Robby überlegt beim Enrichment mit seinem Ziehvater Klaus Köhler. | Foto: Dr. Alexandra Dörnath

„Jetzt rede ich“: Schimpanse Robby in der literarischen Manege

Exklusiv für zoos.media – 14.12.2021. Autor: Philipp J. Kroiß

Über den Circus-Schimpansen Robby ist viel geschrieben worden. Nun gibt es ein Standardwerk, das sein Leben aus unterschiedlichen Blickwinkeln beleuchtet.

„Jetzt rede ich“: Schimpanse Robby in der literarischen Manege

Nach seiner aktiven Zeit in der Circus-Manege hat der Schimpanse Robby eine nicht weniger beachtete Medien-Karriere hingelegt, weil ein Gerichtsprozess um seine Zukunft große Beachtung fand. Nun – pünktlich zum 50. Geburtstag und der Gala-Premiere des 20. Celler Weihnachtscircus – betritt er auch die große Manege der Literatur und zwar mit einem Buch, das man als Standardwerk über und für ihn bezeichnen kann.

Der belletristische Teil des Werkes ist geschrieben durch die Kunstfigur R. Köhler, die das gesamte Buch, einer Kombination aus Roman und Sachbuch, herausgibt. Diese Figur jongliert dabei mit über 60 Beiträgen von über 50 Gastautoren aus sechs Ländern – vom Artenschützer bis zum Zoologen. Der rote Faden des Buches handelt von individuellem Tierschutz, von Fakten versus Ideologie, von menschlicher Moral, der Mensch-Tier-Beziehung und der Gabe mancher Menschen, mit den Tieren kommunizieren zu können.

Autobiographie eines Schimpansen?

Robby beim Malen mit Ziehvater und Familienhund | Foto: Dr. Alexandra Dörnath

Jetzt kann natürlich ein Schimpanse kein Buch schreiben, aber eine rein historische Erzählung wäre auch zu trocken. Also lässt man Robby tatsächlich auf sein Leben zurückblicken. In diesem romanhaften Teil des Buches erleben wir die lange Geschichte des Ausnahme-Schimpansen, der dies nicht nur wegen seines außergewöhnlich hohen Alters ist. Vom Zoo geht es in den Circus und von der Manege in die Rente. Der Leser ist dabei und erfährt es quasi aus erster Hand.

Dabei erlebt man keinen senilen Senior, sondern vielmehr einen positiven, rüstigen Rentner: “Im Moment gehöre ich, Robby, also wirklich schon zu den ältesten Schimpansen in menschlicher Obhut. So ist das. Vieles habe ich aber gewiss noch vor.” Man lernt einen Schimpansen kennen, der in der Welt des Circus nicht nur zu Hause ist, sondern regelrecht in ihr aufgeht. Die Circus-Begriffe, die er verwendet, werden dabei in einem gesonderten Glossar erklärt.

Die Erzählung überspannt dabei auch ein halbes Jahrhundert Geschichte des Tiercircus und erzählt diese aus dem Blick eines Augenzeugen. Die Art und Weise in die Welt des Circus einzutauchen, ist neu und mitreißend. Es gibt genügend steife, beobachtende, fast observierende Literatur zum Circus, aber selten war das Lese-Erlebnis so mitreißend und authentisch, die Schreibart so detailliert und liebevoll. Der Leser fühlt sich, als säße er mit Robby zusammen und dieser würde ihm ganz locker erzählen, was ihm so widerfahren ist.

Es geht dabei aber nicht nur um die bunte, schillernde Welt des Circus, sondern auch um die Schattenseiten, die Erfolge mit sich bringen: Tierrechtler, die ihn aus seiner Familie reißen wollen; und so entspinnt sich ein Gerichtskrimi mit dem wohl bekannten Happy End. Gleichwohl wird es in diesen Momenten aber auch existentiell: wäre es anders gekommen, würde er nun wohl nicht mehr leben. Aber: “Fröhliche Herzen leben am längsten”, subsummiert der weise Circus-Schimpanse sein Leben, das auf insgesamt 350 Seiten großartig erzählt wird. Man mag das Buch gar nicht beiseitelegen.

Experten kommen zu Wort

Robby beim Füttern des Familienhundes | Foto: Alexandra Dörnath

Aber dieses Buch ist viel mehr als ein Roman, der mit einem Lyrischen Ich eine Schimpansen-Biographie bewältigt. Nach dieser starken Schilderung und bezaubernden Fotos kommen zahlreiche Experten zu Wort: vom hochdekorierten Tierarzt über Wissenschaftler wie einer Naturphilosophin, einem Astro-Physiker, verschiedenen Rechtswissenschaftlern, einem Theologiewissenschaftler, einem Fortpflanzungsbiologen, einer Amtstierärztin, Verhaltensbiologen, Artenschützer bis hin zu Circus-Experten, einem Bundestagspolitiker, einem ehemaligen langjährigen geschäftsführenden Direktor des Weltzooverbandes sowie Journalisten und vielen mehr. Sie alle eint, dass die Geschichte von Robby ihre professionale Tätigkeit an verschiedenen Punkten ihrer Karrieren berührt hat.

Unter anderem kommen so auch Dr. Immanuel Birmelin, ein zoos.media-Beiratsmitglied, und der Chefredakteur von zoos.media, der auch Autor dieses Artikels ist, zu Wort. Ein Zitat des zoos.media-Beiratsmitgliedes Michael Miersch steht an zentraler Stelle und wird, sowohl im Roman, als auch im Fachteil aufgegriffen: „Langstreckenflug ist nicht das Hobby des Zugvogels. Ein Wal schwimmt nicht aus Lust vom Pol zum Äquator. Bären gehen nicht spazieren. Sie sind gezwungen, weite Strecken zu bewältigen, denn wer sich nicht bewegt, läuft Gefahr, zu verhungern.“

Ebenso finden sich im Buch zahlreiche weitere Experte aus der Zoowelt, wie beispielsweise Prof. Dr. Klaus Eulenberger, Dr. Dietmar Jarofke, Dr. Kai Perret und Dr. Peter Dollinger. Auch in diesem Teil des Buches bleibt die Spannung aber erhalten, wenn etwa der Wissenschaftler Prof. Dr. Theodore Friend beschreibt wie die Tierrechtsindustrie Forschungsergebnisse, insbesondere die Dr. Marthe Kiley-Worthingtons, immer wieder verdreht haben.

Robby in liebevoller Interaktion mit seinem Ziehvater | Foto: Dr. Alexandra Dörnath

So informativ diese Nachlese auch ist, so wenig kann man sie nun aber in einem Artikel wie diesem erschöpfend behandeln. Der fachliche Beitrag ist so umfassend, auch, weil er anhand von Robby Sachverhalte erklärt und erläutert, die weit über die Grenzen des Circus hinaus Bedeutung haben. Es geht zum Beispiel über die Tierrechtsideologie, die Basis für die Angriffe der Tierrechtsindustrie sind, und der Leser kann in die Hintergründe eintauchen.

Insgesamt gesehen behandelt dieser Teil des Buches unter anderem folgende Fragen: Was, wenn ein Widerspruch zwischen arttypischen und tierindividuellen Bedürfnissen und Verhaltensweisen besteht? Bedeutet “natürlich” eigentlich immer gut und “unnatürlich” immer schlecht? Was hat es mit den Begriffen “Freiheit” und “Gefangenschaft” auf sich? Hat Verhalten einen Selbstzweck? Was ist der Unterschied zwischen Prägung, Sozialisierung und Verhaltensstörung? Verfügen Tiere über eine Moral? Brauchen Menschenaffen wirklich Grund- bzw. Menschenrechte? Wer ist eigentlich Sachverständiger bei der Ermittlung tierspezifischer Fragen? Was hat es auf sich mit dem Märchen von den Tierrechten? Weshalb sind Tierrechtler keine Tierschützer?

Überdies finden sich noch Medien-Artikel, von denen einer auch von zoos.media stammt, und das Buch liefert so Quellen für die mediale Rezeption des Sachverhaltes und der Diskussion. Dabei sind auch verschiedenste Veröffentlichungen vertreten: von fachlichen Artikeln verschiedener Experten, über Interviews bis hin zu Berichten. Diese Sammlung macht das Buch zugleich zu einer der wichtigsten Quellensammlungen zum Thema Robby, was die mediale Rezeption seiner Geschichte und insbesondere der Gerichtsverhandlung anbelangt.

Und die Moral von der Geschicht‘?

Robby umarmt Zirkusdirektor Klaus Köhler | Foto: Dr. Alexandra Dörnath

Zum Abschluss kommen noch Robbys Ziehvater, der Circusdirektor Klaus Köhler, und seine Leibärztin, Dr. Alexandra Dörnath, zu Wort. Aus ihren Texten spricht Liebe und Respekt zum Tier, das die Familie Köhler und die Tierärztin schwerpunktmäßig betreuen. “Robby bedeutet mir und auch meiner Frau die Welt!”, beschreibt Klaus Köhler in seinem Text und Dr. Alexandra Dörnath betont: “Es ist mir eine Ehre, Umgang mit diesem besonderen Schimpansen zu haben, ihn zu kennen und immer besser kennenzulernen.”

Nach der zugleich langen, aber auch lohnenswerten Lektüre schließt sich der Vorhang zu einer literarischen Manege, in der sich Roman und Journal die Hand gegeben haben. Es wird mit Zahlen jongliert, es werden Fakten präsentiert und es wird Wissen transportiert. Das macht “Jetzt rede ich” zum echten Standardwerk, wenn es um den Circus-Schimpansen Robby geht. Wer das nicht gelesen hat, dem entgehen wesentliche Beiträge zur Diskussion rund um den Ausnahme-Schimpansen im Speziellen, aber auch dem Tiercircus im Allgemeinen.

Einblicke

Das Buch ist im MusketierVerlag erschienen. Dier Erstauflage (13,5 x 21,5 c) ist 600 Seiten stark, von denen 10 Farbseiten sind und zudem gibt es eine doppelseitige Schwarz-Weiß-Collage. Man sagt zwar immer, man soll ein Buch nicht anhand seines Covers beurteilen, aber hier könnt ihr es trotzdem. Was einen zwischen den Buchdeckeln erwartet, kann man hier nachlesen. Zudem gibt es hier eine Inhaltsangabe der multidisziplinären fachlichen Nachlese. Eine Leseprobe findet ihr versteckt im Artikel oben.

 

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Hinweis zur Transparenz: Weder hat das Projekt zoos.media für diesen Artikel irgendwelche Zuwendungen erhalten, noch sind die mit zoos.media verbundenen Autoren der Nachlese-Beiträge finanziell am Erfolg des Buches beteiligt. Somit kann die vorliegende Besprechung des Buches nicht mal theoretisch von monetären Interessen geprägt sein und ist dies auch praktisch nicht.

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