Orca im Marineland Ontario | Foto: Dennis Jarvis, Lizenz: CC BY-SA 2.0

Die doppelzüngige Empörung über Kiska

Exklusiv für zoos.media – 15.09.2021. Autor: Philipp J. Kroiß

Mit einem Aufsehen erregenden Video von der Orca-Dame Kiska beschweren sich Tierrechtsaktivisten letztendlich über Zustände, die sie selbst verursacht haben.

Die doppelzüngige Empörung über Kiska


Dieser Tweet fasst hervorragend zusammen wie fehlgeleitete Laien, die Orcas “befreien” wollen, nicht mal grundlegende Verhaltensweisen der Tiere interpretieren können. Die typische Perspektive des Videos und der Screenshots, die zur Verbreitung des Videos genutzt werden, zeigt es nicht, aber die Perspektive von oben zeigt es dann sehr deutlich: Kiska reibt sich sich an einer Beckenkante im Bereich ihres Geschlechts. Was wir hier sehen ist Selbstbefriedigung – ein Thema, das schon beim Menschen tabuisiert wird.

Delfine haben gerne Sex – auch mit sich selbst

Orcas vor der “Ocean Encounter”-Kulisse in SeaWorld San Diego | Foto: Noah Wulf, Lizenz: CC BY-SA 4.0

Man kann die Biologie der Delfine – und Orcas sind nun mal die größten Delfine – drehen und wenden wie man will: Sex ist ein wichtiger Teil ihres Lebens. Das bezieht sich auf soziale Interaktion, aber eben auch mit sich selbst. Männchen penetrieren dabei gerne Fische oder reiben ihren Penis an etwas, sodass es sich für sie ähnlich anfühlt wie eine Penetration oder gleichgeschlechtlicher Sex. Weibchen setzen dabei eher aufs Reiben an anderen Tieren oder Dingen, weil sie eine Klitoris haben, die so stimuliert wird – sehr gut kann man das hier an den anatomischen Zeichnungen in diesem lesenswerten Artikel von Meeresakrobaten nachvollziehen. Im Video stimuliert Kiska genau diese Stelle, indem sie auf dem Rand einer Stufe im Becken hin und her rutscht. Dabei kommt ihr Kopf in die Nähe der Scheibe und sobald sie fertig ist, schwimmt sie weg.

Es passiert also nichts wirklich Weltbewegendes, aber wenn so ein großer Orca erfolgreich masturbiert, ist der Höhepunkt durchaus respekteinflößend und mit gewissen Bewegungen sowie entsprechender Wasser-Verdrängung begleitet. Leider ist das Thema Masturbation aber gesellschaftlich ein Tabu-Thema, obgleich es nicht nur zur Natur des Menschen gehört, sondern gerade in der Tierwelt auch ganz normal ist – vom domestizierten bis zum wilden Tier haben Hunde, Elefanten, Affen, Ziegen, Delfine und Stachelschweine sowie weitere Tiere eben auch mal Spaß mit sich selbst. Von Schimpansinnen weiß man beispielsweise, dass sie sich sich aus einem Holzstück sowas wie einen Dildo basteln können. Nubischen Steinböcke brauchen solche Hilfsmittel gar nicht – bei den Männchen ist der Penis so lang, dass sie Autofellatio betreiben können.

Es ist auch bereits ziemlich klar, warum Tiere das tun. Klar einmal für den Moment, aber in der Evolution hat alles einen Sinn. Tiere, die masturbieren, haben einen evolutionären Vorteil: beim Männchen ist dann das Sperma “frischer” und die Chance somit höher, Nachwuchs zu zeugen, beim Weibchen sind dadurch die Scheidenmuskeln fitter und ihre Vaginalsekrete frischer – auch das sorgt dafür, dass das mit den Nachwuchs besser klappt. Also es hat direkte Vorteile für die Fortpflanzung, aber auch die Gesundheit: südafrikanische Borstenhörnchen-Männchen masturbieren regelmäßig und zwar nach dem Deckakt – mit dem Sperma werden sie so etwaige Krankheitserreger los, die zwischen Borstenhörnchen beim Sex übertragen werden können. Beim Menschen wäre diese Methodik nicht sicher, um bestimmte Krankheiten zu verhindern, deshalb ist das kein übertragbares Prinzip.

Kiska darf keine Gesellschaft haben

Orca im Marineland Ontario | Foto: Dennis Jarvis, Lizenz: CC BY-SA 2.0

Die Orca-Dame Kiska lebt allein – gezwungenermaßen. Es ist nicht so, dass dies am Halter liegt, denn Zucht von Orcas ist in Kanada verboten. Die einzige Verhütung, die funktioniert ist eine geschlechtermäßige Trennung und wenn Zucht verboten ist, muss man dies tun. Orcas bilden aber keine Bachelorette-Gruppen und somit ist die Einzelhaltung, die einzig mögliche Form, dieses Tier zu halten, weil man weiß, dass es auch in der Natur solitär lebende Schwertwale gibt. Man kann sie also legal nicht anders halten. Diese Vorschriften stammen ironischerweise von der Tierrechtsindustrie, die nun dieses Masturbieren als großen Skandal verkaufen will und dabei kann sich diese Industrie sich auf eine sensationsgeile Presse verlassen, die weder kritisch nachfragt noch großartig nachdenkt, bevor sie dann ihre Leser belügt.

Diese ganze Empörung über das Verhalten ist also voll von Doppelzüngigkeit und Scheinheiligkeit. Natürlich hat es einen Hintergedanken: die Tierrechtsindustrie will sich des Tieres bemächtigen, um es der eigenen Haltung zuzuführen, was sie als “Befreiung” oder “Auswilderung” framen, obgleich dies auch keine signifikant andere Haltung für die Orca-Dame bedeuten würde. Auch in den von der Tierrechtsindustrie geplanten Netzkäfigen müsste sich Kiska an anderen Dingen oder Tieren reiben, um sich sexuell zu befriedigen, denn auch in dieser Haltung dürfte man nicht züchten und man will es auch gar nicht. Allerdings gibt es die gesicherte hundertprozentige Empfängnisverhütung bei Orcas nur durch Trennung nach Geschlechtern. Gleichzeitig darf man aber eben auch nach Kanada keine Orcas importieren, also nicht mal da hätte sie wirklich Gesellschaft.

Die Tierrechtsindustrie moniert also letztendlich etwas, das sie durch Lügen, Populismus und rücksichtslose Desinformationskampagnen selbst verursacht hat: eine Orca-Dame deren einzige sexuelle Erfüllung die Masturbation ist. Das sind die Folgen, die wir auch weiter südlicher in den USA sehen werden: irgendwann wird es bei SeaWorld auch diese letzten Tiere geben, die sich irgendwo dran rubbeln müssen oder irgendwas penetrieren müssen, um überhaupt sexuelle Befriedigung zu erfahren, weil keine anderen Orcas mehr da sind, die ihnen das bescheren könnten. Mit tiergerechter Haltung hat das nichts mehr zu tun, aber das sind eben die Folgen der Anti-Orca-Politik im in dieser Frage populistisch geprägten Norden Amerikas.

Zucht von Orcas ist wichtig

Daher ist die Zucht von Orcas von so entscheidender Wichtigkeit: einmal natürlich für die Forschung und den dadurch möglichen Populationsschutz, aber eben auch für das Wohlbefinden der Tiere:

Was man beim Tierwohl gerne unterschlägt, weil das Thema so verpönt ist, ist eben auch das sexuelle Wohlergehen beziehungsweise die entsprechende Ausgeglichenheit von Tieren. Delfine werden Sex haben – egal, was man tut. Dafür ist dieser Drang dazu einfach bei diesen Tieren auch zu groß. Als Halter kann man dann entscheiden wie man das gestalten will, aber sich einzubilden, man könnte das irgendwie verhindern oder Tiere würden das nicht häufig machen, ist typisch für eine inkompetente Tierrechtsindustrie, der keine Lüge zu abstrus ist, um irgendwie an die Tiere zu kommen. Für die Orcas sowie für weitere Delfine und die übrigen Wale wäre es am besten, wenn sie sich einfach weiter reproduzieren dürften – nur das garantiert langfristiges Tierwohl.

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