Grüne Meeresschildkröte (Chelonia mydas) am Great Barrier Reef | Foto: Perri Moustoukis, Lizenz: CC BY-SA 4.0

Klimawandel: Sind die Ozeane voll?

Exklusiv für zoos.media – 23.06.2023. Autor: Philipp J. Kroiß

TAZ-Wirtschaftsjournalistin Ulrike Herrmann wähnt sich im NZZ-Interview auf der Seite der Wissenschaft, wenn sie sagt, die Ozeane seien voll und würden stattdessen wohl CO2 abgeben. Aber ist das korrekt?

Klimawandel: Sind die Ozeane voll?

Ein Interview kursiert momentan auf Social Media:

Mal wird es gelobt, mal zerrissen. Wir wollen uns aber mal mit der Wissenschaft rund um folgende Aussage beschäftigen:

“Und jetzt sind die Ozeane aber voll. Die können nichts mehr aufnehmen, sondern ganz im Gegenteil, wenn die noch wärmer werden, dann geben die CO2 wieder ab wie eine Mineralwasserflasche, die auch CO2 abgibt, wenn sie warm wird.” – Ulrike Herrmann (TAZ)

Mal davon abgesehen, dass es das Wasser ist, das CO2 abgibt und nicht die Flasche, lohnt sich zu dieser Aussage ein Blick in die Wissenschaft.

Wissenschaft unterstützt Aussagen nicht

Erde vom Mond aus gesehen | Foto: NASA/Bill Anders, Lizenz: public domain

Zehn Autoren rund um P. Cias sehen das in ihrer Arbeit zu biochemischen Zyklen ganz anders. Diese Arbeit wird auch vom IPCC zitiert. Es gibt keinen Hinweis in der Arbeit, dass die Ozeane voll wären, sondern vielmehr Simulationen, die davon eben nicht ausgehen. So rechnet man, dass die Ozeane 130 Milliarden Tonnen Kohlenstoff aufgenommen haben. Je nach Prognose wird sich das bis Ende des Jahrhunderts rund verdoppeln bis mehr als vervierfachen. Keiner geht hier davon aus, dass die Ozeane voll wären.

Achtzehn Autoren rund um Nicolas Gruber von der ETH Zürich haben sich mit der ozeanische Senke für anthropogenes CO2 schon 2019 näher beschäftigt. Sie haben durch aufwendige Messungen sogar herausgefunden, dass sich das durch Meere aufgenommene CO2 von 1994-2007 prozentual nicht von dem unterscheidet, was man aus den über 200 Jahren seit Industriezeitalter annimmt. Die Ergebnisse ihrer Arbeit zeigen auch keinen vollen Ozean, der irgendwann nichts mehr aufnehmen könnte.

Auch schon in der Arbeit von Tim DeVries, Mark Holzer und Francois Primeau 2017 zeigt sich das. Sie schauten sich den jüngsten Anstieg der Kohlenstoffaufnahme im Ozean an und erklären, dass eine stärkere Oberflächenzirkulation mehr natürliches CO2 wieder freisetzen würde, aber weniger Zirkulation es in den Tiefen hält. Könnte also durch weniger Zirkulation das CO2 in der Meerestiefe gebunden werden? Aber wenn es weniger Zirkulation geben würde, nimmt das Meer dann vielleicht auch weniger auf? Das beantwortet die Studie nicht.

Thema schwierig zu erforschen

Europa aus dem Weltraum | Foto: Kevin Gill, Lizenz: CC BY 2.0

An diesen zu diesem Thema veröffentlichen Arbeiten kann man vor allem eines ablesen: die Forschung spricht weder mit einer Stimme, noch sagt sie irgendwas Konkretes, das wirklich gesichert ist. Woher Ulrike Herrmann also die Sicherheit nimmt, mit der sie bei diesem Thema auftritt, kann man nicht sagen. Aus der Wissenschaft kann man sie aber eben nicht nehmen. Man findet zu diesem Thema nämlich praktisch keine Studie, die nicht auf die nachvollziehbaren Fragezeichen in dieser Frage hinweisen.

Wie aber kommt sie dann darauf? Eine Forschungsgruppe um Or M. Bialik hat 2022 eine Studie veröffentlicht, in der extrem heiße Bereiche des Mittelmeeres untersucht wurden, die sich teilweise auf 30°C aufheizten. Diese Bereiche haben eben mehr CO2 ausgestoßen als gespeichert. Ein Tagesschau-Artikel bespricht sogar eine Veröffentlichung dazu – leider qualitativ nicht sonderlich gut – und nimmt das Beispiel einer Flasche Limonade – also ganz ähnlich der Mineralwasserflasche von Herrmann. Schätzt aber irgendwer, dass sich das Mittelmeer oder gar die Ozeane so aufheizen, wie diese extrem heißen Bereiche? Nein, offensichtlich nicht.

“Die Wissenschaft” ist häufig nicht die Wissenschaft

Man sieht daran, dass gerade im Bereich Klima gerne viel als “Stand der Wissenschaft” oder “gesichert” präsentiert wird, was es gar nicht ist. Der Klimawandel ist sehr komplex und die Wissenschaft ist deutlich besonnener als in der Öffentlichkeit häufig dargestellt wird. Letztendlich ist es natürlich vor allem ein Bärendienst an der Sache, Aussagen zu tätigen, die von der Wissenschaft nicht so getragen werden wie behauptet. Zudem lenkt es auch die Aufmerksamkeit weg von gesicherten Erkenntnissen, auf deren Basis bereits jetzt gehandelt werden kann.

In der Klimafrage ist sehr sicher, dass der Erhalt von Lebensräumen die wirksamste Art ist, dem Planeten etwas Gutes zu tun. Zoos und Aquarien tun dies seit Jahrzehnten sehr erfolgreich. Als das Klima-Thema noch keine Talkshow interessierte, schickten sich zoologische Institutionen bereits an, ganze Ökosysteme zu retten und so für eine intakte Natur zu sorgen, die dann wiederum für eine natürliche Klimaentwicklung sorgt. Dabei wurden Vorgehensweisen entwickelt, die sich im Praxistest bewährt haben.

Wenn also die Umsetzung bereits gesichert funktionierender Maßnahmen vorangetrieben wird, während man massiv in Forschung investiert, um weitere solcher Lösungen zu entwickeln, könnte man viel schneller viel weiter kommen. Stattdessen wird die Aufmerksamkeit auf Strohfeuer gelenkt. Dadurch verliert man Zeit und Geld. Man braucht das Rad nicht immer neu zu erfinden, es könnte tatsächlich viel schneller rollen, wenn es nur richtig angetrieben würde. Dazu gehört die Biodiversitätskrise anzunehmen und sie weder zu unter- noch zu übertreiben. Aus Angst heraus, lässt sich keine Zukunft gestalten.

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