Transvaal-Löwin im Leipziger Zoo (2018) | Foto: Fiver, der Hellseher, Lizenz: CC BY-SA 4.0

Zoo Leipzig: Kuriose Kommunikation zu Jörg Gräser

Exklusiv für zoos.media – 22.05.2023. Autor: Philipp J. Kroiß

Eine Personalentscheidung zu der Versetzung des berühmten Tierpflegers Jörg Gräser im Zoo Leipzig sorgt für Irritationen. Was ist eigentlich geschehen?

Zoo Leipzig: Kuriose Kommunikation zu Jörg Gräser

Der Leipziger Zoo gehört zu den berühmtesten Zoologischen Gärten in ganz Deutschland. Das liegt wesentlich auch daran, dass das wöchentliche MDR-Format “Elefant, Tiger & Co.” aus dem Zoo berichtet und als erfolgreichste Doku-Reihe des Senders gilt. Das liegt auch an den Protagonisten des Formats. Einer davon ist seit rund 20 Jahren der renommierte Raubkatzenpfleger Jörg Gräser.

Er wurde auch besonders durch innovatives und kreatives Enrichment bekannt. Ebenso durch die Handaufzucht vom Löwen Malik sowie durch zahlreiche pflegerische Erfolge. So übernahm zum Beispiel unter seiner Pflege der Löwen-Kater Majo die Fürsorge für Jungtiere, was im Löwen-Rudel normalerweise der Mutter obliegt. Durch diesen Erfolg konnten die Chancen für die Jungtiere wesentlich verbessert werden. Darüber hinaus entwickelte er Neuerungen gerade im Bereich der Beschäftigung von Löwen mit.

Besucher- & Zuschauerliebling plötzlich nicht mehr da

Wenn ein Protagonist viele Jahre erfolgreich in einem TV-Format zu sehen ist, gehen Zuschauer so genannte parasoziale Bindungen ein. Für sie wird diese Person zu einem Teil ihres Lebens, weil sie eben regelmäßig von ihr hören, sehen, was sie tut, und auch mitfiebern. Das ist ein wichtiger Teil vom Fernsehen, da es für die so wichtige Zuschauerbindung sorgt.

Jetzt kann es aber in einem Zoo passieren, dass ein Pfleger aus irgendwelchen Gründen das Revier wechselt. Bei einer Begleitung im TV oder sonstigen Medien, die parasoziale Bindungen evozieren, ist es an der Stelle sinnvoll, solche Bereichswechsel einfach zu erklären. Der Zoo Leipzig hat genau das nicht getan. Da Jörg Gräser nicht mehr für Besucher des Leipziger Zoos und Zuschauer von “Elefant, Tiger & Co.” zu sehen war, wurden Fragen gestellt, die erstmal unbeantwortet bleiben.

Leipziger Zoo erklärt sich … nicht wirklich

Die Sache zog immer weitere Kreise. Das führte schließlich dazu, dass sich auch die klassischen Medien für die Vorgänge zu interessieren begannen. Es gab zahlreiche Artikel, die viel diskutiert wurden. Die Plattform Tag24 schaffte es sogar Stimmen aus der Belegschaft einzufangen, die ein mehr als fragwürdiges Bild der Personalentscheidung zeichneten. Im Leipziger Zoo schien nun der Zeitpunkt gekommen, sich zu äußern.

Diese Äußerung war schon deshalb bemerkenswert, weil sie offenbar eilig zusammengezimmert worden war. So gab es doppelte Leerzeichen, ein Sternchen, das nirgendwo erklärt wurde, und teils kuriose Formulierungen. Vor allem aber, brachte dieses Statement inhaltlich rein gar nichts. Diese Unklarheit heizte die Debatte vielmehr nur an. Obwohl man sich gegen die Ausschlachtung dieser Entscheidung aussprach, tat man gleichzeitig nichts, um sie zu verhindern. Dass der einfache Befehl, damit aufzuhören, nichts bringen würde, war schließlich keine Überraschung.

Was soll sich ereignet haben?

Nachwuchs bei den Transvaal-Löwen im Leipziger Zoo (2021) | Foto: Fiver, der Hellseher, Lizenz: CC BY-SA 4.0

Es wäre für den Zoo ein Leichtes gewesen, die Spekulationen durch klare Kommunikation einfach zu widerlegen. Das aber wurde – aus welchen Gründen auch immer – nicht mal versucht. Die Vorwürfe wiegen nämlich durchaus schwer, wenn man für authentisch hält, was tag24.de von der Belegschaft erfahren haben will. Es wäre also wichtig sie auszuräumen, wenn man das denn wahrheitsgetreu kann. Wenn man das aber könnte, warum hat man das dann in der Erklärung nicht getan? Diese Frage und andere Fragen stellen sich nach wie vor hunderte Kommentatoren.

Sollte es eine “betriebsübliche Entscheidung”, wie der Zoo Leipzig die Versetzung Jörg Gräsers bezeichnet, gewesen sein, wirft das ein schlechtes Bild auf das Management. Wenn es nämlich betriebsüblich ist, Mitarbeiter, die fundiert Kritik an Entscheidungen üben, zu versetzen, um die Personen mundtot zu machen, läuft im Betrieb etwas falsch. Moderne Zootierpflege funktioniert nur mit Tierpflegern, die mitdenken und den Mund auf machen können, wenn etwas falsch läuft, ohne dafür Sanktionen befürchten zu müssen.

Eine Kultur der Angst zu kreieren, bei der jeder Zootierpfleger um seine liebgewonnene Stelle fürchten muss, nur, weil er es wagt, fundierte Kritik zu üben, ist kein zukunftsträchtiges oder gar menschenwürdiges Management-Konzept. Daher muss der Zoo Leipzig aktiv dem entstandenen Eindruck entgegenwirken, dass so etwas vor Ort überhaupt nur ansatzweise geschieht. Niemand im Zoo ist näher an den Tieren, wie die Tierpfleger. Wenn sie also Ideen haben, Veränderungen kritisieren oder Ähnliches tun, ist das ernst zu nehmen und als konstruktives Feedback zu verwenden.

Kolossaler Irrtum

Die Intransparenz des Leipziger Zoos verhindert aktuell, dass man die Rekonstruktion der Ereignisse von tag24.de beweisen kann. Sie zu widerlegen, wäre sie von Seiten des Zoos einfach – etwa, indem man zum Beispiel die Tragödie um Kigali als nicht existent belegt, was die ganze Rekonstruktion von tag24 zum Einsturz bringen würde. Das hat man aber nicht getan. Es wird abgeblockt und nicht erklärt. Weit kommt der Zoo damit aktuell nicht.

In dem Post auf Facebook und Instagram tut man so, als sei Jörg Gräser ein einfacher Tierpfleger, als habe es über 1.000 Folgen “Elefant, Tiger & Co.” nie gegeben. Das ist aber eben nicht der Fall. Für viele Menschen sind die Löwen, Hyänen und Erdmännchen im Leipziger Zoo untrennbar mit Jörg Gräser verbunden. Zu denken, das wäre ein normale “Veränderung des Einsatzbereiches” ist schlicht realitätsentrückt. Solche Entscheidungen muss man nachvollziehbar erklären und sind immer im öffentlichen Interesse.

Missglückte Kommunikation

Erdmännchen im Leipziger Zoo | Foto: Markus Trienke, Lizenz: CC BY-SA 2.0

Es funktioniert nämlich nicht, als Zoo immer nur die vielen schönen Seiten der Popularität abzugreifen und zu denken, man müsse sich nicht mit der Verantwortung beschäftigen, die so eine Art der öffentlichen Kommunikation mit sich bringt. Es ist ja auch nicht so, als habe man nicht schon die Zuschauer an Personalveränderungen, wie Versetzung und Ruhestand, teilhaben lassen – und wenn man es nicht im Format gemacht hätte, stehen auf Social Media alle Möglichkeiten offen.

Dass man Jörg Gräser aber jetzt versucht zu verschweigen und ihn in Bereiche bringt, die für das MDR-Format vielleicht nicht so im Fokus stehen werden, geht zudem auch dem Anliegen der Erklärung entgegen, in der man verhindern möchte, dass manche Bereiche als “niederer” gesehen werden. Obgleich alle Bereiche gleich viel wert sind, entgeht es den Zuschauern nicht, dass Wellensittiche und Ziegen einen anderen Bedarf an Enrichment haben als Erdmännchen und Löwen. Warum man dann eine solche Koryphäe im Enrichment in so einen Bereich versetzt, ist natürlich erklärungsbedürftig.

Prekäre Lage

So ein Kommunikationsdesaster kommt für den Leipziger Zoo zur Unzeit. Hätte ein erfahrener Pfleger wie Jörg Gräser die Rippenfellentzündung durch seinen engen Kontakt mit dem Löwen vielleicht früher erkannt? Würden die Jungtiere von Kigali noch leben, wenn man die von Jörg Gräser geäußerten Bedenken bezüglich der Veränderungen ernst genommen hätte? Das treibt hunderte Menschen in den inzwischen zahlreichen Kommentarspalten um.

Eigentlich zeigt der Zoo Leipzig vorbildlich Transparenz und kommuniziert über “Elefant, Tiger & Co.” viele wichtige Dinge. Es wäre ja vielmehr ein großes Plus gewesen, zu zeigen, wie ein Zoo gewisse Veränderungen anstößt, dann merkt, dass sie nicht funktionieren, und auf Rat der Pfleger die Haltung dadurch weiterentwickeln, dass auch Scheitern in diese Entwicklung inkorporiert wird. Man lernt in jedem Bereich nur durch Fehler und es ist keine Schande sie zu begehen – aber aus ihnen lernen muss man wollen.

Dieser nun völlig ungelenke Umgang mit der Sache auf vielen Ebenen, der direkt nach dem Tod eines geliebten Tieres an die Öffentlichkeit gerät, bringt den Zoo Leipzig natürlich in Erklärungsnot. Die Chance sich zu erklären, die er durch die Medienberichterstattung ja gehabt hat, hat er aber erstmal verpasst. Das wird zum großen Problem, denn man hat offenbar die Besucher und Zuschauer des Leipziger Zoos unterschätzt.

Große Unterstützung für Jörg Gräser

Es gibt eine Petition, die es sich zum Ziel gemacht hat, den “Schnurzelpfleger”, wie seine Fans ihn auf Basis eines Kosenamens für seine geliebten Tiere nennen, wieder in “sein” Revier zu bringen. Über 4.000 Unterzeichner hatte die Petition innerhalb kurzer Zeit schon bis zum frühen Nachmittag des Montags, nachdem die Sache öffentlich wurde – zum Vergleich: das sind mehr Menschen als den Leipziger Zoo pro Tag im Durchschnitt besuchen.

Online kündigen viele an, wegen des Umgangs mit Jörg Gräser, den Zoo nicht mehr zu besuchen. Andere wollen Jahreskarten nicht verlängern oder auch die Sendung des MDR nicht mehr sehen. Der Sender wiederum berichtet auch schon über die Petition. Für ihn könnte so eine Besucher- und vor allem Zuschauerreaktion nämlich auch Folgen haben. Es steht kein Pfleger aktuell in Aussicht, der diese Lücke, die Jörg Gräser hinterlässt, wird füllen können.

Große Probleme für den Zoo

Wenn sich der Umgang des Zoos mit dieser Personalentscheidung nicht ändert, könnte das für massive Probleme sorgen. Die Frage wird sein, wie viele die sonst enorm quotenstabile Sendung noch sehen werden – besonders, wenn die Sache noch größer wird. Sollte der MDR entweder einen solchen Umgang mit den Mitarbeitern und / oder eine Quotensenkung nicht tolerieren, könnte die Sendung wegbrechen.

Ein Wegbrechen der Sendung ist deshalb ein großes Problem, weil ein Großteil der reichweitenstarken Kommunikation des Leipziger Zoos über diesen Kanal getätigt wird. Fehlt diese Kommunikation, wird sich das natürlich auch auf Verkaufszahlen auswirken. Sämtliche finanzielle Projektionen des Zoos basieren aber auf einer Fortentwicklung dieser Verkaufszahlen, auf denen auch der ambitionierte Masterplan fußt. Schafft es also der Zoo nicht, diesen sich ausbreitenden Flächenbrand zu löschen, könnte das massive Auswirkungen haben.

Lösung in Sicht?

Erdmännchen im Zoo Leipzig | Foto: Thomas Lersch, Lizenz: CC BY-SA 2.5

Den Verantwortlichen im Leipziger Zoo dürfte klar geworden sein, dass die Erklärung nichts gebracht hat. So verbleiben im Wesentlichen zwei Möglichkeiten: eine gemeinsame, glaubhafte und vor allem hinreichend durch Fakten belegte Erklärung, dass diese gesamte Geschichte völliger Mumpitz ist und eine Darlegung der wirklichen Geschehnisse mit Jörg Gräser zusammen. Das wirkt – zumindest aktuell – allerdings unwahrscheinlich.

Sicherlich zögert man, Fehler einzugestehen und Jörg Gräser wieder seinen alten Bereich zu schenken, weil man einen Gesichtsverlust fürchtet. Aktuell schaut es aber eher danach aus, als wäre der viel größere Gesichtsverlust weiter zu machen wie bisher. Ein gesundes Unternehmen aber kann auch Fehler eigestehen und daran wachsen.

Kein von Menschen betriebenes System ist fehlerlos und falsche Entscheidungen können passieren. Die Frage ist nur, wie man mit solchen Fehlern umgeht. Aktuell wirkt es so, als würde ein Fehler an den anderen gereiht. Hier ist es nun wichtig einen klaren Stopp zu setzen und wieder auf Kurs zu kommen. Somit führt für den Leipziger Zoo an einer Rehabilitation von Jörg Gräser wohl letztendlich kein Weg mehr vorbei.

Gute Zeichen

Um auf einer positiven Note zu enden, kann der Vorgang sicher auch so gesehen werden, dass es zeigt, wie stark Besucher und Zuschauer hinter Zootierpflegern stehen, deren Tierliebe sie wirklich erleben. Anti-Zoo-Kampagnen bringen lange nicht solche Shitstorms hervor, die ansatzweise an den Lovestorm für Jörg Gräser heranreichen.

Das zeigt, dass die Message moderner Zoos, die ja auch der Leipziger Zoo zu transportieren versucht, sehr wohl ankommt. Tierpfleger wie Jörg Gräser sind zu Vorbildern und auch Helden im Umgang mit Tieren geworden. Die Menschen haben verstanden, dass es ihnen wirklich um das Wohl der Tiere geht – nur deshalb wird ja aktuell auch so emotional reagiert.

Diese Nobilitierung des Zootierpfleger-Berufs bringt aber natürlich auch eine Verantwortung für die Vorgesetzten mit sich, transparent, ernsthaft und respektvoll mit den Tierpflegern umzugehen. Das passt auch gut zu modernen Zoos und Aquarien, denn was wären die großen Artenschutzprojekte ohne Tierpfleger, die sich aufopfernd jeden Tag um diese Tiere kümmern? Sie wären nicht mal im Ansatz möglich.

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