Gorillanachwuchs im Zoo Duisburg | Foto: zoos media, Lizenz: Erlaubnis des Fotografen

Sind Zootiere Wildtiere?

Exklusiv für zoos.media – 08.06.2017. Autor: Philipp J. Kroiß

Wann ist ein Tier ein Wildtier und wann ein Zootier? Warum bezeichnet man es wann wie? Wichtige Fragen, denen sich unser Autor im Artikel nähert und die er erläutert.

Sind Zootiere Wildtiere?

Przewalski-Pferde | Foto: Ancalagon, Lizenz: CC BY-SA 1.0

Im Zoo hält man Tiere, die teils als Haustiere und teils als Wildtiere klassifiziert werden. Meistens geht man dabei so vor, dass man schaut, wo die Art entstanden ist: Arten, die aus der Wildbahn stammen, wie etwa die Przewalski-Pferde, gelten entsprechend als Wildtiere und Rassen, wie das dänische Protestschwein, die in Menschenobhut erst durch Zuchtwahl entstanden sind, gelten als Haustiere.

Diese Faustregel hat sich in Zoologischen Fachkreisen bewährt. Nun mischen allerdings aus Laien immer mehr im der Diskussion über Zoos mit. Zoogegner nutzen nun den Begriff Wildtier synonym mit der Bezeichnung „Tiere, die in die Wildbahn gehören“. Das wird zum Problem, weil das nicht für jedes Tier gilt, was in Menschenobhut lebt. So entstehen schon in der Terminologie Missverständnisse.

Wann wird das Wildtier zum Haustier?

Meerschweinchen | Foto: Sander van der Wel, Lizenz: CC BY-SA 2.0

Was Wildtiere auszeichnet ist in erster Linie, dass sie nicht domestiziert sind. Domestizierung ist ein innerartlicher, fließender Prozess, der meist die Entwicklung vom Wildtier zum Haustier bezeichnet. Durch die genetische Isolation entsteht dadurch langfristig, wie im Fall des Hundes, der vom Wolf abstammt, eine neue Art – auch, weil der Mensch willentlich in den Zuchtprozess eingreift. So „verlor“ das Wildschwein bei seiner Domestikation zum Hausschwein, seine Haare. Auch der Goldfisch erinnert wenig an den Giebel, von dem er ursprünglich abstammt. Eine solche Veränderung aber muss nicht unbedingt eintreten wie man beim Truthahn, beim Yak oder beim Rentier sieht.

Ziel stark verändernder Züchtungen bei Haustieren ist eine Verbesserung der angedachten „Nutzung“. Das findet in modernen Zoos nicht statt, weil es gar nicht nötig ist, die Tiere für eine Nutzung durch Zucht zu optimieren. Sie sind in ihrem natürlichen Erscheinungsbild perfekte Botschafter ihrer Art in der Natur und ihres Habitats. Man züchtet, um sie zu erhalten und nicht, um sie zu optimieren.

Manche „Wildtiere“ sind gar nicht mehr wild

Loro Parque: Orca Keto zeigt seinem Trainer seinen Bauch – ein Vertrauensbeweis. | Foto: zoos.media

Viel wichtiger als das Aussehen aber ist das Verhalten der Tiere. Tiere gewöhnen sich freilich an Menschenobhut – je nach Art kann das unterschiedlich schnell von statten gehen und je nach Art ist eine Reversibilität der Verhaltensweisen gegeben oder eben nicht; manchmal ist dies sogar von Tier zu Tier innerhalb der jeweiligen Art auch unterschiedlich.

So gibt es Tiere, die selbst nach Generationen in Menschenobhut, nach gewisser Vorbereitung, noch auswilderungsfähig sind. Andere hingegen haben sich nach bereits einem Jahr, oder auch nur einem halben, so sehr an die Umgebung der Menschenobhut gewöhnt, dass man sie sie nicht mehr auswildern kann.
Inwiefern macht die Bezeichnung Wildtier, für ein Tier, das nicht mehr in der Wildbahn überleben kann, noch Sinn? Gleichzeitig ist dieses Tier aber auch noch wirklich so lange von der Wildpopulation isoliert, dass man schon genetisch die Bildung einer isolierten Population oder gar neuen Art feststellen könnte. Verhaltensbiologisch unterscheidet dieses Tier aber nichts mehr von einer Haustierform der jeweiligen Spezies.

Tiere auf der Schwelle

Eine besondere Verbindung: Pfleger und Tier. | Foto: zoos.media, Lizenz: Erlaubnis vom Fotografen

Viele Laien haben in prozessuale Abläufe ein Schwarz-Weiß-Denken: ein Tier ist ein Wildtier oder ein Haustier. Ähnlich merkt man das im Bereich von Epocheneinteilungen bei Geistes- oder Kulturwissenschaften. Da gehören bestimmte Dichter zur einen und/oder zu anderen Epoche – ein Schubladendenken, das sich tatsächlich, ob bewusst oder unbewusst, auf viele Lebensbereiche erstreckt. Der Komponist Beethoven wurde und wird teils aufgeteilt in einen Klassik-Beethoven und einen Romantik-Beethoven – so ergeht es nicht wenigen Künstler, die im Laufe ihrer Arbeit sich so entwickeln. Tatsächlich aber sind die Übergänge meist fließend. Salopp gesagt: Niemand hat sich am letzten Abend des 15.Jahrhunderts ins Bett gelegt mit dem Bewusstsein, dass er am nächsten Morgen in der geschichtlichen Epoche der „Neuzeit“ aufwachen würde.

Viele Zootiere befinden sich in dem Prozess der Domestikation. Sie sind Haustiere und Wildtiere, genauso wie sie keines der beiden sind – ein Paradoxon der Entwicklung innerhalb prozessualer Abläufe, das auch durch unterschiedliche Definitionen verstärkt wird.

Was tun?

Numbat im Perth Zoo (Western Australia)| Foto: Martin Pot (Martybugs at en.wikipedia); Lizenz: CC BY 3.0

Wie geht man nun damit um, dass solche Missverständnisse entstehen – auch vor dem Hintergrund, dass die Existenz der Missverständnisse desinformativ missbraucht wird? Man muss Differenzierung  vermitteln. Es muss Leuten vermittelt werden, dass nicht jedes Wildtier auch noch wirklich wild ist bzw. in der Wildbahn eine Überlebenschance hat, obwohl es der Name eigentlich vermuten lässt. Ein Delfin, der schon Jahre in Menschenobhut lebt, lässt sich nicht mehr auswildern, während das bei einem Numbat, das im Zoo geboren ist, noch möglich ist. Beide aber gelten gemeinhin als Wildtiere.

Auf Dauer wird man sich tatsächlich über eine geeignetere Terminologie unterhalten müssen. Ähnliches erleben wir aktuell, wo die Bezeichnung „artgerecht“, immer mehr von Begriffen wie „artgemäß“ und/oder „tiergerecht“ abgelöst wird, weil auch das Wort „artgerecht“ durch seine Faktur durchaus Grund für Missverständnisse war und ist. So ist es im Bereich der Tierhaltung wichtig, dem jeweiligen Tier gerecht zu werden, statt den Bedürfnissen Genüge zu tragen, der man einer Art unterstellt. Denn im Laufe eines Tierlebens verändern sich die Bedürfnisse der Tiere und darauf gehen Zoos sein. So werden Senioren teils anders gehalten als Junioren, je nach Bedürfnissen der einzelnen Tiere, also dem Tier gerecht und gleichzeitig aber natürlich auch gemäß der Grundbedürfnisse der jeweiligen Art.

Fallbeispiel: Keiko

Der Orca Keiko bezahlte das Scheitern des Auswilderungsversuchs mit seinem Leben. | Foto: U.S. military or Department of Defense, Lizenz: public domain

An dem Fall des Orca Keiko merkt man, dass ein Missverständnis der Begrifflichkeit „Wildtier“, nicht nur fatale, sondern sogar letale und massiv tierschutzwidrige Folgen haben kann: Tierrechtler waren der Meinung, dass er als Wildtier ja auch in der Wildbahn leben müsse und wollten ihn deshalb „befreien“. Diese Ideologie aber besiegelte auf grausame Weise sein Todesurteil.

Keiko war schon so lange in Menschenobhut, dass es nicht mehr reversibel war. Mark Simmons gehörte damals zu den besten Orcatrainern der Welt und sollte den Schwertwal auf seine Auswilderung vorbereiten. Es gelang weder ihm, noch allen weniger renommierten, am Projekt beteiligten Personen, dies zu bewerkstelligen. Die Auswilderung scheiterte.

Es gibt einen Moment während des Projektes, zu einem Zeitpunkt, an dem Simmons als Trainer ausgeschieden war, der das ganze Missverständnis offenbarte. Als Keiko, nachdem er zuvor ein paar Wochen allein durch Meer geschwommen war, in Norwegen wieder entdeckt wurde, kamen Menschen aus dem Dorf und spielten mit ihm. Es gibt wohl kein Moment während des gesamten Projekts, das mehr zum Ausdruck brachte, dass das Interesse dieses Tieres woanders lag, als ausgewildert zu werden.

Die Seite ZooNation.Org brauchte dies in einer Formel auf den Punkt „Keiko wählte Menschen, HSUS und Naomi Rose den Tod“. Dabei wird auf die Agenda „Auswildern um jeden Preis“, die von der radikalen Tierrechtsorganisation HSUS und der leitenden Biologin Naomi Rose gegen jeden Widerstand des Tieres durchgeboxt wurde. Die Ideologie dahinter, die beide Entscheider bis heute vertreten, basiert letztendlich auf diesem Missverständnis, dass eben nicht jedes Tier, das man als Wildtier bezeichnen kann, auch in der Wildbahn überleben  kann.  Diesen Irrtum bezahlte Keiko mit dem Leben.
Und um den Kreis zum Ende des letzten Kapitels zu schließen: diese Auswilderung war auch nicht tiergerecht, da sie die Bedürfnisse von Keiko, die er oft genug zeigte, völlig ignorierte.

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