Exklusiv für zoos.media – 06.11.2025. Autor: Philipp J. Kroiß
„Dann würde ich sie lieber sterben lassen“, erklärt Robert Marc Lehmann zu den Orcas im Marineland Antibes. Für ihn sei ein Netzkäfig-Projekt der Tierrechtsindustrie – euphemistisch „Sanctuary“ genannt – die einzige Option. Ist das richtig?

Robert Marc Lehmann über Marineland-Orcas: „Dann würde ich sie lieber sterben lassen!“
„Zwei Herzen schlagen in meiner Brust: Ich finde es erstmal gut, dass der Bums zu ist, ich finde gut, dass sie nicht nach Asien gegangen sind, ich finde gut, dass sie nicht in den Loro Parque gegangen sind, ich find’s beschissen, dass sie dort sind. Sanctuary – aus meiner Sicht die only option. Wird es stattfinden? Weiß ich nicht. Sagt man nach zwei Jahren, nach fünf Jahren, nach schlechter werdendem Gesundheitszustand, geben wir sie doch in den Loro Parque? Weiß es nicht. Ich sag: Nein. Dann würde ich sie lieber sterben lassen als dass sie weiter ausgebeutet werden.“ – Robert Marc Lehmann in seinem aktuellen Video [ab 35:30]
Das sind die Worte des hin und wieder als „Tierschützer“ bezeichneten YouTubers Robert Marc Lehmann zu Wikie und Keijo. Schauen wir uns mal an, wie diese „Argumentation“ genau funktioniert. Für das „sterben lassen“, dass hier vorgeschlagen wird, gibt es nämlich allerhand „Entschuldigungen“, mit der man versucht eine typische Tierrechtslosung – „better dead than fed“ – zu verkaufen. All diese sind aber mit der Realität nicht sinnvoll zusammen zu bringen.
Ausbeutung?

Ganz unmittelbar erklärt Lehmann: „als dass sie weiter ausgebeutet werden“. Was ist die aktuelle Situation? Wikie und Keijo leben im geschlossenen Marineland Antibes in Frankreich. Die noch vor Ort arbeitenden Pfleger geben alles um aus den desolaten Bedingungen, die politisch verschuldet sind, für die Tiere das Beste zu machen. Dieses Team beutet die Tiere nicht aus.
Eben so wenig würden die Tiere im Loro Parque oder anderen seriösen Zoos und Aquarien ausgebeutet. Sowohl war der französische Zoo als auch ist der spanische Zoo in Bezug auf Tierschutz zertifiziert. Beide Institutionen haben die aktuell höchstmögliche Tierschutz-Zertifizierung – Humane Conservation – erhalten. Die hätten sie niemals erhalten, wenn sie die Tiere ausgebeutet hätten.
Einzig die Tierrechtsindustrie beutet die Tiere aus. Sie greenwasht die aktuelle „Geiselnahme“ der Tiere durch die Politik und hat sie auch motiviert. Vor dieser Ausbeutung wären die Tiere aber im Loro Parque sowie anderen seriösen Zoos und Aquarien sicher. Wer also wirklich wollte, dass die Tiere nicht mehr ausgebeutet würden, müsste für ihre Verbringung in eine zoologische Institution votieren. Einzig die Tierrechtsindustrie verdient aktuell Geld mit den Tieren.
Sanctuary-Luftschloss

Die „only option“, die Lehmann sieht, ist auch Teil der Ausbeutungsstrategie von Wikie und Keijo seitens der Tierrechtsindustrie. Die verdient gut mit dem Luftschloss Whale Sanctuary Projekt (WSP). Pointiert könnte man sagen: Das Einzige, was WSP bisher zustande gebracht hat, sind hohe Gehälter und ein Zelt. Viel mehr steht realistisch gesehen aktuell auch nicht in Aussicht. Das gibt man aber natürlich nicht zu. Bisher hat niemand ein solches Netzkäfig-Projekt für Orcas bauen können.
Einzig für Belugas konnte ein „Sanctuary“, wie die Tierrechtsindustrie diese Projekte euphemistisch nennt, aufgebaut werden. Die Bilanz des Projekts ist desolat. Vielfach hat zoos.media schon über das Scheitern einzelner Abschnitte, wie etwa diesem hier, berichtet. Erst in diesem Jahr hat eine peer-reviewed Veröffentlichung nachgewiesen, dass die Tiere kaum Zeit in den Netzkäfigen, dafür viel Zeit (über 90%) in einem kleinen Walarium an Land verbrachten.
Somit gibt es die „only option“ gar nicht. Erstens gibt es für Orcas keine Netzkäfige. Zweitens endet der einzige realisierte Versuch dieses Tierrechtsindustrie-Konzepts für große Wale gerade in einem Desaster. Somit ist ein „Sanctuary“ keine realistische Option. Es ist also in Wahrheit „no option“. Im Angesicht des jahrelangen Versagens der Tierrechtsindustrie funktionierende Netzkäfig-Haltungen nach ihrem Konzept an den Markt zu bringen, denn Tickets wollen sie ja dann auch verkaufen, wirkt der Sanctuary-Vorschlag nicht zeitgemäß.
Warum muss es den Tieren erst noch schlechter gehen?

Man könnte es durchaus befremdlich finden, wenn Tierschützer einen „schlechter werdendem Gesundheitszustand“ brauchen, damit es den Tieren besser gehen darf. Wikie und Keijo geht es bereits jetzt nicht gut. Dass es ihnen so geht, ist das Ergebnis von Forderungen der Tierrechtsindustrie, die politische Umsetzung erfuhren. Sie leiden nicht unter irgendetwas, das das Marineland oder andere Zoos und Aquarien verursachten.
Vielmehr wurde sogar davor gewarnt und dafür gekämpft, damit die Orcas nie in diese desolate Situation kamen. Der Lobbyismus der Tierrechtsindustrie, die viel Geld von Spendern dafür bewegte, um auf dem politischen Parkett in Frankreich zu bestehen, war aber stärker. Darum geht es Wikie und Keijo zunehmend schlechter. Müssten ernstzunehmende Tierschützer jetzt nicht darum kämpfen, dass es den beiden so schnell wie möglich besser geht? Das könnte man durchaus so sehen.
Ein Transport in den Loro Parque könnte den beiden Orcas das Leben retten und wird wohl eine sofortige Besserung ihrer Situation zur Folge haben. Das ist sicher. Es kann auch auf Basis von Fakten nicht seriös bezweifelt werden. In dem Fall ist auch völlig egal, wie man zum Loro Parque steht. Er ist aktuell die einzig realistische Option für die Tiere. Warum soll man dann noch erst dafür sorgen, etwa durch sinnloses Warten, dass es den Tieren noch schlechter geht? Mit glaubwürdigem Tierschutz hat das nichts zu tun.
Demaskierende Worte

Man sieht in dieser Passage des Videos also gut wie die eigene Ideologie vor dem Überleben der Tiere steht. Widerlegbare, ideologische Aussagen, wie die Verknüpfung von zoologischen Institutionen und Ausbeutung oder die Netzkäfige als einzige Option, werden dogmatisiert, um „better dead than fed“ irgendwie legitimieren zu können. Diese Dogmen, die man ideologisch aufbauen kann, wie man will, existieren aber in der Realität nicht. Solche Meinungen ändern die Fakten nicht.
Niemand muss Zoos, Aquarien, Walarien oder Delfinarien lieben, um zu erkennen, was in diesem Fall die beste Lösung im Sinne des Tierschutzes ist. Das ist definitiv nicht ihre mittelbare oder unmittelbare Tötung. Es sind auch keine Luftschlösser. Stattdessen ist es eine Zukunft in einer seriösen Haltung. Im Loro Parque ist die leicht und schnell zu erreichen. Dieser ist nämlich seit Jahrzehnten im Tierschutz aktiv. Vielen Tieren in Not hat er schon ein neues Leben und eine neue Familie schenken können.
Wikie und Keijo könnte es schon seit Monaten besser gehen. Sie stattdessen lieber sterben lassen zu wollen, sind demaskierende Worte. Eine solche Ideologie unterscheidet Tierschutz-Engagement von Tierrechtsaktivismus. Der Tierschützer kämpft bis, dass es nicht mehr geht, um das Leben des Tieres – ob in der Natur oder eben in Menschenobhut. Die Tierrechtsindustrie hingegen votiert für „better dead than fed“. Eine solche Ideologie steckt wohl auch hinter den massenhaften Tiertötungen von PETA.
Pavian-Argumentation torpediert

Wohl eine Ironie der Geschichte ist, dass diese Argumentation im Lehmann-Video natürlich auch die ganze Opposition gegen die Pavian-Tötungen in Nürnberg kollabieren lässt. Warum ist das so? Man ging gegen den Tiergarten Nürnberg vor, weil der angeblich Tiere aus Platzmangel tötete. Das war natürlich eine sehr unterkomplexe Argumentation. Sie war auch falsch, aber eben der Talking Point der Industrie.
Nimmt man den aber mal trotzdem ernst, stellt man fest, dass die Orcas sterben zu lassen, genauso eine Tötung aus Platzmangel wäre. Worüber man in Nürnberg noch Krokodilstränen heulte, das ist in Antibes plötzlich richtig? Das macht wenig Sinn. Natürlich sind für die Paviane in Nürnberg und für die Orcas in Antibes die Argumentationen grundsätzlich falsch, aber sie machen auch in sich keinen Sinn.
Das ist besonders bemerkenswert, weil es die Tierrechtsindustrie ist, die gerne die Ethik ins Feld führt. Sie vermittelt von der Ethik zwar ein Zerrbild, weil einfach alles als ethisch bezeichnet wird, was der eigenen Ideologie entspricht, aber die Industrie bemüht sie immer wieder. In der Realität ist in der Ethik aber die Kongruenz zentral. Aussagen müssen stimmig sein. Das sind sie in diesem Fall definitiv nicht.
