Tiger im Bronx Zoo | Foto: Evanphoto, Lizenz: CC BY-SA 3.0

Tiger mit Corona – was bedeutet das?

Exklusiv für zoos.media – 12.04.2020. Autor: Philipp J. Kroiß

Ein Tiger mit Corona hat jüngst die Schlagzeilen bestimmt. Im Interview äußert sich der renommierte Experte und Veterinärmediziner Prof. Dr. Michael Lierz zum Fall.

Tiger mit Corona – was bedeutet das?

Der Bronx Zoo in den USA ist ein Zentrum für den Schutz von Arten und den Lebensräumen, die diese bewohnen. Leider kam er aber vor einigen Tagen aus anderen Gründen in die Schlagzeilen: bei einem Tiger wurde das neuartige Coronavirus nachgewiesen. Es ist der erste Fall von Corona bei einem Zootier weltweit und hat viele Menschen verunsichert. Daher hat zoos.media Prof. Dr. Michael Lierz zu diesem Fall interviewt.

Prof. Lierz ist Diplomate of the European College of Poultry Veterinary Science, European College of Zoological Medicine (Wildlife Population Health) und dem Royal College of Veterinary Surgeons, Zoological Medicine. Dazu ist er ebenso Recognized Specialist of the Royal College of Veterinary Medicine, Zoological Medicine. Als Fachtierarzt für Zoo-, Wild- und Gehegetiere, Geflügel und Ziervögel sowie Mikrobiologie samt Zusatzbezeichnung Artenschutz, ist er einer der renommiertesten Experten auf diesem Gebiet, da er sich mit Infektionskrankheiten intensiv beschäftigt.

Coronaviren: Spezifisch, aber mutationsfreudig

Prof. Dr. Michael Lierz mit einen Kakapo | Foto: Deidre Vercoe

(Interview vom 09.04.2020)

Coronaviren sind ja normalerweise sehr spezifisch. Wie konnte es zur Übertragung vom Menschen auf Tier kommen?

Jedes Coronavirus passt spezifisch zu einer Spezies. Es hat bestimmte Schlüssel um in die Zielzellen dieser Spezies zu kommen. Diese Schlüssel passen eben nur sehr genau auf diese Zielzellen. Coronaviren verändern sich sehr stark und es kommt häufig zu vielen Mutationen. Bei diesen Mutationen können sich auch diese Schlüssel verändern. Sie passen dann nicht mehr ganz genau in das Schloß der ursprünglichen Zielzellen- dafür aber ggf. in andere, die zu einer anderen Spezies gehören. Solche Mutationen verlaufen meist schnell im Sande, da diese Mutation ja nun auch das besser passende Schloß erreichen muss. Bei sehr großen Zufällen passiert aber genau das und die Mutation trifft auf eine andere Spezies auf die der veränderte Schlüssel besser passt. Hier kann sich das Virus dann besser vermehren. Wenn diese neue Zielspezies dann in einer hohen Dichte vorkommt und dadurch viele Wirte zur Verfügung hat, kann es sich gut vermehren und sich noch besser an diese neue Spezies anpassen. Somit passt ein Coronavirus nach einem Wirtswechsel sehr gut auf eine neue Spezies und weniger gut auf die ursprüngliche oder eine andere Spezies die als Zwischenschritt für diesen Wirtswechsel benutzt wird.

War so eine Übertragung vorhersehbar?

Ja, sie hat es bei Coronaviren in der Vergangenheit ja auch schon gegeben- wie z.B. bei SARS vor einigen Jahren. Je enger ein Reservoir für Coronaviren und eine neue Spezies (wie hier der Mensch) zusammenleben- je wahrscheinlicher ist so ein Speziessprung. Bei SARS-CoV-2 mit dem wir es jetzt zu tun haben, ist der ursprüngliche Wirt sehr wahrscheinlich eine Fledermaus, dann gab es einen Zwischenwirt- und dann die Übertragung auf den Menschen. Dies sind schon große Zufälle, die aber dadurch wahrscheinlicher werden- je enger alle drei zusammenleben und Kontakt untereinander haben. Normalerweise begegnen sich diese nicht untereinander und somit ist ein Wirtswechsel der Viren des einen auf den anderen sehr unwahrscheinlich. Dadurch das der Mensch immer mehr in Habitate vordringt die er sonst nicht besiedelt, damit Kontakt zu Arten bekommt zu denen er sonst keinen Kontakt hat, oder eben über Wildtiermärkte diesen Kontakt dann noch enger herstellt, werden solche Wirtswechsel wahrscheinlicher. Dann lebt der Mensch zudem noch in hohen Dichten und die Anpassung neuer Viren an den Menschen wird einfacher.

Artenschutz und die Bewahrung von Habitaten ohne Menschenkontakt, sowie der Verbot solcher Wildtiermärkte, sind daher auch indirekt Infektionsschutz für den Menschen.

Was bedeutet dieses Ereignis nun für den Umgang mit dem Virus?

Da es sich um ein neues Virus handelt, haben die Menschen sich damit noch nicht auseinandergesetzt und somit gibt es niemanden der dagegen immun ist. Die gesamte Weltbevölkerung ist somit empfänglich für das Virus. Somit können viele pro Zeiteinheit erkranken, was wiederum das Gesundheitssystem überlasten kann. Daher muss die Infektionsrate reduziert werden um die Behandlung schwer erkrankter Menschen zu gewährleisten. Irgendwann ist die Immunitätslage in der Bevölkerung so gut, dass es kaum noch Neuinfektionen gibt, oder das Virus gar ganz verschwindet.

Heißt das jetzt, dass auch andere Tierarten gefährdet wären?

Das ist sehr unwahrscheinlich. SARS-Cov-2 hat sich gut an den Menschen adaptiert. Es ist nicht davon auszugehen, dass es andere Tierarten gefährdet. Neuste Untersuchungen zeigen, dass sich Katzen und Frettchen damit infizieren lassen, diese bilden aber keine oder kaum Symptome aus. Das Virus vermehrt sich hier auch nicht ganz so optimal wie beim Menschen, so dass man hier bislang davon ausgeht, dass eine Rückübertragung auf den Menschen eher unwahrscheinlich ist. Dass sich das Virus an eine andere Tierart anpasst bedarf dann wieder eines Mutationszufalls und einer dann passenden Spezies die in hoher Dichte vorkommt damit sich das Virus an die neue Spezies besser anpassen kann. Das ist sehr unwahrscheinlich.

Viele vermuten, dass das Virus auch auf Menschenaffen übertragen werden könnte. Inwieweit ist diese Gefahr real?

Hierzu gibt es keine Untersuchungen oder belastbare Aussagen. Man muss aufgrund der engen Verwandtschaft der Menschenaffen und Menschen auch davon ausgehen, dass Menschenaffen infiziert werden können und ggf. auch erkranken. Dies kennt man ja auch von anderen Viren. Deshalb sollten beim Umgang mit Menschenaffen die gleichen Sicherheits- und Hygienevorschriften gelten wie im Umgang mit anderen Menschen.

Zoo-Populationen kann man vergleichsweise leicht isolieren und behandeln, Wildpopulationen nicht. Muss man jetzt eine Ausbreitung in Wildpopulationen fürchten und eventuell große Verluste bei bedrohten Arten?

Wenn neue Erreger auf eine Population treffen die sich bisher noch nicht mit diesem auseinandergesetzt hat, die neue Population aber für diesen Erreger empfänglich ist, ist das immer ein großes Problem und kann desaströs enden. Deswegen sind Auswilderung von Tieren bedrohter Arten in bestehende Populationen immer kritisch zu betrachten und müssen einen besonders hohen tiermedizinischen Standard haben, damit eben nicht neue Erreger in neue Populationen verschleppt werden. SARS-CoV-2 ist jedoch ein humanes Virus, so dass hiervon- nach allem was man heute weiß- keine Gefahr für bedrohte Tierarten (ggf. Menschenaffen ausgenommen) besteht.

Keine Panik, aber Besonnenheit

Feuersalamander im Aquazoo Löbbecke Museum | Foto: zoos.media

Man muss also jetzt keine Panik haben, dass Corona massenweise Wildtierbestände zerstört, nur weil im Zoo ein Tiger infiziert wurde, der nun einen sehr milden Verlauf erlebt. Sicherlich muss man bei Menschenaffen aufpassen, aber das eben im Rahmen kluger Besonnenheit. Gleichzeitig zeigt aber Corona wie gefährlich solche Pandemien, definitionsgemäß eine Länder und Kontinente übergreifende Ausbreitung einer Krankheit, sind. Vergleichbares erlebt die Tierwelt auch.

Unter den Amphibien etwa wüten zwei Vertreter der Klasse der Chytridiomycetes ganz aktuell mit verheerenden Auswirkungen: große Mortalitätsraten – ganz anders als bei Corona – und eine rasche Verbreitung bedrohen viele Arten von Frosch- und Schwanzlurchen in ihrer Existenz. Hier kamen auch fremde Krankheitserreger plötzlich in Ökosysteme, die nicht darauf vorbereitet waren.

Seit Jahren und Jahrzehnten beschäftigt moderne Zoos und Aquarien – dabei natürlich im Besonderen die Fachmediziner wie Prof. Lierz – solche Erkrankungen. So wird verständlich, warum die Back-Up-Populationen in den zoologischen Institutionen so wichtig sind. Von Menschen allerdings gibt es so eine Population nicht und daher ist es in diesen Zeiten wichtig, mit Besonnenheit auf die Mitmenschen zu achten und sich verantwortungsvoll zu verhalten.

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