Junges Baktrisches Kamel im Kölner Zoo | Foto: zoos.media

Fake-Rettung auf Gut Aiderbichl

Exklusiv für zoos.media – 13.11.2023. Autor: Philipp J. Kroiß

Das Kölner Kamel Kasper ist plötzlich Werbegesicht von Gut Aiderbichl. “Tiere sind unser Leben”, behauptet man dort. Die Wahrheit scheint dabei weniger wichtig.

Fake-Rettung auf Gut Aiderbichl

Viele Fans des Kölner Zoos staunten nicht schlecht als Gut Aiderbichl plötzlich mit dem beliebten Kamel Kasper warb. Schon ab 10€ könne man von dem Tier ein Pate werden. Es wird behauptet, das Tier sei von einer Frau vor einem Verkauf gerettet worden. Das entspricht schlicht nicht den Tatsachen.

Vom Rhein an die Müritz

Im Tiererlebnispark Müritz war der vor Ort beheimatete Hengst krank geworden, ob er überleben würde, war unklar. Derweil suchte der Kölner Zoo ein neues Zuhause für seinen immer größer werdenden Kasper. Kamel-Hengste kann man nämlich auf Dauer nicht zusammenhalten. Daher war der Platz an der Müritz sehr willkommen.

Wäre der Alt-Hengst im Park an der Müritz gestorben, hätte Kasper da gleich die Führung der Kamel-Herde übernehmen können. Nachdem Kasper and die Müritz kam sah es auch ganz so aus, aber dann passierte etwas Wunderschönes: dem Alt-Hengst ging es plötzlich wieder besser. Er starb also doch nicht und ist weiter der prächtige Anführer der Gruppe im Tiererlebnispark.

 

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Haltung an der Müritz

Auf 14 Hektar werden die Tiere im Tiererlebnispark Müritz gehalten. Die Kamele haben eine große Wiese, von der sie sich auch selbst gut ernähren können. Die Besucher können sie streicheln, wenn die Tiere wollen und sie haben die Chance durch Zucht natürliche Gruppenstrukturen auszubilden. Um Überpopulation zu vermeiden und die Verwandtschaftsverhältnisse kontrollieren zu können, wird aber mit nur je einem Männchen und einem Weibchen gezüchtet.

Kasper genoss die Vorzüge dieser Haltung, aber durch die Genesung des Alt-Hengstes war auch klar: auf Dauer würde er daher an der Müritz nicht bleiben können. Schon als Kasper aus Köln an die Müritz gekommen und er der Zuchthengst in Spe war, hatte eine Frau Kontakt mit dem Tiererlebnispark aufgenommen.

Diese Person gab vor, das Tier sehr zu mögen. Aus Bayern war sie extra an die Müritz gereist, um Jung-Kamel Kasper zu sehen. Sie wollte das Tier kaufen. Das war aber zu einem Zeitpunkt, zu dem es noch so aussah, als müsste Kasper bald den kranken Hengst beerben. Ein Verkauf an sie wurde daher seitens des Tiererlebnisparks abgelehnt.

Verkauf nach Bayern

Nachdem der Alt-Hengst aber sein erfreuliches Comeback nach der Krankheit feiern konnte, war natürlich Kasper wiederum frei. Ein Verkauf wurde so dann doch möglich. Dirk Longino berichtet, dass die Interessentin darüber aufgeklärt wurde, dass sie einfach so einen unkastrierten Hengst in Bayern nicht halten darf.

Das liegt daran, weil Trampeltiere zu den so genannten “Großkamelen” gehören, von denen männliche Tiere in Bayern auf einer Liste von Tieren stehen, für die Halter eine Erlaubnis brauchen, die auf Basis von berechtigtem Interesse erteilt wird. Bloße Liebhaberei aber wird nicht als ein solches Interesse gewertet. Allerdings ist es fraglich, warum die Haustierart auf einer Liste von Tieren “wildlebender Arten” steht.

Es wurde ihr deswegen angeboten, Kasper zu kastrieren und auch ein Beistelltier mit zu liefern. Beides lehnte die Interessentin ab. Hier wurde es schon ungewöhnlich, weil das Angebot der Interessentin Einiges erleichtert hätte, wenn sie Kasper selbst halten wollte. Sie wollte sich aber selbst um alles kümmern und so wurde Kasper von Dirk Longino auf einen Hof in Bayern transportiert. Der Kaufvertrag war damit vollständig erfüllt und alles schien gut.

Haltung auf Gut Aiderbichl

Die inzwischen verstorbene Kamel-Dame Frankziska auf dem Hof von Gut Aiderbichl in Iffeldorf | Foto: Edelmauswaldgeist, Lizenz: CC0 1.0 Universal

Kasper wurde also vor keinem Verkauf gerettet, sondern wohl die im Text von Gut Aiderbichl als “tierliebe Dame” beschrieben Frau, hat ihn einfach erworben. Von dem Ort in Bayern muss er nach Iffeldorf transportiert worden sein. Die Dame, bei der es sich wohl um Susanne W. handelt, zelebrierte die Ankunft des Hengstes entsprechend auf Social Media und wird nicht müde zu betonen, dass es dem Hengst auf Gut Aiderbichl besser ginge.

Das darf bezweifelt werden, denn in Köln und an der Müritz ging es dem Tier nie schlecht. Auf Gut Aiderbichl steht er jetzt mit dem beschlagnahmten Hengst Anton zusammen. Der stand zuvor alleine, nachdem seine vorherige Begleitung gestorben war. Da wird auch wohl klar, warum das Angebot für ein Beistelltier und die Kastration abgelehnt wurde. Man könnte sich fragen, warum auf Gut Aiderbichl ein anscheinend unkastrierter Kamel-Hengst stehen darf, obgleich die Haltung auf dem Gut ja durchaus als Liebhaber-Haltung verkauft wird.

Lügt Gut Aiderbichl?

Was Gut Aiderbichl der Öffentlichkeit als Geschichte von Kasper hier auftischt, ist also falsch. Das Tier wurde vor nichts gerettet, sondern schlicht gekauft. Darüber gibt es Rechnungen, WhatsApp-Chatverläufe und zahlreiche weitere Belege. Die gesamte Geschichte von Kasper, wie sie vom Gut erzählt wird, ist schlicht falsch.

  • “Kasper konnte aus verschiedenen Gründen nirgends so richtig Fuß fassen.” – Falsch, er sollte und könnte in einer Haremsgruppe Fuß fassen.
  • “Eine sehr tierliebe Dame hat Kaspers Weg immer wieder beobachtet, und ihn vor einem neuerlichen Verkauf gerettet.” – Falsch, Kasper wurde normal gekauft, wie zahlreiche andere domestizierte Tiere auch.
  • “Vielleicht findet er nun Ruhe. Jedenfalls ist Schluss mit dem „Herumreichen“.” – Ein echtes Herumreichen gab es nie. Es ist normal, dass junge Kamele nicht in der Haremsgruppe, in die sie hinein geboren wurden, bleiben können und abgegeben werden.

Ob Gut Aiderbichl hier tatsächlich selbst lügt oder die Lüge im guten Glauben verbreitet, lässt sich nicht eruieren. Wenn Letzteres zutrifft oder vorgeschickt würde, muss man sich dann aber fragen, warum das Gut die Geschichten seiner Tiere nicht besser recherchiert. Damit stünde jede rührselige Geschichte, die Spender in spe aufgetischt bekommen, potentiell in Zweifel.

Typische Masche

Ob Gnadenhöfe, Sanctuarys oder wie auch immer sich solche Einrichtungen nennen: am Ende verkaufen sie rührselige Geschichten für Geld. Dass dabei mit der Wahrheit oft kreativ umgegangen wird, ist nichts Neues. Viele angeblichen Rettungen, die man von unterschiedlichen Organisationen aufgetischt bekommt, sind schlicht Ankäufe.

Tierankäufe machen ja auch Sinn. Ein Trampeltier allein stehen zu lassen, wäre falsch gewesen. Diese Kamele sind seit Jahrtausenden domestiziert. Bei jedem anderen Haustier, das in einer Herde lebt, würde man ja auch Beistelltiere kaufen. Natürlich kann man einen einfachen Ankauf aber nicht herzerwärmend verkaufen. Daher wird von solchen Organisationen oft ein Schmierentheater inszeniert.

Tiere mit Handycap im Tiererlebnispark Müritz

Aus dem Tiererlebnispark Müritz muss auch niemand irgendwelche Tiere retten. Vor Ort werden seit vielen Jahren Tiere gehalten, die auch echte Zielgruppe für einen Gnadenhof wären. Ein gesunder Kamel-Hengst ist es ja nicht. Da Dirk Longino aber ein Herz für Tiere hat, leben auch Tiere mit Handycap bei ihm nach wie vor.

Auch hier ist also die Geschichte, die das Gut Aiderbichl der Öffentlichkeit auftischt, nicht stichhaltig. Dirk Longino braucht keinen Gnadenhof für Tiere in Not: soweit es geht, kümmert sich sein Team selbst um die Tiere und die Besucher werden auch die wahren Geschichten der Tiere erzählt. Um Geld bettelt er dabei dann allerdings nicht.

Kasper musste nie gerettet werden

Ein Handycap hatte der kölsche Kamel-Hengst nie. Er wurde als gesundes Tier an eine Person verkauft, was nicht ungewöhnlich ist. Auch sein Vater Ivan wurde mit Hilfe von Dirk Longino an einen erfahrenen Privathalter in Brandenburg vermittelt. Dort geht es ihm prima. Solche Transporte sind wichtig, um den Genpool der Kamele in Menschenobhut divers zu halten.

Dass Kasper nun als Beistelltier in Gut Aiderbichl leben muss, hilft indes niemandem. Vielmehr wäre es Kasper zu wünschen, dass er bald einen Harem führen und ein seiner Art entsprechendes Leben erfahren darf. Das war ja auch die ursprüngliche Intention, weshalb er überhaupt abgegeben wurde. Auf Gut Aiderbichl scheint man ihm eine Chance darauf nun nehmen zu wollen.

Die Tage der netten Zweisamkeit von Anton und Kasper sind wohl auch gezählt. Nicht kastriert, läuft die Haltung auf arttypische Reibereien hinaus. Vielleicht musst Kasper dann am Ende doch mal gerettet werden. Allerdings eben nicht vor Zoos, sondern vor den Handlungen selbsternannter Tierretter, denen eine ausgedachte, herzerweichende Geschichte wichtiger zu sein scheint als Wahrheit und Tierwohl.

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