Das Netz der Seidenspinne könnte dank Zoos bald Millionen von Menschen helfen. | Foto: zoos.media

Chirurgie im Zeichen der Spinnen

Exklusiv für zoos.media – 21.04.2020. Autor: Anna Bartz

Die Forscherin Anna Bartz erläutert in diesem Artikel mehr über ihre Forschung mit Spinnen im Aquazoo Löbbecke Museum Düsseldorf und im Tierpark + Fossilium Bochum.

Chirurgie im Zeichen der Spinnen

Zur Therapie von umfangreicheren Knochenbrüchen, Osteoporose und Tumoren wird Ersatzmaterial benötigt. Anna Bartz, Doktorandin in der Orthopädie und Unfallchirurgie des Universitätsklinikums Bonn, verfolgt einen innovativen Ansatz: Mit Spinnenseide plant sie, Knochenersatzzellen zu stabilisieren und an den gewünschten Ort für die Heilung zu implantieren (vgl. https://www.ukbnewsroom.de/spinnenseide-zur-heilung-von-knochen-und-knorpel/).

Auch wenn sich die medizinischen Behandlungsmöglichkeiten vieler Krankheiten, die mit Knochenschäden einhergehen, deutlich verbessert haben, gibt es nach wie vor schwerwiegende Fälle, in denen die Behandlungsoptionen unzureichend sind. Vor dem Hintergrund einer immer älter werdenden Bevölkerung kommt der Zunahme von Muskel-Skeletterkrankungen sowie von Osteoporose eine besondere gesundheitspolitische Bedeutung zu. Insbesondere wirbelkörper- und hüftgelenksnahe Frakturen führen zu einer Reduzierung von Lebensqualität und selbstständiger Lebensführung.

Während sich in den letzten Jahren die OP-Technik stark weiterentwickelt hat, mangelt es bisher an biologischem Knochenersatz bzw. an einer geeigneten Matrix, die implantiert werden kann.

Was sind Mesenchymale Stromazellen und ihr Potential?

Mesenchymale Stromazellen (MSC) besitzen in vielen Organen, insbesondere im Knochenapparat, außergewöhnlich regenerative Fähigkeiten und stellen somit eine aussichtsreiche Zellpopulation in Hinblick auf zellbasierte Therapieansätze dar. Aus den Mesenchymalen Stromazellen sollen Ersatzzellen gewonnen und vermehr werden. Die Seide der Goldenen Radnetzspinne soll dabei als eine Trägersubstanz dienen, auf der die Mesenchymalen Stromazellen kultiviert werden.

Spinnenseide verfügt über besondere biomedizinische Eigenschaften, die sie als Matrix für den Zellaufbau von Knorpel- bzw. Knochenersatzmaterial besonders interessant macht (vgl. Allmeling 2007). Das Ziel dieses Forschungsprojektes ist es, eine optimale Trägerstruktur für die Geweberekonstruktion von Knochen (Tissue Engineering) in zweidimensionalem (2D) und d­­reidimensionalem (3D) Baugerüst unter Einsatz vier verschiedener Spinnenseiden der Goldenen Radnetzspinne Nephila zu entwickeln.

In einem nächsten Schritt soll nach Abschluss der Promotion die Stammzelltherapie in Richtung präklinischer Studien am Großtiermodell Schaf etabliert werden, um das gewonnene Ersatzmaterial auf Grundlage der Forschungsergebnisse später im klinischen Umfeld testen zu können.

Wissenschaftliche und gesellschaftliche Relevanz

Gewebeverluste jeglicher Art z.B. nach Traumen, Operationen (z.B. nach fehlgeschlagener Arthroplastik, Osteosynthese) sowie Tumorbehandlungen etc. stellen in der Chirurgie eine große Herausforderung dar, da eine natürliche Heilung größerer Knochendefekte nur langsam bzw. begrenzt möglich ist. Diese sind häufig durch Eigen- oder Fremdgewebespenden nicht kompensierbar. Neu gebildetes Narbengewebe wird zudem funktionell nicht oder nur eingeschränkt den Ansprüchen des ursprünglichen Knochengewebes gerecht. Damit einhergehen häufig massive Beeinträchtigungen des Erscheinungsbildes der Patient*innen, die sich auch negativ auf die Selbstwahrnehmung auswirken und dadurch eine gesellschaftliche Wiedereingliederung erschweren können. Hinzu kommen oft funktionelle Ausfälle, die entsprechende Behinderungen nach sich ziehen (vgl. MHH 2010).

Insbesondere der Osteoporose kommt dabei eine besondere gesundheitspolitische Bedeutung zu. Aufgrund der Tatsache, dass hüftgelenksnahe Frakturen immer diagnostiziert und operativ versorgt werden müssen, ergeben sich daraus hohe Behandlungskosten im Gesundheitswesen (Endres et al. 2006; Schumacher et al. 2007). Laut eines aktuellen Berichts der International Osteoporosis Foundation (IOF) von 2018 kommt es in den sechs Ländern Frankreich, Deutschland, Italien, Spanien, Schweden dem Vereinigten Königreich zu insgesamt rund 2,7 Millionen Osteoporose bedingten Knochenbrüchen. Die damit verbundenen Kosten für die sechs Gesundheitssysteme betragen schätzungsweise 37,5 Milliarden Euro pro Jahr (https://www.aerzteblatt.de/nachrichten/98619/Zahl-der-Osteoporose-bedingten-Knochenbrueche-geht-in-die-Millionen).

Steckbrief: Nephila  (Goldene Radnetzspinne)

Abb. 1: Nephila kenianensis Fotos © Klaus Wupper
Größe 2-6 cm; Weibchen größer als Männchen
Systematik

Klasse

Ordnung

Familie


Spinnentiere (Arachnida)Webspinnen (Araneae)Seidenspinnen (Nephilidae)
Verbreitung Tropen und Subtropen weltweit
Nahrung Fliegen, Fluginsekten, Heuschrecken
Fortpflanzung Die Weibchen weben einen schützenden Kokon für ihr Gelege. Der Nachwuchs schlüpft bei Temperaturen von ca. 25°C und Luftfeuchte von 75% nach ca. 100 Tagen. Es können bis zu 50 Jungspinnen pro Kokon schlüpfen.
Seide Sehr große, stabile Netze über 1 m Durchmesser; so stabil, dass sich auch kleine Vögel darin verfangen können.

Spinnenseide als Biomaterial

„Spinnenseide erfüllt alle oben aufgeführten Kriterien: Neben der großen Attraktivität für Zellen weist diese zudem günstige mechanische Eigenschaften auf, die dieses Material zu einer vielversprechenden Matrix im Bereich Tissue Engineering werden lässt (vgl. MHH 2010). Obwohl Spinnenseide größtenteils nur aus zwei Proteinen aufgebaut ist, erstaunt sie die Wissenschaft mit unglaublichen Eigenschaften: Sie ist thermisch und chemisch stabil, elastisch und doch erstaunlich robust, ultraleicht und doch zugfester als Stahl“ (vgl. ALLMELING, REIMERS, VOGT 2007).

Radnetzspinnen können dabei bis zu sieben verschiedene Seidentypen herstellen, wobei jede Seidenart für die jeweilige Anwendung (z. B. Rahmengerüst/dragline, Befestigungskleber, Fangspirale etc.) optimierte Eigenschaften besitzt (vgl. Abb. 2 nach Eisoldt et al. 2011). Diese unterscheiden sich in Klebrigkeit, Festigkeit sowie Dehnbarkeit. Spinnenseide besteht aus essentiellen Aminosäuren, vorwiegend aus Glycin und Alanin. Die außergewöhnlichen Eigenschaften der Spinnenseide sind dabei eng mit der räumlichen Anordnung der Proteine verknüpft: Während sich polyalanin- und alaninreiche Proteine zu ß-Faltblattstrukturen ordnen und kristalline Bereiche bilden, ordnen sich glycinreiche Proteine zu β-Spiralen und führen zu amorphen Strukturen. Die hohe Zugfestigkeit der Spinnenseide geht dabei auf die kristallinen Bereiche zurück, die extreme Dehnbarkeit auf die amorphen Bereiche des Polypeptids (vgl. ALLMELING,  REIMERS, VOGT 2007).

Abb. 2: Die sieben verschiedenen Spinndrüsen einer Radnetzspinne mit den jeweils produzierten Seiden (nach EISOLDT et al. 2011)

Gewinnung der Spinnenseide (Dragline) verschiedener Nephila Arten

Um Unterschiede in der Qualität der Seide ausschließen zu können, werden die Spinnen nach einem speziellen Fütterungsplan mit Nahrung versorgt und die Qualität der Seide regelmäßig unter dem Rasterelektronenmikroskop überprüft. Die Gewinnung der Seide erfolgt mit Hilfe einer selbstkonstruierten Maschine. Da immer ein Stück des Sicherungsseils (Dragline) aus einer der Spinndrüsen (Glandula ampullate majoris) heraushängt, kann dieses leicht mit einer Pinzette herausgezogen und maschinell aufgewickelt werden.

Um die Spinnenseide maschinell aufwickeln und transportieren zu können, wurde von uns eine Maschine entwickelt (s. Abbildungen 3 und 4). Diese besteht aus einer abnehmbaren Spindel, die über eine Achse mit einem Getriebemotor verbunden ist. Die Drehzahl des Motors kann über einen Drehregler flexibel der Spinngeschwindigkeit der einzelnen Spinnen angepasst werden.

Abb. 3 & 4: Selbstkonstruierte Maschine zum Aufwickeln der Spinnenseide (Foto: MFB-Photography)

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Abb. 5: Selbstkonstruierte Maschine zum Aufwickeln der Spinnenseide (Foto: Sebastian Manickam, Tierpark+ Fossilium Bochum)

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Herstellung der Spinnenseide-Webrahmen (Matrix, 2D)

Die Entwicklung bzw. Herstellung der Spinnenseide-Webrahmen erfolgt auf Grundlage der in der Klinik für Plastische, Ästhetische, Hand- und Wiederherstellungschirurgie an der Medizinischen Hochschule Hannover erfolgreich angewandten Methode. Federharter, rostfreier Stangendraht wird dabei mit einer Dicke von 0,7 mm mit Hilfe einer Biegezange zu quadratischen Rahmen mit Kantenlänge von 1,3 cm  gebogen, auf die dann in einem nächsten Schritt die Spinnenseide aufgezogen wird.

Abb. 6 :Spinnenseide- Webrahmengerüste für die Zellkultur (Foto: Anna Bartz)

Um die Spinnenseide von der Spindel auf die Webrahmen gleichmäßig aufwickeln zu können, haben wir eine Maschine entwickelt, bei der die Seide mittels Handkurbel auf die Webrahmen aufgezogen wird (s. Abbildungen 6 und 7).

Abb. 7 Selbstkonstruierte Maschine zum Aufwickeln der Spinnenseide auf die Webrahmen (Foto: MFB-Photography)

Analyse der Spinnenseide unter dem Rasterelektronenmikroskop (REM)

Die Dragline -Seide der Nephila wird in regelmäßigen Abständen im Museum Koenig unter dem Rasterelektronenmikroskop in Hinblick auf Reißfestigkeit und Qualität getestet.

Abb. 8: Rasterelektronenmikroskop –Aufnahme der Dragline-Seide von Nephila senegalensis

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Wie könnte diese Behandlungsmethode aussehen?

Eine solche Behandlungsmethode könnte wie folgt aussehen: Das neuartige Knochenersatzmaterial wird inklusive der Spinnenseide-Matrix implantiert. Dies hat gegenüber herkömmlichen Transplantationsverfahren den Vorteil, dass durch die Spinnenseide die Anhaftung des Materials erleichtert wird und eine Lockerung des Implantationsmaterials vermindert. Auf Grund der antibakteriellen Wirkung der Spinnenseide könnten zudem Implantationsinfektionen verhindert oder zumindest verringert werden. Ein weiterer Vorteil ist, dass eine großflächigere Entnahme von körpereigenem Knochenmaterial entfällt und somit geringere Komplikationen an der Entnahmestelle zu erwarten sind. Dies ist insbesondere für Patient*innen mit Wundheilungsstörungen von besonderer Bedeutung. Spinnenseide ist zudem biodegradierbar. Es ist daher zu erwarten, dass diese sich mit der Geschwindigkeit des Knochenwachstums abbaut und gezielt die Knochenneubildung fördert, da die Spinnenseide die Proliferation der Zellen unterstützt. Dadurch ließe sich eine optimale Anpassung des Transplantats an den individuellen Knochendefekt erzielen.

Für welche Patient*innen bzw. Krankheitsbilder ist diese Methode gedacht?

Trotz der Tatsache, dass sich die medizinischen Behandlungsmöglichkeiten vieler Krankheiten deutlich verbessert haben, existieren nach wie vor schwerwiegende Fälle, in denen die Behandlungsoptionen nicht ausreichend sind. Auch im Zuge einer immer älter werdenden Bevölkerung kommt der Zunahme von Muskel-Skeletterkrankungen sowie von Osteoporose eine besondere Bedeutung zu. Es ergeben sich daher neue Möglichkeiten für Patient*innen:

  • die z.B. nach Unfällen größere Knochenbrüche erlitten haben
  • mit Bordunfällen (Seeschifffahrt)
  • mit ausbleibender Frakturheilung (Pseudoarthrose)
  • im Bereich der Orthopädischen Onkologie (Knochentumore, Knochenbildende Tumore)

Bis das so entstandene Knochenersatzmaterial im klinischen Alltag eingesetzt werden kann, wird es noch einige Zeit dauern (ca. noch 15-20 Jahre).

Das Forschungsprojekt ermöglicht eine interdisziplinäre Forschungskooperation an der Schnittstelle Orthopädie, Unfallchirurgie und Zoologie. Mit der geplanten Anwendung von natürlicher Spinnenseide im Bereich des Knorpel/Knochen-Tissue-Engineering betritt es Neuland. Das Forschungsprojekt basiert auf einer engen Zusammenarbeit mit dem Aquazoo Löbbecke Museum in Düsseldorf sowie dem Tierpark+ Fossilium Bochum, die entsprechende Seidenspinnen zur Verfügung stellen. Das Forschungsmuseum Koenig stellt zudem das Rasterelektronenmikroskop für die Analyse der Qualität der Spinnseide zur Verfügung. Darüber hinaus besteht eine Kooperation mit der Abteilung Oralmedizinische Technologie, Zahnklinik der Uniklinik Bonn bei der Herstellung der Spinnenseide-Webrahmengerüste für die Zellkultur (Matrix, 2D) sowie der Nutzung von deren Mikro-CT.

Teilfinanzierung über Crowdfunding

Um die Material- und Laborkosten für das Forschungsprojekt abdecken zu können, wurde eine Crowdfunding Kampagne über startnext ins Leben gerufen www.startnext.com/spinnenseide2, die noch bis zum 05.07. 2020 läuft.

Nutzen und Anwendbarkeit der Ergebnisse

Das Forschungsprojekt stellt ein Grundlagenforschungsprojekt dar, dessen unmittelbare Anwendung zunächst begrenzt ist. Es generiert jedoch einen erheblichen Wissenstransfer, der wichtig ist um das Knochenersatzmaterial im klinischen Umfeld zu testen.  Darüber hinaus ermöglicht es eine Forschungskooperation an der Schnittstelle Orthopädie, Unfallchirurgie und Zoologie, die mit der geplanten Anwendung von natürlicher Spinnenseide im Bereich des Knorpel/Knochen Tissue Engineering Neuland betritt.

Nach erfolgreichem Abschluss des Projektes ist geplant die gewonnen Ergebnisse in entsprechenden Fachzeitschriften zu publizieren.

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Kontakt

Anna Bartz
Klinik für Orthopädie und Unfallchirurgie
Universitätsklinikums Bonn
Tel. 0228-28713455

Anna.Bartz_ortho-unfallukb@mailbox.org

Weiterführende Literaturangaben

Allmeling, Chr., Reimers, K. Voigt, P (2007): Spinnenseide in der plastischen Chirurgie. In: Chem. Unserer Zeit, 2007, 41, 428 – 434

Endres HG, Dasch B, Lungenhausen M et al. (2006) Pa­tients with femoral or distal forearm fracture in Germa­ny: a prospective observational study on health care situ­ation and outcome. BMC Public Health 6: 87

MHH (2010): Versuchsdurchführung: Zellbesiedlung von Spinnenseide (Gruppenpraktikum im Labor der medizinischen Hochschule Hannover), Hannover.

https://www.aerzteblatt.de/nachrichten/98619/Zahl-der-Osteoporose-bedingten-Knochenbrueche-geht-in-die-Millionen.

Videos zum Thema (zoos.media)




Viel Spaß beim Anschauen.

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