Schimpanse in Uganda | Foto: Rod Waddington, Lizenz: CC BY-SA 2.0

Great Ape Project: Experten-Gutachten ohne Experten?

Exklusiv für zoos.media – 19.07.2022. Autor: Philipp J. Kroiß

Mal wieder will die Tierrechtsindustrie Tierquälerei im Zoo Krefeld nachgewiesen haben. Das angebliche Experten-Gutachten, das das Great Ape Project präsentiert, hält aber keiner kritischen Überprüfung stand.

Great Ape Project: Experten-Gutachten ohne Experten?

Wenn man Zahnschmerzen hat, geht man zum Zahnarzt, wenn es um historische Fragen geht, konsultiert man den Historiker, und wenn es Tierhaltung geht, sollte man eigentlich meinen, dass man dann versierte Tierhalter konsultiert – das Great Ape Project hat sich dagegen entschieden. Trotzdem prahlt man mit einem Gutachten eines angeblich “internationalen Expertengremiums”. Dies soll nun Grundlage einer Anzeige gegen die Stadt Krefeld “als Mehrheitseignerin des Zoos” und das zuständige Veterinäramt sein.

Fragliche Expertise

Schimpanse Limbo in seinem provisorischen Zuhause im Krefelder Zoo | Foto: Zoo Krefeld

Zwei der “Experten” kommen von der Wild Chimpanzee Foundation – unter anderem auch ihr Gründer, Christophe Boesch. Der war vor einigen Jahren schon mal in die Kritik geraten und zwar durch seine Beteiligung am Disney-Film “Schimpansen”. Dabei ging man nämlich auch sehr kreativ mit der Wahrheit um und gab später zu, dass die Handlung der Doku konstruiert gewesen sei. Es ging dabei vordergründig um angeblichen Altruismus von Schimpansen und die Adoption eines Baby, das aber in der Realität fünf verschiedene Schimpansen-Babys war.

Der Altruismus bei Schimpansen wird inzwischen deutlich differenzierter und weniger eindimensional gesehen, denn so disney-mäßig ist er gar nicht, wie inzwischen deutlich ist. Die Konstruktion der herzerwärmenden Geschichte wurde im Zusammenhang mit dem Film, dadurch entschuldigt, man wolle ja nur Aufmerksamkeit für Schimpansen generieren. Also eine Konstruktion einer angeblichen Wirklichkeit, um Aufmerksamkeit zu generieren – das klingt ja ganz nach der Arbeitsweise des Great Ape Project und auch nach der Vorgehensweise bei diesem Gutachten, wie wir noch sehen werden. Somit passt die Unterschrift aus dieser Richtung wie die Faust aufs Auge.

Zusammenhang mit Max-Planck-Institut?

Boesch war Direktor der Abteilung für Primatologie am Max-Planck-Institut für evolutionäre Anthropologie in Leipzig. Spannenderweise ist es nun dieses Institut, dass durch aktuelle Forschung unter anderem mit den Schimpansen im Zoo Leipzig dieses Narrativ des Altruismus bei Schimpansen aufbricht. Es finden sich aber auch weitere Namen, die im Zusammenhang mit diesem Institut genannt werden, auf der Liste wie Arandjelovic und Juncker. Es ist bemerkenswert, dass sie etwas unterschreiben, dass die Grundlagen der wissenschaftlichen Arbeit ihres Institut leugnet – auch dazu später mehr.

Alle übrigen Unterzeichner stammen auch aus dem Dunstkreis dieses Instituts. Bei Geneviève Campbell verschweigt man allerdings aus unerfindlichen Gründen ihre Verflechtung mit dem Projekt Re:Wild. Nachdem die Organisation einen Zoo übernommen hatte, gab sie ein perfektes Beispiel dafür ab, wie man solche Institutionen nämlich nicht führt. 

Nashorn verhungert in Obhut der Tierrechtler

Zum Glück hat diese Organisation inzwischen keine Gewalt mehr über die Tiere. Solche Zustände passen aber auch zu dem Projekt, in das das Great Ape Project die beiden Schimpansen aus Krefeld am liebsten überführen würde. Somit schließt sich auch hier wieder offenbar ein Kreis. Es ist etwas peinlich, dass ausgerechnet die einzige Person, die einen immerhin kleinen Bezug zu aktiver Tierhaltung hat, mit einer Organisation in Verbindung steht, die so einen Skandal produziert hat. Letztendlich aber fehlt schlicht eine Expertise in seriöser Menschenaffenhaltung bei allen. Keiner der Experten kann es im Bereich der erfolgreichen Haltung von Schimpansen mit den Experten des Krefelder Zoos aufnehmen.

Institut äußert sich anders

Schimpansenfamilie klettert gemeinsam im Pongoland im Zoo von Leipzig | Foto: Frank Vincentz, Lizenz: CC BY-SA 3.0

Sehr unrühmlich ist, dass durch diese Personalien das Max-Planck-Institut mit reingezogen wird. Seit über 20 Jahren forscht man etwa im Pongoland des Leipziger Zoos und das sehr erfolgreich. Laut der Unterzeichner des Gutachtens ist diese Forschung allerdings quasi wertlos, da die Haltung der Tiere ja “nicht artgerecht” wäre – warum die Verwendung dieser Formulierung erschreckend wenig von wissenschaftlichen Erkenntnissen widerspiegelt, lesen Sie hier. Das Institut, auf das sie sich berufen, selbst sieht das anders.

Die Untersuchung der frühen kognitiven Entwicklung der großen Menschenaffen ist eine große Herausforderung, der wir uns nur vor dem Hintergrund von zwei Dekaden vertrauensvoller Kooperation zwischen dem Max-Planck-Institut für evolutionäre Anthropologie und dem Zoo Leipzig stellen können. Wir haben großes Glück gemeinsam in dieser weltweit einzigartigen Situation arbeiten zu dürfen und die großen Fragen über den Menschen und seine nächsten Verwandten zu stellen.” – Prof. Ph. D. Daniel Benjamin Moritz Haun, Leiter der Abteilung für vergleichende Kulturpsychologie am Max-Planck-Institut für evolutionäre Anthropologie

Auf seiner Webseite berichtet das Institut stolz:

Am Wolfgang Köhler-Primatenforschungszentrum (Pongoland), das die Max-Planck-Gesellschaft gemeinsam mit dem Zoo Leipzig betreibt, untersuchen Wissenschaftler Verhalten und Wahrnehmungsfähigkeit (Kognition) der vier Menschenaffenarten: Schimpanse (Pan troglodytes), Gorilla (Gorilla gorilla), Orang-Utan (Pongo pygmaeus) und Bonobo (Pan paniscus). Vergleiche zwischen den verschiedenen Arten einschließlich des Menschen sollen Hinweise auf die evolutionären Ursprünge der einzigartigen menschlichen kognitiven, sozial-kognitiven und symbolischen Prozesse des kulturellen Lernens und Schaffens liefern.

Die Tiergehege von Pongoland umfassen 24.705 Quadratmeter Außenflächen, die Gebäudefläche beträgt 3.255 Quadratmeter. Die Forschungseinrichtung ist damit die weltweit größte Menschenaffenanlage. Die Zoobesucher haben die Möglichkeit, die Menschenaffen nicht nur in den Außen- und Innengehegen zu beobachten, sondern können darüber hinaus auch einen Blick auf die Durchführung der wissenschaftlichen Studien werfen. In Zusammenarbeit mit dem Zoo unterstützt das Köhler-Zentrum Bemühungen, die Menschenaffen als Arten sowohl in der freien Wildbahn als auch in Gefangenschaft zu schützen und zu erhalten. Das Zuchtprogramm am Zoo ist in das Europäische Programm für Gefährdete Arten (EEP, European Endangered Species Program) eingebettet und ein Forschungsthema behandelt die Haltung und Pflege von Menschenaffen in Gefangenschaft.

Die Bitte, keine weiteren Neubauten zu schaffen, um Menschenaffen in Zoos zu halten, die aus dem Gutachten spricht, wird also nicht mal von dem Institut getragen, auf das sie ihre jeweiligen Karrieren durch ihr dortiges Studium beziehen. So will man nämlich im Gutachten auch gleich das Artenschutzzentrum Affenpark verhindern. Somit darf auch in Frage gestellt werden, inwiefern hier ein glaubhaftes Involvieren des Instituts überhaupt stattfindet und man muss sich fragen, ob es sich hier nicht um abseitige Einzelmeinungen handelt, denn dieses Schriftstück ist vor allem eine Parade von fragwürdigen sowie schlecht belegten Meinungen.

Dürftige Datengrundlage

Bally (rechts) und Limbo (links) in ihrem provisorischen Zuhause im Krefelder Zoo | Foto: Zoo Krefeld

Jedes Gutachten ist am Ende auch nur so gut wie seine Datengrundlage – daher lohnt es sich, sich diese mal anzusehen. Im Zeitraum vom 03.10.2020 bist 22.02.2022 wurden Videoaufnahmen von insgesamt rund 13 Stunden begutachtet. Das bedeutet, die Begutachter haben von über 12.000 Stunden in diesem Zeitraum – nur rund 0,1% gesehen. Also kurz: die Datenlage ist mehr als dürftig. Für die Analyse nutzt man dann eine Methode, die in den 1970er Jahren für die Freilandforschung beschrieben wurde.

Dazu muss man dann in der Analyse der Daten auch noch zugeben, dass die Tiere in dieser Zeit vor allem gar nicht sichtbar waren. Die übrige Zeit hat man die Tiere hauptsächlich in Ruhe, Bewegung und beim Fressen gesehen – also bei dem, was ein Schimpanse eben so macht. Besonders ulkig wirkt der Datenpunkt, bei dem man nur Limbo bei sozialer Interaktion gesehen haben will, Bally aber nicht oder kaum – nur mit wem hätte Limbo sonst sozial interagieren sollen? So fragt man sich schnell, was denn das Besondere an den Daten sein soll und wie belastbar sie sind.

Fragwürdige Analyse

Schimpanse im Zoo Karlsruhe | Foto: H. Zell, Lizenz: CC BY-SA 3.0

Bei 0,17 % der Beobachtungszeit, die selber ja nur 0,1% der Zeit abdeckte, will man in der Studie etwa bei Bally “Verhaltensauffälligkeiten, wie den eigenen Kot fressen” beobachtet haben. Dazu schreibt man dann: “Dieses Verhalten ist eine nachgewiesene Verhaltensstörung durch Gefangenschaft (Walsh et al. 1982) und kommt bei durchschnittlich 83% der Zooschimpansen vor (Birkett & Newton-Fisher, 2011).” Jetzt wird es ulkig.

Walsh et al. haben Koprophagie 1982 als “abnormes Verhalten” bezeichnet. Man hat tatsächlich lange Zeit sogar gedacht, das wäre abnorm und würde nur von Tieren in Menschenobhut gemacht, aber zum Beispiel 2004 wurde es dann auch in der Natur beobachtet und wissenschaftlich beschrieben. 2016 haben dann Hopper et al. sich dieses Verhalten nochmal angeschaut und widerlegten typische Vorurteile gegen dieses Verhalten.

[O]ur data revealed that coprophagy is linked to positive social behaviors and that coprophagy was performed more by mother-raised than human-raised chimpanzees. In line with previous research, we propose that chimpanzees may socially learn coprophagy, and that it may present a behavior that helps maintain social bonds.” – Präsentation von Lester E. Fisher zur oben genannten Studie
[Deutsche Übersetzung: Unsere Daten zeigten, dass Koprophagie mit positivem Sozialverhalten verbunden ist und dass Koprophagie mehr von Schimpansen durchgeführt wurde, die von Müttern aufgezogen wurden, als von Menschen. In Übereinstimmung mit früherer Forschung regen wir an, dass Schimpansen Koprophagie sozial lernen und es ein Verhalten ist, das hilft, soziale Bindungen aufrechtzuerhalten.]

Schimpansenbaby im Loro Parque | Foto: zoos.media

Ob diese Ergebnisse von Schimpansen-Forschung an den Experten, die das Great Ape Project präsentiert, vorbeigegangen sind oder sie bewusst ignoriert wurden, kann man nur spekulieren. Fest steht aber, dass sie existieren und somit dieses Narrativ widerlegt ist.

Diese falsche Darstellung wird auch noch mit einem Fehlzitat garniert. Birkett & Newton-Fisher behaupteten 2011 nämlich gar nicht, dass es “bei durchschnittlich 83% der Zooschimpansen” vorkäme. Sie beschrieben lediglich eine Prävalenz (Anzahl der Individuen, die das Verhalten ausführen, geteilt durch die Gesamtzahl der beobachteten Individuen) von 0.83 in 40 in der Studie betrachteten Schimpansen.

Zudem erklärten sie, dass das meiste Verhalten von im Zoo lebenden Schimpansen “normal” sein, in dem Sinne, dass es auch “typisch für ihre wilden Artgenossen” wäre. Auch sie benutzen aber noch das, wie oben dargelegt, später korrigierte und somit falsche Bild der Koprophagie als negatives Zeichen. Das wurde aber wohl auch, im Sinne des Ergebnisses, was man unbedingt bei diesem Gutachten produzieren wollte, gar nicht erwähnt. Wissenschaftlicher Standard wäre es aber gewesen. Erneut konstruiert man also eine angebliche Wirklichkeit um Aufmerksamkeit zu generieren.

Aktivismus vor Wahrheit

Schimpansenmutter und -Baby essen Kapfeigen im Kibale National Park. | Foto: Alain Houle (Harvard University) , Lizenz: CC BY 4.0

Somit bleibt am Ende nicht viel von diesem Gutachten, außer dem typischen aktivistischem Geschreibsel, das man von der Facebook-Seite des Great Ape Projectes kennt und meist dazu genutzt wird, um über echte Experten und weitere nicht mit der Meinung des Projekts konformen Menschen, übel abzuledern. Es ist am Ende also der typische Hate nur etwas wissenschaftlicher angestrichen, aber, um im Bild zu bleiben, die Farbe blättert schon ab, wenn man nur leiste darauf klopft. Das wird auch der Staatsanwaltschaft nicht entgehen, wenn sie in dieser Sache genauer ermitteln würde.

Ein Verstoß gegen das Tierschutzgesetz weisen sie hingegen in diesem Gutachten gerade nicht nach. Das gibt man auch indirekt schon in dieser Begründung der Anzeige zu:

“Die nun seit über zweieinhalb Jahren andauernde Haltung […] steht in Widerspruch zu den Vorgaben des bundesministeriellen Säugetiergutachtens (Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft, 2014) und stellt zudem einen klaren Verstoß gegen das geltende Tierschutzrecht dar (Verstoß u.a. gegen § 2 Abs.1. u. 2 TierSchG).” – Auszug aus dem “Gutachten”

Das Säugetiergutachten ist eine Empfehlung, weiter nichts. Dazu ist es gerade bei den Primaten problematisch, wie im Differenzprotokoll auch festgehalten ist: “Sie [die räumlichen Mindestanforderungen] sind weder durch konkrete wissenschaftliche Daten noch durch Tierhaltererfahrung erhärtet.” Das Primatenkapitel des Gutachtens seit insgesamt “wenig hilfreich” und man empfehle “den Vollzugsorganen, sich auf andere Informationsquellen zu stützen“. Damit ist es an dieser Stelle nicht mal eine sinnvolle Empfehlung und schon gar keine stabile Grundlage für gerichtliche Schritte. Durch die schlechten Daten und die defizitäre Auswertung darf deutlich bezweifelt werden, dass ein Gericht das als hinreichenden Beleg für einen Verstoß gegen das Tierschutzgesetz anerkennt.

Damit ist dieses Gutachten auch eigentlich nicht beachtenswert, aber es ist wichtig zu zeigen, wie die Tierrechtsindustrie in solchen Fällen arbeitet: Pseudo-Wissenschaftlichkeit für Aufmerksamkeit mit einem Gutachten oder einer Studie, das oder die einer kritischen Überprüfung gar nicht stand hält. Das muss es auch gar nicht, denn der Sinn ist ja Aufmerksamkeit von Medien zu bekommen, die so etwas einfach reproduziert und somit die Fake News weitertragen. Man wird sehen, ob die Masche zieht oder ob bereits zu viele die Spielchen des Great Ape Projects durchschaut haben.

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