Großer Tümmler im Golf von Tarent | Foto: Cloudette-90, Lizenz: CC BY-SA 4.0

Netzkäfig-Projekt in Italien: Schon jetzt zum Scheitern verurteilt?

Exklusiv für zoos.media – 21.11.2025. Autor: Philipp J. Kroiß

Auch das „San Paolo Dolphin Refuge“ kann wesentliche Probleme nicht lösen, an denen vorherige Konzepte schon gescheitert sind. Wird es also auch scheitern?

Große Tümmler in der Delfinlagune vom Loro Parque auf Teneriffa | Foto: zoos.media

Netzkäfig-Projekt in Italien: Schon jetzt zum Scheitern verurteilt?

Das nächste „Sanctuary“-Projekt ist aufgeploppt. Das „San Paolo Dolphin Refuge“ soll eine Art Camp für Opfer fehlgeleiteter, Anti-Delfinarien-Politik in Europa werden. Das würde den Fehler, solche Politik überhaupt zu ermöglichen, durch einen weiteren Fehler ergänzen. Es ist nicht das erste Mal, dass man so etwas probiert. Bisher ist so ein Vorstoß immer gescheitert. Das ist aus guten Gründen passiert – nämlich zum echten Schutz von Delfinen.

Fauna-Verfälschung

Ein Problem solcher Netzkäfige war schon immer und wird auch immer sein, dass sie artenschutzrechtlich illegal sind. Warum? Die Delfine in europäischen Delfinarien kommen nicht aus dem Mittelmeer, sondern sind vorwiegend karibischer Herkunft. Die Population dort unterscheidet sich nicht nur genetisch von der im Mittelmeer. Sowohl IUCN als auch EU haben Vorgaben, die eine solche Haltungen unmöglich machen dürften.

Die Netzkäfige sind nämlich nicht dicht – im wahrsten Sinne des Worte, aber auch im übertragenen Sinne. Ein Delfin, der die Barriere überwinden würde, könnte für so genannte Fauna-Verfälschung sorgen. Dazu gibt es eine Tierschutz-Problematik in einem solchen Fall, die nicht ausgeschlossen werden kann: Das entfleuchte Tier könnte sinnlos leiden, weil es natürlich nicht auf ein Leben in der Natur vorbereitet ist.

Generell gibt es aber gegen Fauna-Verfälschung internationale und nationale Gesetze. Die gibt es etwa auch in Deutschland und das sogar für sicherere Tiergehege – etwa bei Invasiv-Arten. Bei der Legalisierung müsste sich Italien also über die eigenen sowie internationale Gesetzgebung hinwegsetzen. Was das für rechtliche Folgen hat, ist gar nicht absehbar. Eine Regierung, die solche Risiken eingeht, könnte Legitimationsprobleme bekommen.

Ist das Mittelmeer überhaupt eine gute Wahl?

Dörte schaut neugierig durch eine Scheibe im Delfinarium des Zoo Duisburg | Foto: zoos.media

Westatlantische Großtümmler in der Karibik haben einen grundlegend anderen Lebensraum als das Mittelmeer. Hier kann es also auch zu Anpassungsproblemen der Tiere kommen, weil sie natürlich biologisch auf einen anderen Lebensraum angepasst sind. Da geht es einmal um das Immunsystem und weitere gesundheitliche Aspekte, aber Meer ist auch nicht gleich Meer.

In der Karibik herrscht tropisches Klima, im Mittelmeer hingegen subtropisches bis gemäßigtes Klima. Im Ursprungsgebiet der europäischen Zoo-Delfine gibt es einen hohen Wasseraustausch mit dem Ozean, im Mittelmeer ist der gering, weil er zum Beispiel durch das Nadelöhr der Straße von Gibraltar muss. Auch der Salzgehalt ist im Mittelmeer deutlich höher, weil es sich in dem Zusammenhang um ein Konzentrationsbecken handelt. Die Temperatur des Wasser ist zudem im Mittelmeer stark schwankend – in der Karibik und auch im Delfinarium hingegen viel konstanter.

Also der Lebensraum ist im Mittelmeer nicht nur anders, sondern auch suboptimaler. Obwohl also für den Laien die Lebensräume ähnlich ausschauen mögen, sind sie es nicht. Im Delfinarium lassen sich viel besser die biologischen Parameter nachahmen und kontrollieren, auf die diese Tiere seit langer Zeit angepasst sind. Im Netzkäfig ist so etwas unmöglich. Selbstredend ist natürlich ohnehin das Mittelmeer zudem noch deutlich verschmutzter als der Lebensraum Delfinarium.

Strukturelle Probleme

Worauf auch das „San Paolo Dolphin Refuge“ noch keine Antwort hat, ist die ordentliche Versorgung der Tiere im Netzkäfig. Macht ein plötzlicher Sturm etwa das Erreichen des von der Küste entfernen Käfigs unmöglich, ist die Sicherheit und die Versorgung der Tiere fraglich. Aber das ist sie selbst bei guten Wetterbedingungen. Grundlegende Bestandteile moderner Delfinhaltungen, wie etwa einen Medical Lift, gibt es gar nicht.

So wirkt das Design unausgegoren und wenig fachmännisch. Zudem soll es, so wie es aussieht, auch wieder finanziell auf tönernen Füßen stehen. Träger wollen die Jonian Dolphin Conservation und die Fondazione con il Sud sein. Sie sind auf Spenden angewiesen. Viel soll auch mit Volunteers gemacht werden. Das bedeutet im Ergebnis eine nicht nur vom Ausbildungsstand des Personals sondern auch vom finanziellen Aspekt her eine unsichere Zukunft für die Delfine.

Also jeden Delfin, der aus einem akkreditierten Delfinarium Europas in dieses „Sanctuary“ verfrachtet wird, erwartet ein massives Downgrade, was die Qualität seiner Haltung anbelangt. Wenn man zum Beispiel tierschutzzertifizierte Haltungen, wie sie etwa im Marineland Antibes stattfand, als Bundesliga interpretiert, rangiert der geplante Netzkäfig maximal auf Landesliga-Niveau. Während Fußballspieler und -fans das vielleicht noch verhältnismäßig gut verkraften können, ist es für Delfine desolat so abzusteigen.

Kein Zucht-Konzept

Delfin mit Kalb | Foto: Thakur Dalip Singh, Lizenz: CC BY 3.0

Viele solcher fragwürdigen Vorschläge eint, dass sie zur Zucht erstmal gar nichts sagen oder sie ausschließen. Dass ist tierschutzrechtlich problematisch. Warum? Es gibt kein tiergerechtes Konzept zur Umsetzung eines dauerhaften Zuchtstopps bei Delfinen. Wie kommt das? Es gibt aktuell nur zwei Möglichkeiten, Zucht zu kontrollieren: Kurzzeit-Kontrazeptiva und geschlechtsbasierte Separation.

Es gibt zwei Präparate, die man einsetzt: Regu-Mate und Depo-Provera. Keines davon ist für Langzeit-Anwendung entwickelt. Sie sind dazu gedacht, den Zyklus zu regulieren. Sucht man nach belastbaren Langzeit-Studien, wird man kaum fündig. Was man sagen kann: Sie sind nicht verlässlich wirksam und wenn die Tiere doch unbemerkt schwanger werden, gefährden sie Muttertier und Nachwuchs. Zudem müssten die Tiere täglich damit behandelt und entsprechend oft gewogen werden. Eine Waage sieht man in den konzeptionellen Bildern des „San Paolo Dolphin Refuge“ nicht mal.

Neben Bedenken zur Gesundheit kommen auch Bedenken zur sozialen Gruppe: Geschlechtsbasierte Separation würde zu unnatürlichen Gruppenkonstellationen führen, aber auch die Abwesenheit von Jungtieren tut das bereits. Soziale Spannungen, sexuelle Frustration der Tiere und weitere Faktoren werden also das Wohlbefinden der Tiere bei einem Zuchtstopp zusätzlich zu den Nebenwirkungen der Mittel für die Weibchen negativ belasten. Mit Tierschutz hat ein Zuchtstopp nichts zu tun.

Unlösbare Probleme

Für all diese Probleme hat das „San Paolo Dolphin Refuge“, wie auch alle Vorgänger-Konzepte, keine Lösungen parat. Solche Projekte profitieren von begeisterten Rezipienten, die keine praktische Kompetenz in der Haltung von Delfinen haben. Die denken eben nicht so weit, wie jemand, der wirklich mit den Tieren gearbeitet hat, sondern lassen sich von schönem Marketing-Blabla beeindrucken.

Das Konzept vom „San Paolo Dolphin Refuge“ ist in Wahrheit keins. Es ist ein Luftschloss gebaut auf der Ignoranz der Praxis. Hier werden die Tiere und Unwissenheit vieler Menschen missbraucht, um scheinbar schöne Bilder zu kreieren, die mit der Realität aber nicht in Einklang zu bringen sind. Im Prinzip ist es Greenwashing einer qualitativ schlechteren Haltung.

Es gibt bereits eine bessere Lösung, in der die Tiere gesünder und weniger gestresst sind sowie länger leben als ihre wilden Artgenossen. Während des  freiwilligen Trainings lächeln sieschütten Glückshormone aus und freuen sich auf die Interaktion mit den Trainern. Zudem sprechen sich über 150 Wissenschaftler und weitere Experten für die Haltung von Delfinen und anderen Meeressäugern in seriösen Zoos und Aquarien aus. Auch seriöse Tierschutzorganisationen, wie die American Humane Society, unterstützen diese Haltung und die Wissenschaft unterstreicht das Wohlbefinden der Tiere:

Kollektives Scheitern

Ein Sprung eines Großen Tümmlers während der Delfinshow im Marineland Antibes | Foto: Axou, Lizenz: CC BY-SA 1.0

Ein gelungenes Projekt nach diesem Modell, das von der Tierrechtsindustrie seit Jahren protegiert wird, existiert nicht. Es ist nicht so, als hätte man es nicht versucht. Ein Projekt in Lipsi hat nach zig Jahren noch immer keine Betriebserlaubnis – wohl auch wegen der oben genannten Problematiken. Das promintente Whale Sanctuary Project hat bisher nicht wirklich mehr als hohe Funktionärsgehälter und ein Zelt zustande gebracht. Das Beluga Whale Sanctuary von der „Merlin Entertainments“-Marke Sea Life zeigt sich als ein einziges Desaster.

Dieses Scheitern arbeitet auch die Forschung auf. Wesentliche Arbeiten sind hier Bruck (2024) sowie Almunia & Canchal (2025). Sie zeigen sehr klar und deutlich die Probleme solcher Konzepte auf und wurden bisher nicht ansatzweise widerlegt. Nicht nur beim Tierwohl, sondern auch in der Sanctuary-Frage stützt die Wissenschaft die Position der Zoos, Aquarien, Delfinarien und Walarien.

Immer wieder aber fällt auch die Politik auf die Sanctuary-Fantasien rein. Ein Beispiel dafür ist wohl die Ministerin Pannier-Runacher. Sie wünschte sich ein Netzkäfig-Projekt im Mittelmeer für die Marineland-Delfine. Bisher bekam sie es nicht. Wird sie es je bekommen? Das darf bezweifelt werden. Auch das „San Paolo Dolphin Refuge“ ist zum Scheitern verurteilt. Im Sinne der Delfine ist zu hoffen, dass sie dieses Scheitern nicht am eigenen Leib miterleben müssen.

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