtschaften und so zur Erhaltung des ökologischen Gleichgewichts beitragen [Rodgers et al. (1991: 39)]. Davon wollte man später nichts mehr wissen. Ein Baka-Mann erzählt: “Weiße Männer kamen, um uns zu sagen, dass der Wald geschützt ist und wir dort nicht mehr leben können. […] Wir hatten keine Wahl, denn sie sagten uns, dass sie uns schlagen und töten würden, wenn sie uns im Wald finden würden. Die Wildhüter haben viele Baka aus unserer Gegend getötet.”

2006 dann erklärte ein Baka-Mann Wissenschaftlern, dass er den Eindruck habe, dass die Wildhüter gekommen wären, um sie zu töten [Tchoumba and Nelson (2006: 39)]. Ein Jahr später berichtete ein Report [Forest Peoples Programme (2007: 7)] von Menschenrechtsverstößen gegen die Baka. 2008 wurde auch der WWF damit konfrontiert. Die Baka waren mehr als enttäuscht, denn auch im Naturschutz ging es nicht voran: “Als der WWF ankam, fanden sie diesen Wald zerstört? Nein, sie kamen, weil der Wald reich war […] und wir haben ihnen all diese Orte gezeigt, die sie jetzt schützen wollen.”

Keine 12 Monate später waren Baka von Wildhütern zur WWF-Basis in Malea Ancien nahe des Boumba Bek National Park gebracht worde. 2014 berichtete einer darüber: “Wir lagen auf dem Bauch auf dem Zement in der Basis. Sie schlugen uns alle auf unseren Körper, von unseren Füßen bis zu unseren Köpfen.” Mehrere Männer wurden gefoltert: einer starb nach wenigen Wochen und ein anderer einige Monate später. Liste ähnlicher Vorfälle, ließe sich nun lange fortsetzen, was in der Veröffentlichung “How will we survive?” auch getan wird. In der Publikation wird dem WWF entsprechend vorgeworfen, dass er dabei versagt habe, die Vorgänge zu stoppen.

Hat der WWF versagt?

“As the Bayaka continued to be scapegoated in this way, WWF kept silent while the government handed out logging permits for the heart of the reserve. In 2016, WWF received over $165,000 to “collaborate” with the logging company SINFOCAM, which has been accused of obtaining these permits illegally. The company is now paying for wildlife guards and a surveillance drone to fight against poaching. Within half an hour of Survival’s meeting one of these wildlife guards in August 2016, he was already making assurances: “I can help you transport anything: leopard skin, ivory. I put on my uniform and accompany you to the airstrip. I’ll be the one carrying the package.”” – How will we survive?
Übersetzung: “Als die Bayaka weiterhin auf diese Weise zum Sündenbock wurden, schwieg der WWF, während die Regierung Genehmigungen für die Abholzung des Herzens des Reservates erteilte. Im Jahr 2016 erhielt der WWF über 165.000 US-Dollar für die „Zusammenarbeit“ mit dem Holzfällerunternehmen SINFOCAM, dem vorgeworfen wurde, diese Genehmigungen illegal erworben zu haben. Das Unternehmen bezahlt jetzt Wildhüter und eine Überwachungsdrohne, um gegen Wilderei zu kämpfen. Innerhalb einer halben Stunde nach Survival’s Meeting im August 2016 machte einer dieser Wildhüter bereits Zusicherungen: „Ich kann Ihnen beim Transport von allem helfen: Leopardenfell, Elfenbein. Ich ziehe meine Uniform an und begleite Sie zur Startbahn. Ich werde derjenige sein, der das Paket trägt.””

Dieser Wildhüter ist nicht der einzige: Einem Bericht der Vereinten Nationen aus dem Jahre 2016 zufolge werden Straftaten in Zusammenhang mit Wildtieren in vielen Teilen der Welt vor allem von korrupten Beamten begangen – und eben nicht von indigenen Völkern. Kurz zuvor waren Wildhüter Mpaé Désiré und ein hochrangiger Polizist verhaftet worden. Sie wären im Elfenbeinhandel auf Baka-Land verwickelt worden, aber gleichzeitig soll der Wildhüter den Ureinwohnern Wilderei vorgeworfen und damit Straftaten gegen sie legitimiert haben. 2013 erklärte ein Baka der Organisation Survival International: “Wildhüter haben immer wieder Leoparden mit geöffneten Sardinendosen geködert, um diese dann zu jagen und ihnen das Fell abzuziehen.” Ein anderer Indigener erzählte: „Die Wildhüter wollen niemanden im Wald haben, um sicherzustellen, dass niemand die Schüsse hören kann, wenn sie wildern.“

Korrupte Wildhüter aber kommen in der Öffentlichkeitsarbeit des WWF schlicht nicht merklich vor. Wildhüter werden immer als Retter angepriesen bei denen es ja angeblich so gut und wichtig wäre, sie einfach zu unterstützen ohne viel nachzufragen. Genauso falsch wie alle Wildhüter jetzt schlecht zu machen, ist es genauso falsch sie als Allheilmittel zu begreifen. Dem stellt sich der WWF aber nicht merklich, sondern preist sie als Lösung an. Auf WWF-junior.de ist zum Beispiel zu lesen: “Die Wilderei ist eine wachsende Gefahr für Nashörner, Elefanten, Tiger und viele andere Tierarten. Der WWF hat deshalb seinen Einsatz in Afrika und Asien verstärkt, um Wildtiere besser zu schützen. Vor allem Wildhüter sind dabei unsere Verbündeten.” Und weiter: “Der WWF kümmert sich darum, dass mehr Wildhüter auf die Wildtiere aufpassen […] Außerdem informieren wir die Menschen in Schutzgebieten, wie wichtig die Wildtiere auch für sie sind – und wie Wilderei ihnen schadet. Denn wo es weniger Wildtiere gibt, kommen zum Beispiel weniger Touristen, die das Geld bringen, von dem Einheimische leben können.”

Man merkt darin einen gefährlichen, weil realitätsfernen, Topos: die guten Wildhüter gegen die bösen Einheimischen. Dieser Topos wird schon Kindern eingepflanzt. Die Realität im Lobéké-Nationalpark ist offensichtlich eine andere. Solange der WWF noch solche Topoi verbreitet, hat er versagt. Selbst Kinder können verstehen, dass Naturschutz nicht gegen die Einheimischen, sondern mit den Einheimischen funktioniert. Das bedeutet nicht, dass der WWF generell schlecht und jedes Projekt so ist, aber er hat in der Vergangenheit Fehler gemacht, dessen seriöser Aufarbeitung er sich offenbar nicht stellt, sondern sogar dafür sorgt, dass ein gänzlich falscher Eindruck von der Wilderei-Problematik entsteht.

How will we survive? will auf dieses Problem aufmerksam machen, das in Deutschland und weiten Teilen der Westlichen Welt kaum bekannt ist. Das betrifft auch natürlich Kooperationspartner des WWF und anderen vergleichbaren Organisationen. Es gibt gute Projekte, die der WWF zum Beispiel mit modernen Zoos und Aquarien auf den Weg bringt. Es sind ja gerade moderne zoologische Organisationen, die völlig zu Recht erklären, dass Arten- und Naturschutz nur mit der lokalen Bevölkerung funktioniert und nicht ohne sie. Es täte dem WWF gut, dieses Prinzip auch in anderen Projekten einzusetzen. Es ist nicht immer leicht, alles unter einen Hut zu bringen, aber solch grüner Imperialismus ist definitiv der falsche Weg. So wie oben beschrieben mit indigenen Völker umzugehen, hat mir seriösem Artenschutz nichts zu tun.

Der Survival-Direktor Stephen Corry prangert an: „Die Antwort des Naturschutzes auf die Wilderei besteht darin, die heimischen Indigenen anzuklagen, wenn diese auf die Jagd gehen, um ihre Familien zu ernähren; die Politik eines Erschießens an Ort und Stelle zu unterstützen; und Terroristen der Wilderei zu bezichtigen. Dies alles funktioniert nicht, es schadet dem Naturschutz. Die wahren Wilderer sind jene Kriminellen, zu denen auch Naturschützer zählen, die sich mit korrupten Beamten zusammentun. Indem die großen Naturschutzorganisationen zu Partnern von Industrie und Tourismus werden, schaden sie den besten Verbündeten der Umwelt, den indigenen Völkern. Diese sind von ihrer Umgebung seit Jahrtausenden abhängig und wissen, wie man mit ihr umgeht. Indigene sollten daher an der Spitze der Umweltbewegung stehen. Sie wissen, wer die wahren Wilderer sind, sie können ihr Land vor dem Holzeinschlag schützen, sie sichern die Biodiversität. Indigene verstehen es besser als alle anderen, sich um ihre Umwelt zu kümmern.

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