Die Pfleger im Zoo Duisburg kümmern sich um die Tiere mit viel Liebe und großem Respekt. | Foto: zoos.media

Wollen Tierschützer das Social Calming in Delfinarien stoppen?

Exklusiv für zoos.media – 27.08.2017. Autor: Philipp J. Kroiß

Was ist dran am “Social Calming”-Vorwurf extremistischer Tierrechtler? Nichts. Zoos.media klärt auf und zeigt die Realität in modernen Delfinarien und Zoos.

Wollen Tierschützer das Social Calming in Delfinarien stoppen?

Wiedermal war es ein dpa-Bericht der für zahlreiche journalistische Lowlights sorgte – diesmal ging es um das Social Calming bei Delfinen in Menschenobhut. Motiviert wurde auch dieser Bericht nicht etwa durch Tierschützer, sondern durch extremistische Tierrechtler – in manchen Fassungen wurde das Gegenteil behauptet. So durfte man etwa bei N-TV oder in der Augsburger Allgemeinen journalistische Ergüsse lesen, die mit der Realität nichts zu tun haben. Das liegt nicht nur an dem dpa-Bericht, sondern auch an einer penetranten Inkompetenz zur ordentlichen Recherche seitens der Autoren – für diese “Leistungen” zeichneten sich Bernard Darko und der Volontär Jakob Stadler (Günter Holland Journalistenschule) verantwortlich.

Was ist social calming und findet das dauerhaft statt?

Delfinkalb Debbie im Zoo Duisburg putzmunter | Foto: zoos.media

Social calming ist erst einmal, Konflikte in Gruppen zu beruhigen. Was die Tierrechtler den Zoos vorwerfen, ist, dass sie in der Delfinhaltung aufgrund wahlweise schlechter oder unnatürlicher Gruppenstrukturen, die Tiere dauerhaft unter entsprechende Medikamente setzen würden, um sie halten zu können. Das ist schlicht eine Lüge und nachweislich völlig falsch.

Es findet keine dauerhafte Medikation der Delfine in Delfinarien statt – weder mit Psychopharmaka, noch mit anderen Medikamenten – , um die Tiere halten zu können. Natürlich bekommen die Tiere Medizin, wenn sie krank sind. Das geschieht sehr selten und so sind auch die Gaben sehr, sehr selten, da sich die Tiere in Delfinarien bester Gesundheit erfreuen. So kann es dazu kommen, dass ein als Psychopharmakon bekannter Wirkstoff Diazepam eingesetzt wird – allerdings in Dosen, durch die er appetitanregend und nicht psychogen wirkt. Appetitanregung ist bei Delfinen wichtig, denn wenn sie keinen Fisch essen, sterben sie, da ihnen ohne Fisch das zum Leben dringend benötigte Süßwasser fehlt.
Mehr dazu in diesem Video:

Das angebliche Zitat von Dag Encke

Als scheinbarerer Beleg für den „Social Calming“-Vorwurf führen die Tierrechtler kryptische Wortfetzen von Dag Encke, Chef des Tiergarten Nürnberg, ins Feld. Zitiert werden die Worte “rosa Brille”, die die Tiere aufgesetzt bekämen, wenn ein “ein Konflikt zwischen zwei Tieren hochgepuscht”. Ein solches Zitat hat Herr Encke nie abgegeben.

Die Delfinlagune des Tiergarten Nürnberg: gut besucht bei einer der edukativen Vorstellungen | Foto: Jed, Lizenz: CC BY-SA 3.0 DE

Er hat gegenüber dem Bundestag ganz genau erklärt wie das Medikament eingesetzt wird:

„Diazepam hat drei Wirkspektren. In der niedrigen Dosierung ist es ein reiner Appetitanreger. Dann gibt es ein Wirkspektrum, was bei Delfinen bei 20, 30 Milligramm anfängt, die ich einem Tier verabreiche, je nach Gewicht. Dann hat es eine Social-Carming-Wirkung und in hohen Dosierungen von 40, 50 Milligramm ab der Dosierung wirkt es dann tatsächlich sedierend. Das, was Sie zu 99 % bei uns finden, das ist, dass wir appetitanregend bei den Tieren Diazepam einsetzen, in dem wir fürchten müssen, dass sie nicht genug Flüssigkeit oder nicht genug Nahrung bekommen aufgrund von Krankheit oder von sozialer oder sonstiger Aufregung. Wenn wir Diazepam in beruhigender oder sogar sedierender Wirkung einsetzen, dann tun wir das selbstverständlich zum Wohle des Tieres im Fall von Transporten z. B. oder wenn sie in eine fremde Umgebung umgesetzt werden.“

Man muss kein fortgeschrittener Mathematiker sein, um zu verstehen: Zu 99% wird in Nürnberg das Medikament gegeben, um die Tiere vor dem Tod zu bewahren und zu 1% dazu, um sie vor Transporten zu beruhigen.

Sucht man Bei Google etwa nach der Kombination „”rosa Brille” & “Dag Encke”“ gibt es keinen Beleg für ein solches Zitat. Genauso verhält es sich bei „”ein Konflikt zwischen zwei Tieren hochgepuscht” & “Dag Encke”“. Jeder ist herzlich eingeladen dies selbst nachzuprüfen. Das wäre auch Aufgabe der Journalisten gewesen, die solche Artikel veröffentlicht haben.

Akteneinsicht und deren Bedeutung

Belegt werden soll das Social Calming durch angeblich „erwirkte“ Akteneinsicht bei den Delfinarien. Urheber dessen soll das WDSF („Wal- und Delfinschutzforum“) gewesen sein. Nun wirklich erwirkt wurde da nichts. Im Zoo Duisburg hat jeder Akteneinsicht, weil der seine gesamten Daten für jeden frei zugänglich ins Internet stellt und der Tiergarten Nürnberg hat diese Einsicht nach außergerichtlicher Einigung ebenso gewährt. Es ist nicht wirklich ein „Erwirken“, heute Akteneinsicht zu bekommen – man fragt nach und bekommt sie. Das war es.

Zudem hat jede Kontrollbehörde uneingeschränkte Einsicht in die Akten. Da sitzen dann Experten, die natürlich auch die Medikation der Tiere überprüfen – und das seit Jahren. Wurde je etwas beanstandet? Nein.

Aber nicht nur Behörden besuchen Zoos und die Delfinarien, sondern auch unabhängige Forscher schauen sich die Tiere an. Im Zoo Duisburg gab es eine Forschung zum Sozialverhalten der Tiere. Mehr dazu in diesem Video:

Hofieren von Pseudo-Experten

Diesem Hund wurde von PETA die Chance auf ein neues Zuhause genommen. Zehntausenden Haustieren ging es ähnlich. | Foto von http://whypetakills.com (Nathan J. Winograd)

Als Quelle der Artikel stehen PETA, in Form von Tanja Breining, und das WDSF, eine Organisation, die von dem Laien Jürgen Ortmüller, eigentlich Steuerberater in Hagen, vertreten wird – er ist Geschäftsführer und einziger Gesellschafter: letztlich ist es eine Organisation, die nur aus ihm besteht. Beide haben keine Erfahrung im Bereich der Meeressäugerhaltung oder gar eine Expertise in Bezug auf Veterinärmedizin bezüglich dieser Tiere. Hier schwingen sich Laien zum Richter über Experten – ein völlig grotesker Vorgang auf den die verantwortlichen Journalisten überhaupt nicht hinweisen. Solche Lobbyisten, die jede Delfinhaltung generell abschaffen wollen, zu fragen und ihre Worte dann für die Realität zu halten, ist in Bezug auf den Grad der journalistischen Integrität in etwa so, als wurde man bei einer Pressekonferenz in einem Krankenhaus, statt den Chefarzt einen zufällig ausgewählten Besucher zu Wort kommen lassen, der medizinisch ein völlig unbeschriebenes Blatt ist.

Es hat mit Journalismus nichts zu tun, solche Menschen als Experten zu nobilitieren, die keinerlei hinreichende Aus- bzw. Fortbildung genossen haben, um von der Expertise her ein auch nur annäherndes Niveau zu erreichen wie Menschen, die schon seit Jahren mit den Tieren, erfolgreich und von unabhängigen Experten überprüft, arbeiten. Dieses unseriöse Vorgehen der Journalisten ist völlig lächerlich und missbraucht das Vertrauen, dass die Leser in einen solchen setzen.

Fazit

Delfien springen bei der edukativen Vorstellung im Zoo Duisburg vor vollen Rängen. | Foto: zoos.media

„Wollen Tierschützer das Social Calming in Delfinarien stoppen?“ – Nein. Einzig extremistische Tierrechtler verbreiten Populismus über Delfinarien; sie sind gegen Delfinhaltung wie sie gegen jede Haltung von Tieren sind – zumindest gemäß der Ideologie auf die sie sich berufen. Seriöse Tierschützer kooperieren mit modernen Delfinarien und konnten gemeinsam viel für den Schutz der Tiere erreichen, bahnbrechendes erforschen und viele Millionen Menschen für den Schutz der Tiere motivieren.

Interessengruppen wie PETA oder das WDSF haben kein Interesse daran, Tierhaltung zu verbessern, konstruktiv zu kritisieren oder sind gar fähig fundierte Aussagen zu treffen. Das ist nicht das Ziel. Das Ziel ist das Ende der Delfinhaltung. Das Ende dieser Haltung bedeutet ein Rückschritt in der Entwicklung des Wal- und Delfinschutzes. In der sechsten großen Aussterbewelle der Arten sind gerade Cetaceen massiv betroffen – bekanntestes Beispiel sind aktuell die Vaquitas, die ohne Haltung in Menschenobhut komplett aussterben werden. Ihnen kommen jetzt schon Erkenntnisse zu Gute, die durch moderne Haltungen entwickelt wurden. Sie sind ein Beispiel unter vielen Arten, denen Zoos helfen können.

Diesen Beitrag teilen