Eselspinguin mit Nachwuchs | Foto: Liam Quinn, Lizenz: CC BY-SA 2.0

Gender-Theater um ein Pinguin im Sea Life London

Exklusiv für zoos.media – 11.09.2019. Autor: Philipp J. Kroiß

Anscheinend, um eine Pinguin-Aufzucht im Aquarium interessanter zu machen, griff das Sea Life Aquarium in London zu doch sehr fragwürdigen Werbe-Maßnahmen.

Gender-Theater um ein Pinguin im Sea Life London

Das Sea Life Aquarium in London haut tüchtig auf die Werbetrommel und betreibt ein unwissenschaftliches Gender-Theater rund um einen Eselspinguin. So will man den “ersten Pinguin der Welt haben, dem kein Geschlecht zugewiesen wurde“. Das ist einfach ein glatte Lüge, denn einem Tier wird für gewöhnlich kein Geschlecht zugewiesen, sondern es wird einfach mit einem Geschlecht geboren. Das ist bei Pinguinen so. Bei Schildkröten-Arten kann man durch die Temperatur etwas eingreifen und quasi entscheiden, welches Geschlecht das Tier haben soll, aber bei Pinguinen ist es nicht so. Der kleine Eselspinguin hat also ein Geschlecht – das wurde ihm nicht zugewiesen und kann ihm auch nicht entzogen werden.

Blick hinter die Kulissen

Noch fragwürdiger wird es dann hinter den Kulissen dieses Theaters: Was nämlich eigentlich dort gerade passiert ist, dass zwei Weibchen eben dieses Pinguin-Baby großziehen. Das ist ein völlig üblicher Vorgang. Gleichgeschlechtliche Paare sind hervorragende Pflege-Eltern, wenn die natürlichen Eltern es aus irgendwelchen Gründen nicht schaffen, das Baby aufzuziehen. Die gleichgeschlechtlichen Paare ziehen erstklassige Pinguine heran, die sich normal verhalten und auch so wie es ihrem Geschlecht entsprechend ist. Jetzt dieses Gender-Theater abzuziehen, erweckt den Anschein, als wäre es nicht völlig okay, wenn gleichgeschlechtliche Paare junge Pinguine aufziehen, die eben genau keine Sonderbehandlung brauchen, weil sie eben gerade nicht irgendeine Art Gender-Schaden haben, in der Form, dass ihnen kein Geschlecht “zugewiesen” worden wäre.

Vermutlich hätte niemand über diesen völlig üblichen Vorgang berichtet, wenn das Sea Life Aquarium in London nicht diesen realitätsfremden Unsinn veranstalten würde, der mit einem modernen Zoo oder Aquarium absolut nichts gemein hat. Moderne zoologische Einrichtungen stehen für Bildung und nicht für Fake News für ein paar Schlagzeilen. Noch abenteuerlicher wird es, wenn man betrachtet wie völlig abstrus man das Theater von Seiten des Aquariums versucht aufrecht zu erhalten:

“While the decision may ruffle a few feathers, gender neutrality in humans has only recently become a widespread topic of conversation, however, it is completely natural for penguins to develop genderless identities as they grow into mature adults[. …] What makes us really proud at the aquarium is the success of Sea Life London’s Gentoo breeding program and the amazing job of same-sex penguins Rocky and Marama who took the chick under their wing and raised it as their own[.]” – Graham McGrath, General Manager des Sea Life Aquarium in London
[Deutsche Übersetzung: Während die Entscheidung ein paar Federn zerzaust, ist die Geschlechtsneutralität beim Menschen erst seit kurzem ein weit verbreitetes Gesprächsthema. Es ist jedoch völlig natürlich, dass Pinguine geschlechtslose Identitäten entwickeln, wenn sie zu Erwachsenen heranwachsen[. …] Was uns im Aquarium wirklich stolz macht, ist der Erfolg des Eselspinguin-Zuchtprogramms von Sea Life London und die großartige Arbeit der gleichgeschlechtlichen Pinguine Rocky und Marama, die das Küken unter ihre Fittiche nahmen und es als ihr eigenes aufzogen [.]]

Dazu gibt es zwei Dinge anzumerken:

  1. Pinguine entwickeln keine geschlechtslosen Identitäten. Die Tiere verhalten sich eben nur nicht gemäß bestimmter Rollenbilder, die auch schon für den Menschen nicht mehr so akzeptiert sind wie noch in den 1950er Jahren etwa. Dass Pinguine nicht in hetero-normative, patriarchalisch-geprägte Rollenbilder passen, war schon immer so – auch lange bevor die Rollenbilder entwickelt wurden. Es ist also völliger Blödsinn diese menschengemachte Schablone auf die Tiere zu legen und dann zu behaupten, sie würden genderlose Identitäten entwickeln, weil sie menschlichen Konstrukten nicht entsprechen. Pinguine entwickeln sich wie Pinguine sich entwickeln, solange man sie ordentlich hält. Es ist ihnen völlig egal, was die Menschen ihnen für Namen geben oder ob wir ihnen ein Geschlecht zuordnen und wenn ja, welches.
  2. Dass bei Pinguinen gleichgeschlechtliche Paare als Pflege-Eltern dienen, ist ein völlig normaler Vorgang und schon gar nicht ein Erfolg eines Zuchtprogramms. Das machen die Tiere einfach und das ist wunderschön, weil es Zoos und Aquarien erlaubt, Babys eine zweite Chance aufs Leben zu geben, die eigentlich keine hätten. Man fragt sich aber schon, worauf man dann beim Sea Life Aquarium in London stolz sein will – darauf, dass man das Pinguin-Baby nicht getötet hat und stattdessen ein in der Pinguinhaltung übliches Verfahren angewendet hat? Will man mit so etwas nach Komplimenten fischen? Das Aquarium hat etwas gemacht, was jedes andere Aquarium auch gemacht hätte. Na, bravo.

Sorgt das für Probleme im Bereich des Tierschutz?

Letztendlich muss man sich um das Pinguinbaby wahrscheinlich recht wenig Sorgen machen. Dem geht die ganze Kampagne wohl am befiederten Allerwertesten vorbei. Die Pfleger werden das Tier ohnehin nicht anders behandeln, denn es gibt ja keine Spezialbehandlung für männliche oder weibliche Kücken – zumindest in guten zoologischen Einrichtungen. Alle Tiere bekommen die gleiche Pflege, die gleiche Fürsorge und die gleiche Liebe von ihren Pflegern. So etwas wie eine Bevorzugung oder Benachteiligung aufgrund des Geschlechts von irgendwelchen Tieren existiert nicht in guten Zoos und Aquarien. Sollte es das beim Sea Life London jedoch gegeben haben oder geben, wäre das kein Merkmal eines modernen Zoos oder Aquariums.

Nichts von dem, was das Sea Life Aquarium in London bei diesem Gender-Theater veranstaltet hat irgendwas mit Tierschutz zu tun. Es ist den Tieren völlig egal, ob ihre Pfleger ihr Geschlecht wissen oder nicht, denn sie wissen nicht, dass ihre Pfleger es wissen oder nicht wissen. Sie bekommen von dem Test nicht wirklich etwas mit. Aber selbst, wenn man sich diesen jetzt spart, wird man ihn früher oder später machen müssen, wenn es mal darum geht das angeblich ja so erfolgreiche Zuchtprogramm weiter zu führen. Das einzige, was Sea Life hier also wirklich verkündet, ist die Verschiebung der Geschlechtsbestimmung angereichert mit völlig sinnlosem Werbesprech. So ein Schmierentheater hat mit moderner Zootierhaltung nichts zu tun.

Was denn dann überhaupt das Problem?

Das Problem ist, dass durch solche rührseligen Märchen, die einem Vergnügungspark-Betreiber ein paar Scheinchen mehr in die Tasche spülen sollen, um unter anderem ein mehr als fragwürdiges Tierqualprojekt in Island, das seit Monaten nicht läuft und in dessen Rahmen schon ein Wal sein Leben ließ, zu finanzieren, die Edukationsarbeit zoologischer Einrichtungen in den Schmutz gezogen wird. Dass sich das Sea Life Aquarium in London seinen Ruf damit ruiniert, ist letztendlich deren Problem. Allerdings sind solche Fake News ein hervorragendes Argument für die Zoogegner, die sich ja gerne Einzelfälle rauspicken, um die Bildungsarbeit von Zoos in Frage zu stellen, denn diese Marketingkampagne hat damit tatsächlich nichts zu tun.

Jedem ist es unbenommen, auch als Zoo oder Aquarium, Werbung für seine Einrichtung zu machen. Wer aber sich aber angeblich geschlechsneutrale Pinguine oder Seesterne, die sich mit Saugnäpfen fortbewegen, herbei fantasiert, gibt nicht nur sich der Lächerlichkeit preis, sondern eine ganze zoologische Gemeinschaft, denn natürlich wird das die Gegenseite nutzen. Mit Zoogegnern wie dem WDC hat Sea Life vielleicht noch Glück, weil die Organisation ja seit Jahren falsche Unternehmensentscheidungen der Muttergesellschaft von Sea Life, Merlin Entertainments, greenwasht.

Werbung muss an Grenzen gehen, auffallen und darf auch mal verrückt sein, aber eben nicht auf Kosten des Bildungsauftrages. Wie wäre es, wenn ein Theater “Don Carlos” so bewirbt, dass angeblich eine Gemeinschaft auf neun Gefährten sich aufmacht, einen Ring in die Vulkane von Flandern zu werfen? Es wäre glatt gelogen – ganz genau wie das Märchen von geschlechts- oder genderneutralen Pinguin im Sea Life Aquarium in London. Genau das ist das Problem. Es ist aber auch nur eines von vielen dieser fragwürdigen Einrichtungen. Hier ist ein weiteres:

Dieses Projekt läuft so gar nicht und ist bisher eine Chronologie von Terminverschiebungen. Die Tiere sollten eigentlich längst zu sehen und die Eintrittskarten, sowie Whale-Watching-Touren, die um die Netzkäfige der beiden Belugas herum führen, längst verkauft werden. Das geschieht aber seit Monaten nicht. Nun versucht man wohl aus allem Geld heraus zu leiern, um die Verluste einzuholen, die dieses Tierqual-Projekts, das es im Interesse des Natur- und Tierschutzes niemals hätte geben dürfen, wieder einzufahren – auch eben peinliche Pinguin-Plattitüden. Pinguine sind keine menschlichen Frackträger und nur weil sie sich anders verhalten wie Menschen sind sie nicht gender- oder geschlechtslos.

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