Schimpanse Henry in Chimp Haven ohne Aussicht auf einer Familiengründung | Foto: Steve Snodgrass, Lizenz: CC BY 2.0

Bill S-15: Bald noch weniger Artenschutz in Kanada?

Exklusiv für zoos.media – 28.11.2023. Autor: Philipp J. Kroiß

Wale waren nur der Anfang. Nun stehen Elefanten und Menschenaffen auf der Abschussliste fragwürdiger Politiker, die Fakten für weniger wichtig halten als Tierrechtspropaganda.

Bill S-15: Kanada will mehr Artenschutz abschaffen

Die Weltnaturschutzunion (IUCN) definiert umfassenden Natur- und Artenschutz mit den One Plan Approach to Conservation (OPA). Hierbei ist es wichtig, dass Maßnahmen ex situ und in situ Hand in Hand gehen. So können Arten vor dem Aussterben gerettet werden. Das ist der Weg. In Kanada hat man diesen Weg für Wale bereits verlassen. Nun soll das auch für Elefanten und Menschenaffen geschehen. Auf Twitter prahlt der zuständige Politiker mit seiner angeblichen Errungenschaft.

Pseudo-Erfolge und Selbstbeweihräucherung

Der gerettete Schweinswal Jack im Vancouver Aquarium. | Foto: Marcus Wernicke, Porpoise.org, Lizenz: CC BY-SA 4.0

In seiner Rede schwadroniert Klyne von einem angeblichen Erfolg der Bill S-203. Es wird als toll dargestellt, dass Kanada nun keine langfristigen Walrettungsoptionen mehr hat, weil das Vancouver Aquarium seine Walhaltung beenden musste. Keine Möglichkeit der langfristigen Unterbringung oder der Rehabilitation bedeutet für Wale in Not den Tod. Entweder werden sie gar nicht erst gerettet oder sie werden schnell erschossen, weil – wohin mit ihnen? Es gibt ja keine entsprechenden Haltungen mehr.

Menschen, die Tiere also anscheinend lieber tot als gerettet sehen wollen, unterstützen nun auch die Bill gegen Elefanten und Menschenaffen beziehungsweise Großprimaten. Die geraten zwar in Kanada nicht in Seenot, sind aber massiv von der Anwendung des One Plan Approach to Conservation abhängig. Ohne OPA, kein Überleben – das ist die Realität für die Arten, die von der Bill betroffen wären. Während andere Länder diesen Ansatz noch anwenden können, würde sich Kanada diesbezüglich handlungsunfähig machen.

Es geht allen an den Kragen

Schon in der Wal-Frage haben sich die Zoos und Aquarien des Landes nicht mit Ruhm bekleckert. Das Vancouver Aquarium stand mit seinem Kampf gegen die Bill S-203 fast alleine da. Zur Wahrheit gehört auch, dass die Ignoranz der anderen zoologischen Einrichtungen die Tierrechtsindustrie mit ihren verbundenen Politikern erst stark gemacht hat. Viele haben sich damals weggeguckt und den Kopf in den Sand gesteckt, weil es sie nicht betraf. Die Bill S-15 betrifft nun rund 50 Tiere (30 Menschenaffen und 20 Elefanten).

Diese jetzt ins Visier zu nehmen, folgt der Salamitaktik der Tierrechtsindustrie. Das Ziel dieser ist das Ende der Tierhaltung und so knöpft man sich nach und nach alle Arten und Tiergruppen vor. Dass die Zoowelt die Bill S-203 mit so geringem Widerstand – auch international – ertrug, hat die Bill S-15 und auch die Bill S-241 (die aktuelle Version vom Jane Goodall Act) erst ermöglicht. Natürlich sind Teile der Politik in Kanada korrupt und selbstredend hat auch die Tierrechtsindustrie viele Millionen in die Hand genommen, um das möglich zu machen, aber die lasche Gegenwehr der Zoowelt hat ihnen dabei auch sehr geholfen.

Taktik der Teilung

Aber wie schafft es die Tierrechtsindustrie die Zoowelt – vor allem in Nordamerika – so zu am Nasenring durch die Arena zu ziehen? Teile und herrsche, lautet die Devise. Zooverbände werden mit Ausnahmeregelungen gelockt. Fragwürdige Verbände, wie die AZA, streben eine Monopolstellung an und durch diese Ausnahmeregelungen, die Politik und Tierrechtslobby in Aussicht stellen, kann die erreicht werden. Opportunistische Teile innerhalb der Zooverbände nutzen das als Köder, sorgen für Mehrheiten in den Verbänden und schon bekommt die Tierrechtsindustrie auch noch Unterstützung.

AZA, Carole Baskin & Joe Biden

Faszinierenderweise sind es auch die Opportunisten, die für solche Mehrheit sorgen und letztendlich “nützliche Idioten” der Tierrechtsindustrie sind, die intern Projekte bekämpfen, die Tierhalter vor solchen Gesetzesvorhaben schützen wollen. Es sind deshalb “nützliche Idioten”, weil die Tierrechtsindustrie und ihre Politiker über diese Ausnahmeregelungen in Kreisen entscheiden lassen, die fern ab vom Zugriffsbereich der Zooverbände liegen. So entsteht nicht nur ein Druckmittel, sondern auch eine Willkürherrschaft über die Verbände.

Opportunismus tötet Tiere

Mit der AZA ist der größte und bekannteste Zooverband in Nordamerika schon längst ein Bündnis mit denen eingegangen, die sie zerstören wollen. Hier sieht man aber bereits wie die Pseudo-Medizin, die nun auch mit der Bill S-15 verkauft werden soll, nicht funktioniert. Die euphemistisch als “Sanctuary” bezeichneten Endlager für Elefanten sind greengewashte Tierqual-Haltungen und sorgen bei den Tieren für recht schnelles Ableben.

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Bei den Großprimaten sieht es bei den amerikanische “Sanctuaries” auch wenig rosig aus.

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Diese angebliche Lösung bedeutet also für Tiere, die für den Artenschutz relevant sind, Qual und Tod in Endlagern. Die Tierrechtssanctuaries rauben den Tieren wichtige Grundbedürfnisse, wie die Fortpflanzung und somit die Bildung naturgemäßer sozialer Gruppen. In seriösen Zoologischen Gärten hingegen wäre das möglich, dass die Tiere gemäß ihrer Bedürfnisse gehalten werden. Sie dort hinaus in schlechtere Haltung bringen zu wollen, hat mit Tierschutz, den man immer vorschiebt, gar nichts zu tun.

Geduldeter Ausverkauf?

Schimpanse im Zoo Karlsruhe | Foto: H. Zell, Lizenz: CC BY-SA 3.0

Wenn sich dieser Opportunismus also weiterhin so durchsetzt, werden Zoos und Aquarien der so genannten Westlichen Welt nach und nach Art um Art verlieren. Man muss da aber aus Europa gar nicht abschätzig nach Nordamerika schauen. Die EAZA strebt genauso nach der Monopolstellung und fällt falsche Entscheidungen mit denen auch der Niedergang der AZA begann. Auch ermöglichen opportunistische Kräfte in Verbänden, dass es kaum bis gar keine Gegenwehr gegen die Tierrechtsindustrie gibt und fragwürdige Entscheidungen durchgehen.

So dulden Zooverbände den Ausverkauf ihrer sonst zur Schau getragenen Werte. Aktuell sind es ja “nur” Wale, Elefanten, Eisbären oder Menschenaffen. Das betrifft eben noch nicht alle. Für viele zoologische Institutionen muss es anscheinend erst an liebgewonnene Teile des eigenen Bestandes gehen, damit sie reagieren. Das Problem ist, dass dann aber der sprichwörtliche Fuß schon zu weit in der Tür steht, um sie noch zu schließen. Allerdings werden viele jetzige Entscheidungsträger dann schon in Rente sein, weshalb die aktuellen Fehlentscheidungen wohl keine beruflichen Auswirkungen mehr haben werden.

Ein Ausweg?

Elefanten im Vordergrund, Giraffe im Hintergrund – fotographiert im Pittsburgh Zoo | Foto: Daderot, Lizenz: CC0 1.0

Allerdings gibt es in Europa und Amerika auch Bewegungen, die Hoffnung machen: jenseits der großen Verbände schicken sich (aktuell noch) kleinere an, nicht von Opportunismus immer mehr zerfressenen Großverbänden das Feld zu überlassen. Es entwickeln sich unabhängige Zuchtpopulationen ohne Ambition den großen Zooverbänden darüber die Kontrolle zu geben. Gerade Zuchtprogramme werden nämlich immer wieder zum Druckmittel der Verbandsoberen gegenüber ihren Mitgliedern.

Wer falsche Entscheidungen nicht mitträgt und nicht mehr Mitglied des Verbands sein möchte, der muss um “seine” Tiere fürchten. Nicht-Mitglieder der großen Verbände dürfen entweder an gar keinen oder nur an einer bestimmte Anzahl von Erhaltungszuchtprogrammen unter der Kontrolle der Verbände teilnehmen. Je mehr davon unabhängige Zuchtprojekte entstehen, desto schwächer wird natürlich dieses Druckmittel.

Daher wird solche Konkurrenz teilweise mit harten Bandagen bekämpft. Darin zeigt sich dann auch, was in Kanada sich nun anschickt zur nächsten Katastrophe für den Artenschutz zu werden: Teilen der Zoowelt ist es wichtiger ihre Konkurrenz auszumerzen als ihre tatsächlichen Gegner zu bekämpfen. Genau das macht die Zoogegner eben auch stark. So etwas trägt wesentlich zu ihren Erfolg bei. Opfer dieser machtpolitischen Agenda einiger Teile von Zooverbänden sind am Ende die individuellen Tiere, aber eben auch der Natur- und Artenschutz.

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