Der Erlebnis-Zoo Hannover spielt eine wesentliche Rolle bei der Rettung der Addax-Antilope. | Foto: zoos.media

Ist Ex-Situ-Zucht ohne Habitatschutz sinnlos?

Exklusiv für zoos.media – 18.10.2021. Autor: Philipp J. Kroiß

Wenn Habitate nicht geschützt werden, sollte man eine Art dann nicht auch in Menschenobhut aussterben lassen? Nein! Dieser Artikel erklärt, warum Zucht in Zoos & Aquarien gerade dann so wichtig ist.

Ist Ex-Situ-Zucht ohne Habitate sinnlos?

Mitte Oktober 2021 erschien ein Artikel auf thehindu.com, der mit der Behauptung überschrieben war: “Captive breeding projects pointless unless habitats are restored too”. Das klingt logisch, ist aber ein gefährlicher Irrtum, wie man heute weiß.

Habitatschutz ist wichtig

Die Weltnaturschutzunion (IUCN) macht in ihrem One Plan Approach sehr deutlich, dass Maßnahmen ex situ und in situ Hand in Hand gehen müssen. Deshalb nutzen Zoologische Gärten auch in erfolgreichen Projekten diesen richtigen Ansatz. So konnten bereits viele Arten vor dem Aussterben bewahrt werden.

Was haben Zoos bisher schon erreicht?

Allerdings geht es auch nicht, nur das Habitat alleine zu schützen.

Ist es nicht besser, die Tiere nur in ihren natürlichen Lebensraum zu schützen?

Back-Up-Populationen sind besonders für Tiere in einem stark bedrohten und fragilen Ökosystem von großer Bedeutung. Das klassische Beispiel ist hier eine Insel, die schnell durch Naturkatastrophen massiv geschädigt werden kann.

Was ist, wenn man das Habitat nicht schützen kann?

Fossa-Baby im Duisburger Zoo | Foto: zoos.media

Es gibt Habitate, in die aktuell kaum jemand vordringen kann, weil sie zum Beispiel durch Kriege massiv gebeutelt sind. Ein klassisches Beispiel sind etwa umkämpfte Oasen in Nordafrika und Südwestasien. Da will keiner ins Kriegsgebiet reisen und sein Leben riskieren, um etwa kleine Süßwasserfische zu zählen. Hier haben wir also ein Extrembeispiel: die Forschung hat absolut keine Ahnung, ob diese Art in der Natur überhaupt besteht und wie es mit dem Habitat aussieht. Von Schutzmaßnahmen gar, kann man zu solchen Zeitpunkten nur träumen. Soll man die Art dann ihrem Aussterben überlassen, weil man gerade – und die Aussage des zitierten Artikel ist ja im Präsens formuliert – die Habitate nicht wiederherstellen kann? Natürlich nicht!

Vielmehr ist so eine Situation ein Schrei nach Ex-Situ-Zucht, denn der Fall ist in dem Moment eingetreten, warum man Back-Up-Populationen überhaupt aufgebaut hat: als Reserve, wenn es im natürlichen Habitat gerade nicht so läuft wie es soll. Dann muss man erst recht weiter züchten, denn vielleicht wird man irgendwann wieder dorthin gelangen und mit den Schutzmaßnahmen wieder beginnen können. Bis dahin braucht man ja eine genetisch möglichst diverse Zuchtpopulation, sonst hat man jahrzehntelang umsonst gearbeitet. Also in solchen Situationen ist es vielmehr geboten weiter zu züchten.

Also selbst im Falle eines kompletten Auswilderungsstopps für eine Art, muss die Ex-Situ-Population weiter gepflegt werden. Wenn man aufhören würde, wäre Artenschutz-Arbeit komplett zerstört. Die genetische Diversität von Ex-Situ-Populationen ist nichts, was man einfach so ad acta legen und dann nach ein paar Jahren wieder herauskramen kann. Ganz im Gegenteil bedeutet so ein Management die tägliche Arbeit mit den Tieren. Bei Papageien zum Beispiel kann man ein produktives Zuchtpaar nicht aus dem Hut zaubern, sondern es braucht jahrelanges hegen und pflegen einer Population bis sich das findet. Da gibt es keine Pausen.

Der Tierwohl-Aspekt

Elefantenkuh mit Kalb in der Grassteppe vom Masai Mara | Foto: PatriBerg; Lizenz: CC BY-SA 4.0

Bei vielen Arten kann man zudem auch nur dann von einer artgemäßen Haltung reden, wenn gezüchtet wird. Das betrifft einmal das individuelle Tierwohl, aber auch das Wohl der ganzen Gruppe. Ein klassisches Beispiel sind hierbei sozial lebende Tiere, deren Gruppenstruktur auf Mutterlinien aufbaut, wenn man sich bestimmte Walarten oder Elefanten anschaut. Hier ist die Mutterlinie die Keimzelle der Sozialstruktur. Eine Mutterlinie entsteht, wie der Name schon sagt, dadurch, dass zumindest eines der Tiere Mutter ist und Mutter wird man nur, wenn man sich erfolgreich fortgepflanzt hat. Das bedeutet, wenn man die Zucht hier also abbricht, ist das nicht nur eine Katastrophe für den Natur- und Artenschutz, sondern ruft auch Tierwohl-Komplikationen auf den Plan.

Aus artenschutztechnischen Gründen kann es natürlich im Rahmen des Populationsmanagements oder im Rahmen der individuellen Tiergesundheit notwendig sein, Tiere aus dem Zuchtprogramm herauszunehmen, weil es sonst zu Problemen führen würde, die auch dem Wohl des betroffenen Tieres nicht zuträglich wären. Ein generelles Zuchtverbot lässt sich aber schlicht nicht legitimieren. Daher gibt es auch auf diesem Level keinen tierverträglichen An- und Aus-Schalter für Zuchtprogramme in Abhängigkeit der Habitat-Verfügbarkeit in der Natur. Auch im Interesse der Tiere muss hier Beständigkeit herrschen.

Mehr Tiere als Lebensraum – wirklich sinnvoll?

Feldhamster im Staatlichen Museum für Naturkunde Karlsruhe | Foto: H. Zell, Lizenz: CC BY-SA 3.0

Zudem ist auch zu bedenken, dass eine Auswilderung nicht ohne Probleme ist. Das merkt man gerade dabei, wenn man Beutetiere auswildert, die nicht an der Spitze der Nahrungskette sind. Allein durch die Beutegreifer kommt es zu Verlusten. Bis man also wieder zu einen ökologischen Gleichgewicht kommt, das schwerer herzustellen ist, je komplexer und facettenreicher der Lebensraum ist, bleiben einige Tiere auf der Strecke. Das gilt es auch mit einzuberechnen. Es ist vielmehr sehr selten so, dass die Anzahl der ausgewilderten Tiere der Zahl der Tiere entspricht, die dort langfristig überlebt.

Daher ist es auch kein Problem, wenn man mal mehr Tiere hat, als aktuell in der Natur tatsächlich nutzbarer, weil wieder hergestellter oder dauerhaft geschützter, Lebensraum zur Verfügung steht. Oft wird Auswilderung glorifiziert: “die Tiere werden wieder in die Freiheit entlassen!” Kein Tier ist in der Natur frei. Wer etwa Feldhamster wieder auswildert, was ja richtig und wichtig ist, erfreut damit nicht nur zahlreiche Menschen, sondern eben auch Fuchs, Wiesel und verschiedene Greifvögel. Letzteres ist auch sehr wichtig, um die zu schützen, aber das muss man eben mit einberechnen, wenn man Populationen mangt. Den Fuchs interessiert es nämlich nicht, ob er da gerade einen genetisch super wertvollen Hamster zum Frühstück verspeist oder nicht.

Daher sind breit aufgestellte Ex-Situ-Populationen so wichtig und gerade auch in den Zeiten, wo die Türe zum Weg zurück in die Natur vielleicht noch verschlossen ist. Man sollte eine Art nie aufgeben.

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