Hühner der Hybridrasse ISA Brown | Foto: Mercoaves, Lizenz: CC BY-SA 4.0 DEED

Tagesschau: Realitätsfremde Hühner-Romantik

Exklusiv für zoos.media – 23.04.2024. Autor: Philipp J. Kroiß

Die Lobhudelei auf angebliche Hühner-Rettungen hat auch die Tagesschau erreicht. Leider berichtet das ARD-Nachrichtenformat nicht die ganze Wahrheit.

Tagesschau: Realitätsfremde Hühner-Romantik

Das ARD-Format Tagesschau war einmal eine verlässliche Nachrichtensendung. Diese Zeiten sind lange vorbei. Ständig fällt das Format durch Fehlberichterstattung auf und auch durch fragwürdige Lobhudelei gewisser Lobbygruppen. Ein aktuelles Beispiel ist der Bericht über eine angebliche Hühner-Rettung, der unreflektierter und schlecht recherchierter kaum sein könnte. Schon die Prämisse des Beitrags ist falsch.

“Zehn Jahre oder 18 Monate”?

Der Aufhänger der Geschichte ist die angebliche Wahl, die es bei diesen Hühnern geben würde, ob sie nun 18 Monate in der “Industrie” leben würden oder 10 Jahre in anderer Haltung. Für Hochleistungshennen existiert diese Wahl nicht. Die Lebenserwartung der Hochleistungsrassen ist viel geringer. ISA-Brown-Hühner werden in der Eierproduktion klassisch eingesetzt. Das ist eine Hybridrasse mit einer Lebenserwartung von 24-36 Monaten. Dass Einzelexemplare das für sie biblische Alter von 10 Jahren erreichen, kann man nicht ausschließen, wäre aber dann weit ab jeder Regel.

Dann gibt es Rassen, die man im Englischen gerne als “Heritage Breeds” beschreibt. Das sind zum Beispiel Rhodeländer, die zum Beispiel zur Zucht der Lege-Hybriden genutzt werden, Plymouth Rocks, Brahmas oder Australorps, eine typische Zweinutzungsrasse. Die können 8-10 Jahre alt werden, aber die findet man nicht unter “Industrie-Legehennen”. Die Landrassen können dann sogar noch über 10 Jahre alt werden, aber die findet man auch nicht in solchen Betrieben. Keines der im Video geretteten Hühner hat wirklich eine reelle Chance, 10 Jahre zu leben. Das bedeutet, der Aufhänger ist völlig desinformierend.

Vollständige Nutzung

Hühner in Intensivhaltung | Foto: Otwarte Klatki, Lizenz: CC BY 2.0

Die Hennen nach dem Peak ihrer Legeleistung zu schlachten, ist im Sinne der Nachhaltigkeit. Warum? Pflegt man die Tiere bis zum natürlichen Ende, sind sie nicht mehr wirklich verwertbar. Werden sie rechtzeitig geschlachtet – in diesem Fall rund 6 Monate vor ihrem üblichen Ableben – sind sie noch etwa als Suppenhühner sehr gut verwendbar. So wird schlicht nichts verschwendet. Werden sie nicht zu Suppenhühner, entsteht meistens Futter für Hunde und Katzen aus den Tieren. Die Hühner sind also auch kein Abfall oder ähnliches, sondern werden so komplett es geht verwertet.

Würde man die Legehennen bis zum Ende pflegen und sie einfach sterben lassen, müsste man wiederum mehr Tiere halten, die dann nur als Suppenhühner oder für Tierfutter gebraucht würden und somit insgesamt mehr Fläche dafür benötigen. Es ist schlicht effizienter, die Legehennen quasi doppelt zu nutzen: erst als Eier-Lieferant, dann als Fleisch-Lieferant. Das schont am Ende die Natur, weil man dann unterm Strich weniger Tiere halten muss. Eine “Rettung” der Tiere ist also schlicht schlecht durchdachte, naive Romantik zur Werbung für einen fragwürdigen Verein.

Fragwürdige Aktion

Die Tagesschau inszeniert den Verein Hühnerrettung NRW e.V. hier als Hühner-Retter. Schon die Eigenwerbung des Vereins auf der eigenen Webseite ist fragwürdig: “Hühnerrettung NRW e.V. übernimmt Legehennen aus der Massentierhaltung und vermittelt diese an tierliebe Menschen, die ihnen erstmalig die Möglichkeit geben, ein artgerechtes Hühnerleben zu führen.” So etwas wie Legehuhn-Arten gibt es nicht. Somit kann es auch nicht “artgerecht” sein. Haus- und Nutztiere werden in Rassen unterteilt, nicht in Arten. 

Man will, dass sie “als Lebewesen mit eigenen Rechten und Bedürfnissen behandelt werden”. Tiere können gar keine Rechte haben, das ist eine falsche Idee der Tierrechtsindustrie. Der Verein möchte, dass die Tiere in “Würde alt werden ohne ausgebeutet zu werden”. Was dabei nicht gesagt wird: Nach 18 Monaten im Betrieb, sind die Hybridzuchten schon alt und sie würden auch nicht länger gehalten werden, sondern eben geschlachtet. Beim neuen, über den Verein vermittelten Halter sollen sie “ihrer Art entsprechend gefüttert werden” – allerdings gehören sie eben keiner Art an, nicht mal einer Rasse, weil sie ja Hybriden sind.

Im neuen Heim angekommen, dürfen sich die Hühner aber nicht fortpflanzen, denn eine “Vermehrung der Hennen lehnen wir aus Tierschutzgründen ab”, liest man bei den Vermittlungsbedingungen des Vereins. Schlachten darf man sie aber auch nicht und die Eier nicht verkaufen. Es hat allerdings nichts mit Tierschutz zu tun, sie an Fortpflanzung zu hindern, wenn man sie doch angeblich ihren Bedürfnissen entsprechend besser halten will. So entsteht also maximal für das einzelne Huhn eine recht absehbare Verbesserung zur Boden- oder Freilandhaltung, aus der die Tiere, laut Jahresbericht, “gerettet” werden. Letztendlich sieht das Ableben der Tiere nur für den Menschen einfach etwas schöner aus.

Ist das sinnvoll?

Frisch geschlüpfte Küken | Foto: Otwarte Klatki, Lizenz: CC BY 2.0

Jetzt kann man sich ewig darüber streiten, ob eine überschaubare Verbesserung für einen kurzen Lebensabschnitt die ganze Sache wert ist. Schließlich müssen für die Tiere, die “gerettet” werden, anderswo wiederum mehr Hühner gehalten werden, um die Nachfrage im Bereich Suppenhühner und Tierfutter zu decken. Vielmehr sieht es einfach nach der Monetarisierung eines an Menschen orientiertem Feel-Good-Effekts aus, weil man sich einbildet, Tiere vor irgendwas “gerettet” zu haben.

In diese Diskussion müsste die Tagesschau aber gar nicht einsteigen. Vielmehr aber wäre es geboten gewesen, den Zuschauern die ganze Wahrheit zu berichten und nicht nur die durchaus fragwürdige Gefühlsduselei nachzubeten, mit der der Verein seine Aktionen bewirbt, um Spenden einzunehmen. Zu dieser Wahrheit gehört, dass diese Pseudo-Rettungen am Ende auch Haltungskapazitäten für den Erhalt von wirklich bedrohten Hühnerrassen wegnimmt, mit deren Erhaltung man mehr Gutes bewirken würde. Aber gerade bei bedrohten Nutztierrassen gilt auch – und das leben Zoologische Gärten und Tierparks richtigerweise vor: Erhalt durch Nutzung. Die Negativierung kommerzieller Haltung, die auch von Hühnerrettung NRW e.V. betrieben wird, hilft nicht bei der Verbesserung der Haltungsbedingungen oder beim Überleben bedrohter Rassen.

Erneut aber hat die Tagesschau einen Beitrag zur Ideologie-Berichterstattung und nicht zur Information geleistet. Wesentliche Infos wurden weggelassen, um einen der Redaktion offensichtlich sympathischen Ansatz gut darzustellen. Im Interesse der Zuschauer wäre eine ausgewogene Berichterstattung gewesen.

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