Nachwuchs aus einer erfolgreichen Zucht von Orangeringel-Anemonenfischen im Loro Parque | Foto: zoos.media

Wildfänge für Aquarien: Hatte Robert Marc Lehmann immer Recht?

Exklusiv für zoos.media – 08.12.2023. Autor: Philipp J. Kroiß

In seiner Instagram-Story triumphierte Robert Marc Lehmann. Wissenschaftler, Tierschutzorganisationen und Experten würden “einstimmig das Gleiche sagen” würden wie er. Stimmt das?

Wildfänge für Aquarien: Hatte Robert Marc Lehmann immer Recht?

Auf Basis der Besprechung einer Studie im Magazin GEO schreibt der YouTuber Robert Marc Lehmann in seiner Story: “Liebe Meerwasseraquarianer, […] wie erklärt ihr euch eigentlich, dass die aktuellsten Studien, Wissenschaftler (@monicavbiondo) , Tierschutzorgas (@ffw.ch / @pro_wildlife), die Experten und das zitierende @geomagazin alle, einstimmig das Gleiche sagen, wie ich …? Alles für die Klicks & fake auch bei all denen?” Grund genug mal genauer zu schauen. Es wird wohl keinen überraschen, dass mal wieder was nicht stimmt.

Nur eine Schätzung

Wimpelfisch | Foto: Magnus Johansson, Lizenz: C BY-SA 2.0 DEED

Der Streaming-Dienst Joyn bewirbt einen Teil der Bali-Serie von Robert Marc Lehmann wie folgt: “99% der Salzwasser-Aquarien-Zierfische kommen aus dem Meer. Bis zu 80% davon sterben bereits auf dem Weg dorthin.” Man kann also durchaus für voll nehmen, dass das die Zahlen sind, mit denen Robert Marc Lehmann operiert. Die Studie, die GEO bespricht, bestätigt diese Zahlen aber gerade nicht.

GEO selbst nennt schon andere Zahlen: “Bis zu 90 Prozent aller Lebewesen in privaten Meerwasser-Aquarien stammen aus der Wildnis”, wird im Artikel behauptet und zudem, dass “die Hälfte” auf dem Lieferweg sterbe. Das sind fast 10 bis 40 Prozentpunkte Überschied. Von Einstimmigkeit und dem Gleichen, was angeblich gesagt würde, ist man also weit entfernt.

Aber was sagt die Studie von Watson et al. (2023) selbst? Die nennt zwar die 90% aber beschreibt die als “capture estimate” – also Fangschätzung. Die wird für eine Hochrechnung benutzt und basiert ebenfalls auf eine Schätzung von King (2019). Beide Studien sind aber auch nicht gegen den Wildfang gerichtet, sondern weisen lediglich besonders daraufhin, dass der nachhaltig vonstatten gehen soll. Die Wissenschaftler sagen also auch hier nicht “einstimmig das Gleiche”.

Was sagt die Studie zu Verlusten?

“Fast die Hälfte der im Meer gefangenen Meerestiere sterben, bis sie im Einzelhandel im Becken schwimmen”, würde es laut GEO in der Studie von Watson und Kollegen heißen. Das stimmt so nicht. Die Passage in der Studie ist dann doch deutlich anders:

“Mortality and rejection levels are species-specific and modulated by country/business, but that 86 organisms could die for 100 to be displayed in a retailer is highly concerning.” – Watsin et al, (2023)
[Deutsche Übersetzung: Sterblichkeits- und Ablehnungsraten sind artspezifisch und variieren je nach Land/Unternehmen, aber dass 86 Organismen sterben könnten, während 100 in einem Einzelhandelsgeschäft ausgestellt werden, ist äußerst besorgniserregend.]

Der Text weist diese Zahl – rund 46% – somit gar nicht nach. Hier wird in der Studie eine nicht näher nachgewiesene Maximal-Rechnung im Konjunktiv konstruiert. In der Studie wird überhaupt nicht gesagt, wie GEO das darstellt, dass dem generell so wäre, sondern es wird noch davor gewarnt es zu verallgemeinern, eben weil die Raten so unterschiedlich bei den Arten sind. Damit werden weder die Ausführungen von GEO, noch die Worte mit denen für Robert Marc Lehmann geworben wird, von der Studie gedeckt.

Wie viele sterben beim Wildfang?

Die Vereinten Nationen haben sich die Studienlage dazu 2003 mal angeschaut. Damals lag die Quote schon deutlich niedriger. Untersuchungen zum Handel mit Meeresziertieren zwischen Sri Lanka und dem Vereinigten Königreich hatten Mitte der 1980er Jahre gezeigt, dass etwa 15% der Fische während und unmittelbar nach dem Sammeln starben, weitere 10% während des Transports und weitere 5% in Haltungseinrichtungen. Beim Handel in Puerto Rico wären es insgesamt 10-20%.

Diese Zahlen liegen nochmal deutlich unter den Behauptungen von GEO und Robert Marc Lehmann. Zudem gibt es keine Verallgemeinerung, sondern lokale Differenzierung. Schon als die Vereinten Nationen aber dieses Papier herausgaben, war auch ihnen klar, dass dieser Anteil der während des Prozesses verstorbenen Tiere in den nächsten Jahren weiter schrumpfen wird. Auch diese Ausführungen sind viele Seemeilen von “einstimmig das Gleiche” entfernt.

Fondation Franz Weber als Quelle?!

Banggai-Kardinalbarsch im Zoo Basel | Foto: Amada44, Lizenz: CC BY-SA 3.0

Die unseriöse Organisation kommt gleich zweimal in Robert Marc Lehmanns Text vor. Einmal in Person von Dr. Monica Virginia Biondo. Sie ist eine Leiterin innerhalb der Stiftung. Auf der Webseite schreibt sie: “Als Zoologin und Meerebiologin [sic!] waren die Natur, die Meere und ihre Bewohner schon immer meine Leidenschaft.” Wissenschaftlich fragt sie sich zum Beispiel: “Wie viele Nemos und Dorys werden jedes Jahr nach Europa importiert?” Ein sonderlich wissenschaftlicher Titel ist das nicht.

Sie – eigenen Angaben nach studierte Biologin – beschwert sich aber auch darüber, dass die Europäische Union “für Nemo und Dory immer noch keine Zeit für ein zuverlässiges Rückverfolgbarkeitssystem für den Handel mit Meeresaquarien” finden würde. Das ist natürlich in dem Fall besonders schade, weil sie damit letztendlich das Fehlen von belastbaren Zahlen zugibt. Wie soll sie dann zum Beispiel die Zahl zum Anteil wildgefangener Fische in Aquarien bestätigen können, die im Umfeld von Robert Marc Lehmann genannt werden.

Hinzu kommt, dass die Fondation Franz Weber sich zwar als Tierschutzorganisation verstehen möchte, aber schlicht nicht seriös ist – ganz genau wie Pro Wildlife. In beiden Fälle hat zoos.media nachvollziehbar gemacht, dass man Aussagen solcher Organisationen sowieso kein Vertrauen entgegenbringen sollte, wenn man sich für die Wahrheit interessiert. Auch sie sind nämlich sehr weit entfernt davon mit seriöser Wissenschaft die selbe Sprache zu sprechen. Sie gehören zu den Kollaborateuren beziehungsweise sind somit ein Teil der Tierrechtsindustrie.

Wissenschaft wohl doch nicht auf seiner Seite …

Damit bleibt von der Behauptung in der Instagram-Story von Robert Marc Lehmann quasi nichts über. Nicht einmal die eigens dafür angerufenen Quellen können die für die “Mission: Bali” behaupteten 99% oder 80% irgendwie validieren. Bei Studien, Wissenschaftlern und Experten, die nicht direkt genannt, aber vereinnahmt wurden, sieht es dann nochmal düsterer aus. Die Behauptung, dass hier alle mit einer Zunge reden würden, lässt sich nicht ansatzweise nachweisen.

Damit ist es letztendlich tatsächlich Fake und die rhetorische Frage zum Ende des Statements in der Story muss zumindest teilweise mit “Ja” beantwortet werden. Letztendlich könnte man vermuten, dass wohl er den GEO-Artikel nicht richtig gelesen habe, die zuständigen GEO-Redakteure aber auch schon vorher die Studie nicht und so ist die ganze Misere entstanden. Eine seriöse Quelle ist die Instagram-Story von Robert Marc Lehmann wohl nicht.

Eine große Frage ist natürlich auch, wer für die Fehlinformationen auf Joyn verantwortlich ist? Bisher schweigt sich der Streaming-Anbieter – eine Tochtergesellschaft der ProSiebenSat.1 Media SE – aus. Es ist allerdings fraglich, wie lange man das noch aussitzen kann. Aktuell steckt der Streaming-Dienst nämlich Tief im Skandal über die Fehlinformationen mit drin.

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